Zum 80. Geburtstag: Sigmund Jähn blickt zurück

Erich Honecker verlieh Sigmund Jähn 1978 eine Medaille und den Ehrentitel 
„Fliegerkosmonaut der Deutschen Demokratischen Republik“.
Erich Honecker verlieh Sigmund Jähn 1978 eine Medaille und den Ehrentitel „Fliegerkosmonaut der Deutschen Demokratischen Republik“.  © DPA

Dresden - Sigmund Jähn war 1978 der erste Deutsche im All. Die DDR feierte den Vogtländer als Volkshelden. Bis heute ist sein Name wohl jedem hier bekannt.

Kurz vor seinem 80. Geburtstag hielt der Kosmonaut im Interview mit „Morgenpost am Sonntag“-Redakteurin Pia Lucchesi inne, um auf sein ruhmreiches Leben zurückblicken.

Dabei gewährt er tiefe Einblicke in seinen privaten Orbit.

Jähn schwelgt in Kindheitserinnerungen, ruft sich die bewegendsten Momente seiner Jugend ins Gedächtnis - und verrät seine Pläne und Wünsche für den runden Geburtstag.

Ein sehr bewegtes Leben

Aus dem Familien-Fotoalbum: Sigmund Jähn 1942 am Hasenstall hinter seinem 
Wohnhaus.
Aus dem Familien-Fotoalbum: Sigmund Jähn 1942 am Hasenstall hinter seinem Wohnhaus.  © Eberhard Mädler

Sigmund Jähn erblickte am 13. Februar 1937 in Morgenröthe-Rautenkranz das Licht der Welt.

Er besuchte die Volksschule im Ort und lernte danach Buchdrucker in Klingenthal. Ab 1955 leistet er Militärdienst bei den Luftstreitkräften der ehemaligen DDR. Er wurde Offiziersschüler an der Fliegerschule, Jagdflieger und studierte 1966 - 1970 an der Militärakademie Monino der Luftstreitkräfte der damaligen UdSSR.

1976 begann er seine Kosmonautenausbildung im sowjetischen „Sternenstädtchen“ bei Moskau. Nach seinem Raumflug arbeitet er am Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde.

Nach 1990 war Jähn als freier Berater im russischen Kosmonautenausbildungszentrum für das deutsche Astronautenzentrum und seit 1993 auch für die European Space Agency tätig.

So wird gefeiert

Familie, Freunde, Freude: Sigmund Jähn wird seinen runden Geburtstag in seinem Geburtsort im Vogtland feiern - im Kreis seiner lieben Verwandten, Enkel und Urenkel.

Gut dreißig Gäste erwartet er zu seinem Wiegenfest. Er will mit ihnen in einem rustikalen Landgasthaus schlemmen, Spaß haben und in Erinnerungen schwelgen. „Ich bereite gerade eine Powerpoint-Präsentation mit Bildern aus meinen Leben vor“, verrät der Jubilar.

Er sagt: „Geschenke wünsche ich mir keine. Das Leben hat mich reich beschenkt.“

Vater holte ihn aus der Schule

Sigmund Jähn schaut in Dankbarkeit auf sein Leben: „Eine Karriere wie meine war nur in der DDR möglich“, glaubt er.

„Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Ich war ein guter Schüler, aber mein Vater wollte nicht, dass ich Abitur mache.“ Die Lehrer meldeten Sigmund Jähn darum heimlich in der Oberschule an.

„Mein Vater meldete mich wütend wieder ab. Er wollte, dass ich Buchdrucker lerne. Ich war schon Flugzeugführer, als ich das Abi nachholte“, erzählt Jähn.

Vogtländer aus Überzeugung

Mit dem Kopf über den Wolken, doch mit dem Herzen ganz fest im Vogtland verwurzelt:

Sigmund Jähn ist immer ein Kind seiner Heimat geblieben. „Je älter ich werde, desto wichtiger wird mir die Heimat“, sagt der Überflieger, der zwar in Strausberg (bei Berlin) wohnt, in Morgenröthe-Rautenkranz in seiner Blockhütte aber immer wieder auflebt.

13. Februar: Gemischte Gefühle

Freude und Trauer verbindet Sigmund Jähn mit dem Datum des 13. Februar.

Am 13. Februar 1937 wurde er geboren. Aber: „Meine Frau hat ihre Mutter am 13. Februar 1945 beim Bombenangriff auf Dresden verloren“, erzählt der Astronaut. Er persönlich erinnert sich noch lebhaft an die Ereignisse des 2. Weltkrieges: „Meine Eltern hatten von den Bombenabwürfen im Radio gehört. Wir gingen nachts vors Haus und sahen entsetzt, wie der Himmel Richtung Dresden rot glühte.“

Das zerstörte Dresden nach dem Bombenangriff vom 13. Februar 1945.
Das zerstörte Dresden nach dem Bombenangriff vom 13. Februar 1945.  © DPA

Der böse Lehrer

Der „Fliegerkosmonaut der DDR“ denkt heute oft an seine Kindheit.

Ein Erlebnis am 8. Mai 1945 ist ihm besonders gegenwärtig: „Mein Schulfreund Lothar und ich trafen im Ort unseren Lehrer. Der war bösartig, hat uns Kinder geprügelt und verlangte stets den Hitlergruß.“ Die Knirpse grübelten: Sollten sie nach dem Sieg der Roten Armee den verhassten Lehrer noch mit „Heil Hitler“ grüßen?

Jähn: „Wir taten es und er schaute weg. Bis heute sprechen Lothar und ich von dem Tag.“

Das Kriegsende 1945: Russische Soldaten in den Trümmern der 
Reichskanzlei.
Das Kriegsende 1945: Russische Soldaten in den Trümmern der Reichskanzlei.

Es gibt schon Urenkel

Weltall-Eroberer und Familien-Mensch: Sigmund Jähn ist beides. „Ich weiß, dass es ein großes Glück und keine Selbstverständlichkeit ist, so eine gute, lange Ehe führen zu können“, bekennt der Generalmajor a. D.

Der „Held der DDR“ und „Held der Sowjetunion“ spricht voll Stolz und Liebe von seiner Familie. Insgesamt sieben Enkel und vier Urenkel haben seine beiden Töchter Sigmund Jähn geschenkt.

In Neuhardenberg entstand 2007 diese Aufnahme. Sie zeigt Sigmund Jähn mit 
seiner Frau Elke und seinem Enkelchen Jakob.
In Neuhardenberg entstand 2007 diese Aufnahme. Sie zeigt Sigmund Jähn mit seiner Frau Elke und seinem Enkelchen Jakob.  © dpa/Patrick Pleul

Ein Aktivist in Sorge

Sigmund Jähn hat die Erde aus dem All gesehen. Seinen Blick auf die Probleme der Welt hat das verändert.

Der (noch) 79-Jährige ist ein unermüdlicher Friedensaktivist. 2014 unterschrieb er den Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ neben Roman Herzog, Altkanzler Schröder oder Mario Adorf.

Jähn: „Ich bin in großer Sorge, wenn ich die Bilder vom Krieg im Syrien, Afghanistan oder im Osten der Ukraine.“

Rummel ist ihm peinlich

Sigmund Jähns Gesicht prangte auf Plakaten, Briefmarken, Gedenkmünzen.

Schulen, Kindergärten und Pionierhäuser trugen seinen Namen. „Mir war der ganze Rummel eher peinlich“, gesteht der bescheidene Vogtländer. Noch heute erreicht ihn täglich Fanpost. „Ich schaffe es kaum, alle Briefe zu beantworten“, sagt Jähn.

Sigmund Jähn ist bis heute der Raumfahrt verbunden. Gern wird er im In- und 
Ausland zu Vorträgen eingeladen.
Sigmund Jähn ist bis heute der Raumfahrt verbunden. Gern wird er im In- und Ausland zu Vorträgen eingeladen.

Kumpels sind ihm wichtig

Gute Freunde kann niemand trennen - weder Zeit noch Raum.

Sigmund Jähn ist das, was man eine treue Seele nennt. Er pflegt bis heute die Kontakte zu alten Klassen- und Spielkameraden im Vogtland. Zu seinem Geburtstag singen ihm die Veteranen des Gesangsvereins von Morgenröthe-Rautenkranz ein Ständchen. Der Astronaut voll Vorfreude: „Ich habe als junger Mann bei ihnen mitgesungen.“

Nichtraucher bevorzugt

War der Raumflug Schicksal oder Glück? Sigmund Jähn grübelt nicht mehr darüber. Er ist einfach dankbar dafür, dass er damals abheben durfte.

„Vier Leute sind damals nach Moskau geschickt worden. Ich stand als Nummer zwei auf der Liste für den Weltraumflug“, erinnert er sich. Vor ihm in der Reihenfolge stand Eberhard Köllner.

Im Sternenstädtchen kam dann heraus, dass Köllner gern rauchte. Das sahen die sowjetischen Weltraum-Strategen gar nicht gern und Jähn erhielt den Vorzug.

Todesangst: Der Absturz mit der MiG

Ob als Jagdflieger oder Astronaut, Sigmund Jähn kannte keine Angst. Auch nicht vor dem Tod.

Und das, obwohl er ihm als junger Mann einmal ganz tief in die Augen blicken musste: „Es passierte auf einem Trainingsflug mit einer MiG-17. Ich musste mich in letzter Sekunde per Schleudersitz aus der Maschine katapultieren. Das Flugzeug explodierte und zerschellte. Ich landete 300 Meter daneben im Wald, direkt neben einem Baumstumpf. Mir war sofort klar - das hätte mein Ende sein können“, erzählt Sigmund Jähn nachdenklich.

Und fügt hinzu: „Ich muss immer daran denken, wenn ich heute über die Autobahn von Berlin nach Dresden fahre und an dem Waldstück vorbeikomme.“

So war das mit dem Sandmann

Mit Sigmund Jähn flog auch der Sandmann ins All. Beide hatten einen hochoffiziellen Auftrag.

Jähn: „Ich sollte Filmaufnahmen für eine Kindersendung machen. Das Sandmännchen trug zu diesem Zweck sogar einen extra angefertigten Raumanzug.“ Während der Live-Übertragung aus dem Kosmos zauberte Jähn dann die Puppe aus der Tasche. Ein sowjetischer Kollege zog überraschend nach und präsentierte das russische Maskottchen Mascha.

Die Kosmonauten alberten mit den Puppen rum und zelebrierten die „kosmische Hochzeit“ von Mascha und dem Sandmann. Das fanden die DDR-Fernsehmacher gar nicht lustig. Die Aufnahmen wurden nicht gezeigt.

Auch das TV gratuliert

Das MDR-Fernsehen widmet dem Raumfahrer zum Geburtstag einen Themenabend.

Am 12. Februar um 23.55 Uhr nimmt Moderator Mirko Drotschmann seine Zuschauer mit auf eine Zeitreise. Das Porträt „Sigmund Jähn - Der erste Deutsche im All“ berichtet chronologisch vom Interkosmosflug UdSSR/DDR im August 1978.

Per Raumschiff in die Ewigkeit

Oberstleutnant Sigmund Jähn und der Kommandant Oberst Valerij Bykowski nach der 
Landung.
Oberstleutnant Sigmund Jähn und der Kommandant Oberst Valerij Bykowski nach der Landung.

Am 26. August 1978 brach Sigmund Jähn ins All auf. Zusammen mit dem sowjetischen Kommandanten Valerij Bykowski hob er in Baikonur mit der Sojus 31 ab.

Der fliegende Vogtländer stattete der sowjetischen Orbitalstation Saljut 6 einen Besuch ab, machte Fotos von der Erde und führte im Raumschiff verschiedene Experimente durch.

In sieben Tagen, 20 Stunden und 49 Minuten umrundete der Weltraumpionier aus Sachsen insgesamt 125 Mal die Erde. Das Fernsehen berichtete in mehreren Live-Schaltungen von dem Geschehen im All.

Noch heute kommt Sigmund Jähn ins Schwärmen, wenn er von der Schwerelosigkeit und seinem Raumflug erzählt: „Der Blick auf die Erde, die Polarlichter, die zerbrechlich wirkende Atmosphäre, die rasch aufeinanderfolgenden Sonnenaufgänge - all diese Bilder haben sich für immer in mein Gedächtnis eingegraben.“

Signierstunde im Raumfahrtmuseum: Sigmund Jähn hat Fans in Ost und West.
Signierstunde im Raumfahrtmuseum: Sigmund Jähn hat Fans in Ost und West.

Fernsehkameras standen auch in der kasachischen Steppe bereit, um die Rückkehr zur Erde von Bykowski und Jähn zu filmen. Was die Reporter damals verschwiegen: Die beiden Männer hatten am 3. September 1978 eine äußerst unsanfte Landung. In der kasachischen Steppe überschlug sich ihre Kapsel mehrmals. Jähn verletzte sich damals an der Wirbelsäule - bis heute plagen ihn Rückenschmerzen.

Ebenfalls verschwiegen wurde damals, dass Sigmund Jähn kurz vor seinem Trip ins All Opa geworden war. Ein Großvater als Himmelsstürmer, das war den sozialistischen PR-Strategen suspekt.

Überhaupt muss man sagen: Die Berichte über das Space-Projekt waren durchchoreografiert. Der Flug wurde bis zum letzten Tag geheim gehalten.

Das SED-Zentralkomitee übersandte am Morgen des 26. August 1978 den Chefredakteuren sämtlicher DDR-Zeitungen und Radiosender drei verschlossene, durchnummerierte Umschläge. Die Umschläge durften erst nach Anweisung geöffnet werden.

Einer enthielt Fotos, Texte und eine Überschrift: „Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR“. Der Wortlaut des Briefes wurde überall in der DDR veröffentlicht...

Museum überrascht mit neuem Exponat

Vor dem Raumfahrt-Museum steht ein Jagdflugzeug des Typs MiG 21-F13. Sigmund 
Jähn flog es einstmals.
Vor dem Raumfahrt-Museum steht ein Jagdflugzeug des Typs MiG 21-F13. Sigmund Jähn flog es einstmals.

Happy Birthday, Sigmund! Die Deutsche Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz bereitet eine Geburtstags-Überraschung für Sigmund Jähn vor.

Museums-Leiterin Karin Schädlich ist schon ganz aufgeregt: „An seinem Ehrentag wollen wir ein neues Exponat in unserer Dauerausstellung enthüllen.“ Sie will noch keine Details verraten. Nur so viel: „Es ist ein großes, schönes Stück aus der Geschichte der russischen Raumfahrt.“

Erst kommenden Sonnabend erreicht das Exponat das Vogtland. „Hoffentlich läuft alles nach Plan“, sagt Schädlich etwas bange. Der 13. Februar 2017 wird im Kosmonauten-Museum im Zeichen von Sigmund Jähns Weltraum-Flug stehen.

Karin Schädlich: „Wir werden in unserem Kino historisches Film- und Videomaterial zeigen.“

Die Raumfahrtausstellung (Bahnhofstraße 4, 08262 Muldenhammer) ist täglich von 10 -17 Uhr geöffnet. Eintritt: Erwachsene 6 Euro, ermäßigt 3,50 Euro. Familienkarte 16 Euro.

Respekt vor so viel Größe

Ein Kommentar von Pia Lucchesi

Ich war fünf Jahre alt, als Sigmund Jähn 1978 für die DDR das Tor zum Weltraum aufstieß. Mir war es schnuppe, dass Honecker danach die Propagandamaschine hochtouren ließ, um den ersten Deutschen im All als Sieg des Sozialismus zu vermarkten. Für mich war „Siggi“ so oder so ein Held. Ich stand als Schülerin gern am Straßenrand, um ihm zu winken. Drei Mal hatte ich als Reporterin bisher das Glück, mit Sigmund Jähn zu sprechen. Ich gestehe: Mit jedem Interview schließe ich ihn weiter in mein Herz. Meine Hochachtung ihm gegenüber wächst von Gespräch zu Gespräch ins schier Unendliche. Sigmund Jähn kennt keine Starallüren. Er kam hoch hinaus. Doch als Mensch hob er nie ab. Bis heute tritt er bescheiden in Erscheinung. Das, mehr als sein Sternenflug, macht ihn für mich zum wahren Star.