Diesen Artikel würde die Pharmaindustrie gern löschen lassen

Kann das Methadon für mehr Lebensqualität bei Krebs-Kranken sorgen?
Kann das Methadon für mehr Lebensqualität bei Krebs-Kranken sorgen?  © 123rf.com/Katarzyna Białasiewicz

Berlin - Einen Begriff hört die Pharmaindustrie gerade gar nicht gern: Methadon! Das super billige Schmerzmittel soll angeblich Krebs heilen. Was ist dran? Und warum schießen Pharmafirmen so dagegen? TAG24 ging diesen Fragen nach.

Krebspatienten klammern sich an jedes noch so kleine Fünkchen Hoffnung, das ihnen mehr Lebenszeit schenkt. Besonders viel Hoffnung macht vielen derzeit vor allem Methadon.

Eigentlich wird es als Heroinersatz bei Drogenabhängigen eingesetzt. Doch Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Methadon offenbar die Wirkung von Chemotherapien schwerkranker Krebspatienten unterstützt und Krebszellen sterben lässt. Zum Teil sogar ganz ohne Chemotherapie.

Der Pharmaindustrie gefällt diese Entdeckung gar nicht. Sie will den Wirkstoff für die Krebstherapie nicht erforschen. Auch die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit.

Doch das Thema sorgt für Diskussionen. Auslöser war ein Beitrag des ARD-Magazins „Plusminus“ im April. Ein weiterer Beitrag dazu folgte im August. Patienten dokumentieren darin, dass bei ihnen Krebs-Tumore seit der Einnahme von Methadon, zusätzlich zur Chemotherapie, nicht zurückgekehrt sind.

Selbst große Tumore, etwa im Gehirn, seien verschwunden, obwohl sie auf keine Therapie mehr ansprachen. Oder Metastasen in der Leber. Auch sie waren nicht mehr da.

Von diesem "Wunder" berichtet auch die Forscherin Dr. Claudia Friesen vom Uniklinikum Ulm. Bereits 2008 stellte die Chemikerin erst im Labor, später im Tierversuch fest, dass Krebszellen innerhalb kurzer Zeit sterben, wenn zur Chemotherapie Methadon hinzufügt wird.

Ist das Drogenersatzmittel Methadon ein Krebskiller? Noch dazu ein unglaublich preiswerter im Vergleich zur sagenhaft teuren Chemo?

Doch für die vielversprechenden Labor-Ergebnisse interessiert sich kein Pharmakonzern. Im Gegenteil!

Um Studien in der Krebsforschung durchführen zu können, müssen hohe Beträge investiert werden.
Um Studien in der Krebsforschung durchführen zu können, müssen hohe Beträge investiert werden.  © 123rf.com/uchschen

Statt Unterstützung für ihre Forschung, bekommt Claudia Friesen reichlich Gegenwind. Für einen wissenschaftlichen Beleg reichen ihre vorgestellten Patientenfälle nicht aus. Dazu muss sie klinische Studien liefern. An denen hat die Pharmaindustrie aktuell kein Interesse.

Methadon-Gegner warnen sogar vor unerwünschten Nebenwirkungen. Einer von ihnen ist Prof. Dr. Wolfgang Wick, Sprecher der Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft (Heidelberg). Er kritisiert, dass Friesens Ergebnisse lediglich experimentell seien.

Ganz anders sieht das der Palliativmediziner Dr. med. Hans-Jörg Hilscher (Iserlohn). Seit 1999 arbeitet er mit Methadon und hält die Warnungen für Unsinn. Schließlich sei Methadon seit Jahren als starkes Schmerzmittel in der Drogentherapie zugelassen.

Krebspatienten bekommen es in einer deutlich geringeren Dosis, die Nebenwirkungen halten sich in Grenzen. Hilscher bestätigt sogar, dass es seinen Patienten dank des Methadons besser geht und sie länger leben, als Diagnosen es prophezeit haben.

Patienten aus ganz Deutschland melden sich inzwischen bei ihm. Denn sie finden kaum Ärzte, die das Methadon verordnen wollen. Dabei darf es nach der Betäubungsmittelverordnung als Schmerzmittel von jedem Arzt verschrieben werden. Immer wieder hört Hans-Jörg Hilscher, dass andere Ärzte die angeblichen Nebenwirkungen vorschieben.

Friesen und Hilscher sehen die Ursache woanders: Methadon ist nicht mehr patentfähig und damit extrem billig.

Billige Medikamente stehen in Konkurrenz zu gewinnbringenden.
Billige Medikamente stehen in Konkurrenz zu gewinnbringenden.  © 123rf.com/olegdudko

Ein Tag Methadon-Therapie kostet wenige Cent. Die Geschäfts-Aussichten sind wenig lukrativ bei etwa 12 Euro für vier bis sechs Wochen. Die Konkurrenz zu einem teuren Mittel wäre hoch.

Ein Beispiel für ein teures Chemo-Medikament ist Avastin. Es kostet 25.000 Euro pro Quartal. Seit Jahren wird daran unter Hochdruck geforscht - ganz anders als bei Methadon. An seiner klinischen Erforschung war übrigens Prof. Dr. Wick maßgeblich beteiligt - der Mann mit den vielen Vorbehalten gegen Methadon.

Inzwischen konnte übrigens nachgewiesen werden, dass Hirntumorpatienten, die Avastin bekommen, insgesamt nicht länger leben.

Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt im Berliner Helios Klinikum, kritisiert, dass klinische Studien oft von der der Pharmaindustrie bezahlt und Ergebnisse verzerrt werden.

Unabhängige Forschung sei nur möglich, wenn das Bundesforschungsministerium mehr Geld für die klinische Forschung an Arzneimitteln bereitstellt, was derzeit im Bereich der Krebsforschung nicht der Fall ist.

Auch an der Berliner Charité konnten Mediziner bei Hirntumorpatienten, die Methadon einnahmen, feststellen, dass die Nebenwirkungen nicht so stark waren, wie befürchtet. Zwar könne man noch nicht seriös bestätigen, dass Methadon Patienten länger leben lässt, doch sollte das der Fall sein, muss der nächste Schritt eine große klinische Studie sein.

Ein vom Arzt verschiedenes Fläschchen mit Methadon-Tropfen.
Ein vom Arzt verschiedenes Fläschchen mit Methadon-Tropfen.

Ob dafür der benötigte Millionenbetrag aufgebracht wird, bezweifeln selbst die Mediziner.

In Facebook-Gruppen wie

informieren sich Betroffene und Angehörige und tauschen sich aus. Auch hier sind sich viele sicher: Methadon wirkt sicherer gegen Krebs als andere Medikamente.

Auf openPetition Deutschland läuft derzeit die Unterschriftenaktion an den Deutscher Bundestag Petitionsausschuss "Methadon in der Krebsmedizin". Es fehlen noch knapp 30.000 Unterschriften (Stand 19. September 2017).

Ein Betroffener schreibt unter der Petition: "Es darf nicht sein, dass der Pharmaindustrie das Geld auf Kosten totkranker Menschen in den Rachen gesteckt wird!!! Ein Menschenleben MUSS mehr wert sein als das ganze Geld der Pharmaindustrie!"

Außerdem findet vom 20. bis 30. September die Charity-Woche "hinfühlen statt wegsehen" statt, eine Aktion zur Brustkrebs-Vorsorge, organisiert von "Dessous Fachhändler Deutschland" (DFH) und Pink Ribbon Deutschland.

Titelfoto: 123rf.com/Katarzyna Białasiewicz