Energieminister Wolfram Günther zur Lage auf dem Gas-Markt: "Wir müssen auf alles vorbereitet sein"

Sachsen - Seit Donnerstag strömt wieder Gas durch Deutschlands wichtigste Gasader, Nord Stream 1. Doch die Unsicherheit bleibt: Wird das Gas aus Russland weiter fließen? Werden wir die Gasspeicher bis zum Winter füllen können? Oder droht uns das große Bibbern? Bei der aktuellen Hitzewelle wohl kaum vorstellbar. Doch die Alarmstufe des Notfallplans Gas bleibt bestehen und das Ziel damit klar: Energie einsparen, wo es nur geht. Wir sprachen unter anderem mit Sachsens Energieminister Wolfram Günther (49, Grüne) über die aktuelle Lage.

Wolfram Günther (49, Grüne), Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL).
Wolfram Günther (49, Grüne), Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL).  © ronaldbonss.com /Ronald Bonss

TAG24: Herr Günther, Energiesparen ist das Gebot der Stunde. Wo spart Sachsen?

Wolfram Günther: In Sachsen wird wie überall im Moment Energie eingespart. Das ist schon allein eine Reaktion auf die stark gestiegenen Preise. Unternehmen, private Haushalte, die Kommunen und die gesamte öffentliche Verwaltung schauen ganz genau, wo sie ihren Gasverbrauch reduzieren können.

Wer sind die größten Energiefresser in Sachsen?

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Ich spreche nicht von Energiefressern. Es gibt Industriebetriebe, die viel Energie benötigen und die volkswirtschaftlich für Sachsen unverzichtbar sind. Schwerindustrie, Chiphersteller, Automobilindustrie und viele andere haben sich schon lange vor Kriegsbeginn auf den Weg hin zur Energieeffizienz und zur Klimaneutralität gemacht. Diese Unternehmen fordern seit Langem, dass Sachsen den Ausbau erneuerbarer Energien ermöglicht. Und diese Unternehmen rechnen mit sehr spitzem Stift, wie sie Gas einsparen können.

"Dienstlich bin ich vollelektrisch unterwegs"

Eine Erdwärmepumpe macht Eigenheimbesitzer unabhängig von Gas. Wer sich jetzt dafür entscheidet, muss aber mit Wartezeiten von bis zu einem Jahr rechnen.
Eine Erdwärmepumpe macht Eigenheimbesitzer unabhängig von Gas. Wer sich jetzt dafür entscheidet, muss aber mit Wartezeiten von bis zu einem Jahr rechnen.  © imago/biky

Gehen Sie mit gutem Beispiel voran?

Energiesparen gehört für mich immer schon zum Alltag. Zu Hause machen wir uns jetzt aber noch mehr Gedanken darüber. Angesichts der wirklich stark gestiegenen Energiepreise wissen Verbraucher sehr genau, wie und wo sie sparen können. Wir haben eine starke Verbraucherzentrale in Sachsen. Die bietet wertvolle Unterstützung. Dienstlich bin ich vollelektrisch unterwegs und nutze, wo immer möglich, Zug und Fahrrad. In der Landesverwaltung und auch in meinem Ministerium schauen wir gerade, wie wir Energie sparen können. Die Ideen reichen von Änderungen beim Heizen und den Anwesenheitszeiten bis zur Warmwasserversorgung in den Verwaltungsgebäuden.

"Beim Ausbau von Grünstrom hat Sachsen viel zu lange geschlafen"

Die Schwerindustrie gehört zu den größten Gasverbrauchern.
Die Schwerindustrie gehört zu den größten Gasverbrauchern.  © imago/Sylvio Dittrich

Welche Alternativen zum Gas könnte Sachsen "aus dem Hut zaubern"?

Deutschland hat seine Abhängigkeit von russischem Gas binnen weniger Wochen von 55 Prozent auf rund ein Drittel reduziert und die Abhängigkeit sinkt weiter. Die Bundesregierung handelt hier sehr pragmatisch und zielgenau. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ganz kurzfristig lässt sich nur ein Teil des benötigten Gases durch andere Energieträger ersetzen, in kommunalen Heizkraftwerken etwa durch Öl. Beim Thema Heizen sind Wärmepumpen ein sehr guter Weg, von Gas wegzukommen. Und es gibt sehr große Potenziale bei der Nutzung von Abwärme oder Abfällen. Mittelfristig gibt es sehr klare Alternativen: der Ausbau von Grünstrom, das Hochfahren der grünen Wasserstoffwirtschaft. Beim Thema Wasserstoff ist Sachsen sehr weit. Beim Ausbau von Grünstrom hat Sachsen viel zu lange geschlafen. Hätten wir mehr Erneuerbare, wäre unser aktuelles Problem sehr viel kleiner. Für die Zukunft will ich, dass Sachsen von den riesigen Chancen der Energiewende profitiert und sehr rasch unabhängig von fossilen Energieimporten aus Russland wird.

"Ernste Sorgen machen mir die hohen Gaspreise"

Deutschlands größter Gasspeicher in Rehden (Gazprom Germania GmbH) steht unter Treuhandverwaltung des Bundes. Der Füllstand beträgt etwa 30 Prozent.
Deutschlands größter Gasspeicher in Rehden (Gazprom Germania GmbH) steht unter Treuhandverwaltung des Bundes. Der Füllstand beträgt etwa 30 Prozent.  © imago/Fotostand

Glauben Sie, dass wir über den Winter kommen oder sollten sich die Sachsen besser auf einen kalten Winter einstellen?

Unter anderem sind private Haushalte, Krankenhäuser und Pflegeheime in einer Gasmangellage gesetzlich besonders geschützt. Stand jetzt wird niemand im Kalten sitzen. Die deutschen Gasspeicher sind für die Jahreszeit gut gefüllt (Anm. d. Red.: zirka 65 Prozent). Entscheidend ist, ob sie sich bis zum Herbst weiter wie geplant füllen. Ernste Sorgen machen mir die hohen Gaspreise. Die sind ein Problem für private Haushalte genauso wie für die Wirtschaft. Und deshalb hat Berlin Entlastungspakete auf den Weg gebracht, diskutiert über weitere Entlastungen und hat Gesetze angepasst, um etwa Gaskunden zu schützen. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Jede Kilowattstunde, die wir schon jetzt einsparen, hilft uns im Winter.

Städte denken über Einsparungen nach

Allen voran steht die Beheizung und im Sommer sogar der Betrieb von Hallenbädern auf dem Prüfstand.
Allen voran steht die Beheizung und im Sommer sogar der Betrieb von Hallenbädern auf dem Prüfstand.  © Uwe Meinhold

Nach Ausrufung der Alarmstufe hatte der Deutsche Städtetag schnell reagiert und eine Maßnahmenliste zur Energieeinsparung herausgegeben.

So versprechen zum Beispiel die Absenkung der Wassertemperatur in Schwimmhallen 15 Prozent oder das Abschalten von Lüftungsanlagen sogar 100 Prozent Sparpotenzial. Doch haben Sachsens Städte schon Maßnahmen ergriffen?

"Die Taskforce hat ihre Arbeit aufgenommen. Derzeit werden alle Möglichkeiten des Energiesparens für alle Gebäude und Einrichtungen zusammengetragen und Einsparpotenziale errechnet", erklärt Dresdens Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen (56, Grüne).

Als erster Schritt wurden in der Landeshauptstadt bereits mit Beginn der Sommerferien fast alle städtischen Schwimmhallen geschlossen. Auch in Chemnitz und Leipzig werde momentan noch die Lage sondiert.

Leipzig prüft Einsparmöglichkeiten

Sehenswürdigkeiten wie dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal könnte in den Abendstunden bald das Licht ausgeknipst werden, um Energie zu sparen.
Sehenswürdigkeiten wie dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal könnte in den Abendstunden bald das Licht ausgeknipst werden, um Energie zu sparen.  © Sergey Dzyuba

"Eine möglichst detaillierte Liste mit Einsparmöglichkeiten der Kommune soll am kommenden Dienstag vorliegen und dann vom Oberbürgermeister und den Beigeordneten diskutiert werden. Dabei gilt es abzuwägen zwischen den Einsparpotenzialen auf der einen und den Alltagseinschränkungen für die Menschen auf der anderen Seite", erläutert Leipzigs Pressesprecher Matthias Hasberg.

So sei etwa der Verzicht auf ein Anstrahlen öffentlicher Gebäude wie Völkerschlachtdenkmal oder Rathaus gut denkbar. Auch Hallenbäder und Schulen stünden auf dem Prüfstand.

"Allerdings lässt sich die Raumtemperatur in Schulen nicht so einfach reduzieren, hier gibt es gesetzliche Vorgaben. Möglicherweise müssen parallel Gesetze oder Richtlinien geändert werden", sagt Hasberg.

Das planen Brüssel und Berlin

Krisen-Kanzler Olaf Scholz (64, SPD) kündigte vergangene Woche neue Maßnahmen an, darunter das Energiesicherungspaket.
Krisen-Kanzler Olaf Scholz (64, SPD) kündigte vergangene Woche neue Maßnahmen an, darunter das Energiesicherungspaket.  © Britta Pedersen/dpa

Als Reaktion auf eine mögliche Gas-Mangellage hat die EU-Kommission einen Notfallplan vorgestellt. Dieser sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten ihren Gasverbrauch um mindestens 15 Prozent senken sollen - notfalls auch unter Zwang.

Zudem sollen für die Wirtschaft finanzielle Marktanreize geschaffen werden, damit Unternehmen freiwillig auf Gas verzichten. Kommende Woche werden die EU-Minister voraussichtlich darüber abstimmen.

Bundesumweltminister Robert Habeck (52, Grüne) kündigte ein neues Energiesicherungspaket an. Darin werden unter anderem höhere Gasspeicher-Vorgaben gemacht - 95 statt 90 Prozent bis 1. November.

Zudem soll mehr Erdgas eingespart werden durch die Reaktivierung von Braunkohlekraftwerken sowie die zunehmende Verstromung aus Biogas und Solaranlagen. Auch ein Heizungscheck für Gasheizungen soll verpflichtend werden.

Titelfoto: ronaldbonss.com /Ronald Bonss

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