Mit 13 bekam sie ein behindertes Kind

Anja Tröger und ihre
Tochter sind dicke
Tinte miteinander.
Kim ist jetzt so alt
wie ihre Mutter bei
ihrer Geburt.
Anja Tröger und ihre Tochter sind dicke Tinte miteinander. Kim ist jetzt so alt wie ihre Mutter bei ihrer Geburt.  © Kerstin Kummer

Von Thomas Gillmeister

Lichtenstein - Anja Tröger (27) zählte einst zu den jüngsten Müttern Deutschlands. Doch dann wächst sie mit der schwierigen Situation über sich hinaus. Sofort kümmert sie sich um ein harmonisches Familienleben, zu dem auch Sohn Ric (5) gehört. Heute ist Tochter Kim mit 13 Jahren so alt wie ihre Mutter, als sie das erste Kind auf die Welt brachte. Und sie ist behindert.

Mutter Anja ist ein Frühchen. Nicht im medizinischen Sinn, sondern im wahren Leben. Ihre innere Uhr scheint so programmiert zu sein, dass sie schon immer vor allen anderen da ist. Um vier Uhr morgens startet sie in den Tag. Ausgeschlafen (!) kümmert sie sich um ihre beiden Kinder, bereitet sie auf Kindergarten und Schule vor.

Zwei Stunden später steht die attraktive Anja in der Traditionsbäckerei ihrer Eltern und bedient freundlich die Kunden.

Im Erzgebirgs-Örtchen Lichtenstein kennt jeder jeden. Da gehen nicht nur warme Brötchen über den Ladentisch, sondern auch warme Worte. Das ist gut fürs Gemüt.

Eine glückliche Familie: Mutter Anja Tröger (27) mit Sohnemann Ric
und Tochter Kim. Auch einen Partner gibt es.
Eine glückliche Familie: Mutter Anja Tröger (27) mit Sohnemann Ric und Tochter Kim. Auch einen Partner gibt es.  © Kerstin Kummer

Brenzlig wird es aber, wenn etwas aus dem Kleinstadt-Rahmen fällt. So wie bei Anja damals. Es war der Sommer 2002, als sie mit gerademal 13 die erste große Liebe zu einem drei Jahre älteren Jungen entdeckte. Schmunzelnd beobachtete Anjas Mutter Carolin Tröger (50), die in fünfter Generation ihre Bäckerei führt, das Turteln der Teenager. Bei Trögers herrscht Nestwärme nicht nur durch die Temperaturen in der Backstube. Besprochen wurde alles einvernehmlich im Familienrat. Bisher.

Das änderte sich, als Anja kurz nach ihrem 13. Geburtstag merkte, dass sie schwanger war. „Ich hatte Panik und wusste nicht, was ich machen sollte“, erinnert sie sich. „Deshalb entschied ich mich erst einmal dafür, zu schweigen. Heute weiß ich, dass ich einfach vor den Tatsachen davonlaufen wollte“, sinniert sie.

Das klappte bis zur 27. Schwangerschaftswoche. „Als es schließlich schon körperlich unmöglich wurde, die Schwangerschaft weiter zu verheimlichen, beichtete ich alles weinend meinen Eltern“, erzählt Anja. Ihre Mutter reagierte zwar geschockt, doch stresserprobt, wie sie durch den kleinen Familienbetrieb nun mal ist, bekam sie auch diese Situation gebacken und stand ihrer Tochter bei.

Am 26. März 2003 brachte die Teenie-Mutter die kleine Kim auf die Welt, rund zehn Wochen zu früh!

Kleine Mutter, ganz groß! Chapeau!
Kleine Mutter, ganz groß! Chapeau!

Die Geburt selbst verlief normal. „Meine Kim musste aber noch zehn Wochen zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben“, meint Anja.

Wenige Tage später saß sie schon wieder in der 8. Klasse und lernte fürs Leben. Das hat die gelernte Verkäuferin inzwischen noch mehrmals auf eine harte Probe gestellt.

Die Jugendliebe ging in die Brüche. Tochter Kim ist durch eine Ganzkörperspastik behindert und wird nie laufen oder stehen können. „Aber wir nehmen den Rollstuhl an, versuchen alles in Bewegung zu setzen, damit Kim trotzdem so viel wie möglich erlebt“, sagt Anja.

Die 1,64 Meter kleine zarte Mutter kämpft mächtig für sie, ermöglicht ihr sogar regelmäßige Campingurlaube in Kroatien oder auch Trips zu Autorennen, die Kim begeistert verfolgt. Einmal durfte sie sogar in einem Rennwagen mitfahren. Bei solchen Abenteuern erwischt sich Anja auch mal dabei, wie sie an ihren großen Traum, einmal Eventmanagerin zu werden, denkt. „Ich weiß, dass ich zwar meine Jugend verloren, doch durch Kim auch ganz viel gewonnen habe. Ich war mit 13 Jahren praktisch erwachsen“, ist sich Anja sicher.

Sohnemann Ric, den sie mit ihrem neuen Partner bekam, versteht sich auch prächtig mit Kim. Zusammen lebt die vierköpfige Familie in einer selbst um- und ausgebauten schicken behindertengerechten Wohnung. Es ist das Wohlfühlnest der vierköpfigen Familie, die schon so viele Herausforderungen bestand.