So schlecht steht es wirklich um Sachsen

Leipzig - Die Beamten in der JVA Leipzig waren mit der Situation überfordert, aber trotzdem sicher, alles richtig zu machen. Typisch Sachsen? Sind Fehler von Politik, Polizei und Justiz nur ein Symptom oder längst symptomatisch? Nach den Vorwürfen kommt jetzt wieder hoch, was in der Vergangenheit hier vermeintlich unter den Teppich gekehrt werden sollte:

Skandal um Landesbank

Vorstände der Landesbank Sachsen verspekulieren sich, sodass das Institut 2008 von der Landesbank Baden-Württemberg übernommen werden muss. Wegen der Krise tritt sogar Ministerpräsident Georg Milbradt zurück. Der Freistaat muss eine Landesbürgschaft von 2,75 Milliarden Euro übernehmen, zahlt bis heute!

 
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Sachsen-Sumpf

In den 1990er-Jahren sollen Staatsanwälte, Richter, Politiker und Wirtschaftsbosse in die Prostitution Minderjähriger und in Immobiliengeschäfte verwickelt sein. Der Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages kommt 2009 zu keinem einheitlichen Ergebnis über die Affäre „Sachsensumpf“. Stattdessen werden Prozesse wegen Verleumdung und übler Nachrede gegen ehemalige Zwangsprostituierte und Journalisten eröffnet, die die offiziellen Erklärungen anzweifeln

 
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Organisationsfehler

Am 19. Februar 2011 werden hilflose Polizeibeamte bei Übergriffen von Neonazis und Nazi-Gegnern in Dresden förmlich überrannt. Aufgrund der massenhaften Erfassung von Handy-Daten an diesem Tag muss später Polizeichef Dieter Hanitsch sein Amt räumen

 
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JVA-Pannen

Im November 2014 konnte der verurteilte Vergewaltiger Mario Mederake (kidnappte im Januar 2006 die 13-jährige Stephanie R. aus Dresden) aufs Dach der JVA Bautzen klettern. Es war bereits das zweite Mal! Schon im November 2006 stieg er der Dresdner Haftanstalt am Hammerweg aufs Dach, blieb dort 20 Stunden.

 
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Übersehen oder überfordert?

Obwohl der 2015 in Dresden von einem Landsmann getötete Flüchtling Khaled B. (†20) aus Eritrea Messerstiche an Hals und Brust aufweist, erkennt die Polizei zunächst "keine Hinweise auf Fremdeinwirkung“.

 
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Beschwichtigen und abwiegeln

Erst wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (62, CDU) in Heidenau bedroht, dann Bundespräsident Joachim Gauck (76) in Bautzen beschimpft - zu den Einheitsfeiern am 3. Oktober in Dresden beide. Die Polizei nennt das "freie Meinungsäußerung“.

 
 

Führungsschwäche

Ministerpräsident Stanislaw Tillich (57, CDU) wird immer wieder zum Getriebenen. Er gibt Versäumnisse erst dann zu, wenn der öffentliche Druck steigt. Lange erkannte die Staatsregierung kein Problem mit Rechtsradikalen in Sachsen. Erst vier Tage nach dem Suizid des Syrers räumte Tillich jetzt ein: "Der Suizid hätte verhindert werden müssen, in jedem Fall.“

 
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Fazit

Sozialwissenschaftler Prof. Raj Kollmorgen (53) von der Hochschule Zittau-Görlitz attestiert Sachsen einen „höfischen Führungsstil und ein Klima politischer Behördenkultur, die immun gegen Kritik von außen“ ist. Arroganz und Selbstüberschätzung seien der Nährboden für falsch verstandenen Nationalstolz.

Das seit 26 Jahren CDU-dominierte Staatssystem gilt als verkrustet. "Wer jetzt darüber jammert, dass Sachsen erneut bis auf die Knochen blamiert dasteht, darf nicht Ursache und Wirkung vertauschen“, sagt auch Linken-Chef Rico Gebhardt (53). "Es ist das von der CDU-Regierung verschuldete Staatsversagen, das zu dem Gesamtbild führt, das Sachsen heute abgibt.“

Sozialwissenschaftler Kollmorgen warnt, dass übersteigerter Regionalstolz "zunehmend in Ablehnung von und Abschottung vor allem Fremden umschlägt“. 

Und nicht nur Vizeministerpräsident Martin Dulig (42, SPD) stellt sich die Frage, „ob die Sympathien für PEGIDA & Co. bei der Polizei vielleicht größer sind als im Durchschnitt der Bevölkerung“.