Nach heftigem Ärger: Wie geht es nun weiter beim Kreuzchor?

Dresden - Die Kruzianer haben eine turbulente Zeit hinter sich. Kaum jemals zuvor stand der Kreuzchor so stark in der Kritik wie in den zurückliegenden eineinhalb Jahren. Mit Beginn der neuen Saison hat sich die ganz große Aufregung vorerst gelegt, doch gibt es Veränderungen.

Sind sie zwischen Chor und Schule überlastet? Die Kruzianer bei einem Auftritt.
Sind sie zwischen Chor und Schule überlastet? Die Kruzianer bei einem Auftritt.  © Steffen Füssel

Spricht man vom Kreuzchor, muss man unterscheiden zwischen den Kruzianern und der Chorleitung. Die Kritik der jüngsten Zeit zielte nicht auf die jungen Sänger, sondern auf die Leitungsebene, Kreuzkantor und Chormanagement. Es beschwerten sich Eltern und Ex-Kruzianer, unter anderem in einem offenen Brief im letztjährigen Sommer.

In ihrem Kern richteten sich die Beschwerden auf zwei Vorwürfe. Erstens: Der Chor löse sich in seinen Aktivitäten mehr und mehr aus der religiösen Bindung, weil er weltlichen Auftritten den Vorzug gebe - vom Auftritt vor Sponsoren bis zum Stadionkonzert -, er betreibe in Marketing und Außendarstellung zu viel Kommerz.

Zweitens: Viele der Kruzianer würden durch den Termindruck überfordert, worunter besonders die schulischen Leistungen zu leiden hätten. Neben der Chorleitung im Kreuzfeuer: Thomas Reiche, Mitarbeiter des MDR und Vater von zeitweilig drei Kruzianern, der auf Honorarbasis in den zurückliegenden Jahren maßgeblich am Chormarketing mitgewirkt hat, mit Schwerpunkt auf dem Jubiläumsjahr 2016 (800 Jahre Kreuzchor).

Öffentlich hochgekocht war der Ärger zusätzlich, als im Sommer 2017 fünf Kruzianer die Proben für die Abschlusstournee schwänzten und daraufhin von der Tournee ausgeschlossen wurden. Kreuzkantor Roderich Kreile und Chormanager Uwe Grüner mussten sich rechtfertigen.

Kreuzkantor Roderich Kreile (61) bei der Arbeit.
Kreuzkantor Roderich Kreile (61) bei der Arbeit.  © Erik Münch

Veränderungen stehen nun an beim Kreuzchor. Man habe "einen Kompromiss gefunden" und "Prioritäten gesetzt", so Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (41, Linke). Eine Reaktion auf die Kontroversen der zurückliegenden Monate.

Hauptaufgabe des Chores sei die Vermittlung sakraler Musik in Dresden sowie die musikalische Ausbildung der Jungen, so Klepsch. Erst in zweiter Hinsicht soll der Chor als Kulturbotschafter und Werbeträger in Erscheinung treten, national wie international. Der Honorarvertrag von Thomas Reiche wurde nicht verlängert.

Ihm sei von einem Kompromiss nichts bekannt, entgegnet Kreuzkantor Kreile. Vielmehr sei, was da angemahnt würde, längst schon Praxis beim Kreuzchor. "Die musikalische Ausbildung der Jungen und die Chordienste in der Kreuzkirche haben von jeher Priorität für uns", so Kreile. Doch müsse er gegenüber der politischen Seite klarstellen, was der Chor heutzutage brauche.

Kreile: "Wir müssen darum kämpfen, wahrgenommen zu werden. Dazu gehören Tourneen, dazu gehört Marketing." Als Beispiel führt der Kreuzkantor den asiatischen Markt an. Ungefähr alle drei Jahre reisen die Kruzianer nach Japan oder China: "Wenn wir das nicht mehr bedienen, sind sofort andere Chöre da."

Nicht zur Disposition stehe auch das Stadionkonzert: "Ein Konzert für die Dresdner. Deren Steuergelder machen unsere Arbeit möglich." Den Marketing-Profi Reiche würde er nur zu gern weiter an den Kreuzchor binden: "Ein hoch kreativer Kopf. Der Chor braucht ihn."

Das Kreuzchor-Konzert im DDV-Stadion in der Vorweihnachtszeit ist jedes Jahr ein großer Erfolg für den Chor.
Das Kreuzchor-Konzert im DDV-Stadion in der Vorweihnachtszeit ist jedes Jahr ein großer Erfolg für den Chor.  © EPA/Matthias Rietschel

Die Kritik der zurückliegenden Monate an seiner Chorpolitik hat Spuren hinterlassen beim Kreuzkantor, dabei fühlt er sich zu Unrecht angegriffen. Kreile: "Was da von außen an uns herangetragen wurde, enthielt nichts, was unserer Wirklichkeit gerecht wird."

Gleichwohl räumt er ein, dass insbesondere das Risiko der Überforderung der Chorjungen ein Problem ist: "Mit diesem Thema beschäftigen wir uns schon sehr lange", so Kreile.

Man wolle den Jungen mehr freigeben, ihnen ein höheres Maß an Individualität zugestehen und ihre schulischen Leistungen fördern helfen. Mehr Flexibilität in Proben- und Konzertplanung sei dafür notwendig, sagt der Kreuzkantor.

Die Anzahl der Auftritte habe man schon vor dem Jubiläumsjahrgang in allen Formaten zurückzufahren begonnen. Kreile: "Anders ist das nicht zu machen."

Der Chor trete, zum Beispiel, statt wie früher bei 25 Vespern pro Saison nur noch bei 18 auf, auch die Zahl der musizierten Gottesdienste sei zurückgegangen. Bei Konzertreisen sei man erfinderisch. Mittels kürzerer Tourneezeiträume oder kleinerer Besetzungen ließe sich Druck von belasteten Chorsängern nehmen, die zu Hause bleiben dürften.

Zusammen mit den Verantwortlichen der Kreuzschule sowie Eltern habe man mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet. Dort würde geplant und organisiert, würden Probleme besprochen und gelöst, so Kreile.

Diskutiert werde etwa zurzeit, wie jenen Kruzianern zu helfen sei, denen der Spagat zwischen Chor und Gymnasium in schulische Not bringt. In Arbeit sei eine "Lex Kreuzchor" für die Kreuzschule. Kreile: "Wir wollen den betroffenen Schülern die Möglichkeit verschaffen, an der Kreuzschule den Oberschulabschluss zu machen."

Druck von den Kruzianern zu nehmen, scheint das Gebot der Stunde zu sein. Dabei gilt es, die Ansprüche eines Spitzenchores, die allgemeinen Bedürfnisse der Chorgemeinschaft und die individuellen Bedürfnisse der Jungen immer aufs Neue auszutarieren.