Verherrlichung von Grusel-Effekten: So machte die Stasi Jagd auf Gruftis
![Das ist kein Schülergekrakel, sondern allen Ernstes die originale Unterscheidungs-Kartei "negativ-dekadenter Jugendlicher in der DDR" des Ministeriums für Staatssicherheit.](https://media.tag24.de/951x634/f/b/fb4047187c034e44b1fe.jpg)
Leipzig - Zu Pfingsten wird die Messestadt wieder zur Hochburg der "Schwarzen Szene". Was heute zur Normalität gehört, galt zu DDR-Zeiten als "negativ dekadenter" Jugendkult.
"Gruftis" wurden von der Stasi überwacht. Deren Spitzelberichte waren an Trivialität und Lächerlichkeit kaum zu überbieten, wie eine Ausstellung in Leipzigs ehemaliger Stasi-Zentrale zeigt.
Die wohl wichtigste Unterlage für den subkulturellen Einsatz des gemeinen Stasi-Spitzels war handgemalt: In acht Porträtzeichnungen wurde den Genossen der Unterschied zwischen Gruftis, Punkern, Trampern, Skinheads, Teds, Heavy-Metal-Fans, New Romantiks und Poppern visuell erklärt.
Darunter sind Kurzbeschreibungen zu lesen. Unter "Gruftis" ist unter anderem Folgendes vermerkt: "Verherrlichung von Gruseleffekten, Satans- u. Totenkult .... schwarz oder weiß gefärbtes, nach allen Seiten stehendes Haar ... totales politisches und gesellschaftliches Desinteresse".
![Die Leiterin der Leipziger Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde, Regina Schild (59), wird am Samstag ihre Archive für WGT-Besucher öffnen.](https://media.tag24.de/951x634/9/5/95000110019823714ff2.jpg)
Und trotz dieser letzten Einschätzung war die "Schwarze Szene", der laut den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 1989 rund 600 DDR-Bürger angehörten, dem SED-Staat ein Dorn im Auge.
"Allein aufgrund ihres Aussehens wurde sie von der Stasi in der Sonderkartei 'negativ-dekadente Jugendliche' erfasst", sagt Regina Schild (59), die Chefin der Leipziger Stasi-Unterlagenbehörde (BStU). So wurden aus eher unpolitischen, vorrangig von modischen Interessen geleiteten jungen Menschen erst "Staatsfeinde" gemacht.
Aus den Akten des MfS geht zudem hervor, dass fast alle „Grufti“-Cliquen mit Stasi-IMs durchsetzt waren. "Einerseits wollte das MfS wissen, was die Szene macht und wie sie sich entwickelt, andererseits wurde versucht, Angst und Misstrauen einzubringen", erklärt Stasi-Expertin Schild.
Allerdings waren die Erkenntnisse der Spitzel oft trivial, ihre Berichte geradezu lächerlich. So notierte ein Stasi-IM nach einem Konzert der Gruppe „Frontal“, dass die "Guftis" Totenkopf-Anhänger trugen und "... tanzten wie ein billiger Indianertanz". Am Ende forderte der beflissene IM die Stasi gar zur "Wiederherstellung der sozialistischen Ordnung" auf.
Zum Wave-Gotik-Treffen öffnet die Unterlagenbehörde am Samstag ab 11 Uhr ihre Archive. Die Ausstellung "Gruftis, Punks & Co." in der "Runden Ecke" (Dittrichring 24) dokumentiert anhand von Original-Dokumenten und -Fotos des MfS die Angst des SED-Staats vor Subkulturen und deren Überwachung durch die Stasi. Der Eintritt ist frei.
![An Pfingsten verdunkelt sich die Messestadt zum 26. Mal: Das WGT startet am Freitag.](https://media.tag24.de/951x634/b/a/babe94f4445b0ac27193.jpg)
![Ein Gothic-Mädchen in den Fängen der Stasi. Dieses Foto dokumentiert die erkennungsdienstliche Behandlung der jungen Frau Ende der 1980er jahre.](https://media.tag24.de/951x634/e/c/ecc25ca82ef71f025d04.jpg)
![Leipzigs einstige Stasi-Zentrale, im Volksmund "Runde Ecke" genannt.](https://media.tag24.de/951x634/f/1/f1485e93bbaf29e53409.jpg)
Titelfoto: Ralf Seegers