Leisnig: Wie eine Kleinstadt ihr Herz verliert
Leisnig - Bahnhöfe sind der erste Eindruck, den eine Stadt ihren Gästen vermittelt, heißt es. Türen und Fenster der Leisniger Station sind mit Sperrholzplatten verrammelt. Auf den Fassaden prangen unzählige Graffiti und alte Plakate. In der verdreckten Unterführung riecht es nach Urin. Willkommen in einer Stadt, die exemplarisch steht für den Niedergang sächsischer Kleinstädte.

Eigentlich ist Leisnig eine schöne Stadt. Hoch über der Mulde thront die Burg Mildenstein. Etwas unterhalb des Marktes ragt stolz die spätgotische Stadtkirche St. Matthäi empor. Die Altstadt besteht aus romantisch verwinkelten Gassen, an deren Seiten sich schmale, gedrungene Bürgerhäuser aneinander reihen.
Doch da sind die vielen "toten Augen“. Selbst in Top-Lagen wie am Markt oder an der Kirchstraße blickt man auf Schritt und Tritt in leere Schaufenster, stehen zahlreiche Ladengeschäfte leer. "Seit der Wende gibt es im Innenstadthandel einen permanenten Rückgang“, erzählt Karsten Müller (48), der am Markt ein Geschäft für Berufsbekleidung betreibt. Die Stadt sterbe langsam aus, es fehle an Laufkundschaft.
Mit den heute 40 Ortsteilen kam Leisnig laut Statistischem Landesamt 1990 auf 11.786 Einwohner. Zur letzten statistischen Erfassung im März 2017 waren es nur noch 8352. "Die Jungen ziehen weg, das merke ich auch an meiner Kundschaft“, sagt Heike Ludwig. Mit ihrem Geschenkeladen zog sie jüngst vom Markt in die Chemnitzer Straße. "Der Markt ist tot, dort wäre ich längst pleite gegangen“, nennt sie den Grund.
Bürger ohne Drogerie

Für junge Leute hat Leisnig nicht mehr viel zu bieten. Wo es früher Spielzeug und Kindersachen gab, wird jetzt Döner verkauft. Ein Kinderladen fehlt nun völlig. Seit der Schlecker-Pleite gibt es auch keine Drogerie mehr. Mit Expert schloss vor Monaten der letzte Elektro- und Haushaltgeräteladen. Die Bäckerei am Markt steht ebenso leer wie das Eiscafé nebenan.
Jüngstes Opfer des Innenstadtsterbens war das Stadtcafé am Rathaus, dessen Freisitz den Marktplatz einst belebte. Vor fünf Wochen hat der Wirt das Handtuch geworfen. Wie zuvor schon sein Kollege im Schützenhaus. Auch der erst im November eröffnete Edeka-Nachfolger „Nah & Frisch“ an der Jahnstraße strich im März wieder die Segel.
Dafür gibt‘s jetzt gleich vier Discountmärkte und im Gewerbegebiet am Stadtrand einen großen Rewe. "Das wirkt sich natürlich auch negativ auf den Innenstadthandel aus“, sagt Geschenkehändlerin Ludwig.
Zum Kinderarzt nach Döbeln

Auch bei der medizinischen Versorgung klemmt der Leisniger Stiefel. "In unserer Stadt gibt es keinen Augenarzt und seit Jahren auch keinen Kinderarzt mehr“, weiß Apotheken-Angestellte Annika Ray (31). Die Patienten müssten nach Döbeln fahren oder gleich nach Dresden oder Leipzig.
Während Bürger und verbliebene Händler auskunftsfreudig sind, mag Leisnigs Bürgermeister Tobias Goth (CDU) nicht über die Probleme seiner Stadt reden. Vielleicht sieht Herr Goth auch keine Probleme. "Es gibt keinen Gesprächsbedarf“, lässt er TAG24 auf Anfrage wissen.
Karsten Müller kann da nur mit dem Kopf schütteln. Aus einer Stadtratssitzung erfuhr er jüngst, dass der Bürgermeister und seine Räte Leisnig zu einer attraktiven Wohnstadt machen möchten.
Müller: "Wie das mit einer absterbenden Innenstadt mit immer weniger Handel und Gastronomie funktionieren soll, ist mir ein Rätsel.“



Titelfoto: Alexander Bischoff