Schwester Anna ist Nonne aus Leidenschaft

Für die Osternacht bringt die Ordensfrau das Prozessionskreuz aus der Sakristei in die Kirche.
Für die Osternacht bringt die Ordensfrau das Prozessionskreuz aus der Sakristei in die Kirche.  © Steffen Füssel

St. Marienthal - "Halleluja." Es ist Ostersonntag, der höchste Feiertag in der katholischen Kirche. Die Christusbräute im Ostritzer Kloster St. Marienthal preisen heute den Herrn, schmettern das Loblied in den höchsten Tönen und schäumen über vor Freude - fast so wie frisch gezapftes Klosterbräu. Eine der Nonnen aus der Zisterzienserinnen-Abtei ist Maria Anna Rademacher (37), kurz Schwester Anna genannt. Sie stimmt die Liturgie an.

Alles begann mit einem Praktikum. Im März 2003 packte die damals 24-jährige Berlinerin ihren Koffer ins Auto. "Ich brauchte einen Schnitt", erzählt sie. Es gab nichts mehr, das sie in der Großstadt hielt.

Auf der Suche nach einem festen Platz im Leben, kam sie nie so richtig an - weder beruflich noch privat. Die Kauffrau für Bürokommunikation tingelte von einem Job zum nächsten. Ob Call-Center oder Handwerksfirma, stets passte etwas nicht. "Ich konnte es nicht definieren." Die Unsicherheit zermürbte sie. Auch in der Liebe fand die junge Frau keinen Halt. Der Ex-Freund wählte den Freitod, als sie 19 Jahre alt war. Groß, hübsch, mit strahlenden Augen, verschenkte sie ein zweites Mal ihr Herz. Ein Engländer wurde die große Liebe ihres Lebens. Im fernen Berlin träumte sie zärtlich von einer Zukunft im britischen Devonshire.

"Ich liebe dieses Land. Cornwall sollte mein Zuhause werden." Doch es kam anders. Eines Tages riss der Kontakt ab. Seine Eltern erzählten ihr Wochen später von dem Autounfall. Er hatte nicht überlebt.

Angekommen in Marienthal, ließ sie sich auf den neuen Rhythmus ein. "Als ich das Praktikum antrat, wollte ich noch nicht in den Orden eintreten", erzählt sie. Doch irgendwie passte plötzlich alles, das Leben, der Ort. Schnell realisierte sie, dass Ordensschwestern "ganz normale Menschen" sind, die lachen, sich auch mal ärgern, schimpfen oder weinen. Der Entschluss, ins Kloster einzutreten, war bald gefasst. Während ihrer fünfjährigen Ausbildung lernte sie auch den Umgang mit der Enthaltsamkeit. Neben gregorianischen Chorälen, Ordensgeschichte und der Regel des Heiligen Benedikt stand im Generalat in Rom auch Psychologie auf dem Stundenplan.

Professor Amadeo Cencini damals: "Sexuelle Energien sind eine wichtige Triebfeder für den Menschen. Da kommt ihr definitiv nicht drum herum."

Neben dem Kloster St. Marienthal befindet sich der östlichste Weinberg Deutschlands. Zu den Osterfeiertagen öffnen die Winzer den Weinkeller zum Ausschank.
Neben dem Kloster St. Marienthal befindet sich der östlichste Weinberg Deutschlands. Zu den Osterfeiertagen öffnen die Winzer den Weinkeller zum Ausschank.  © Steffen Füssel

Dass Nonnen angeblich sexuell nicht ausgelastet sind, dieses Klischee empfindet Schwester Anna unterdessen als sehr überstrapaziert.

"Es ist ja nicht so, als würden wir ständig nur an unsere Sexualität denken! Im Gegenteil. Da wir uns bewusst auf geistliche Themen konzentrieren, kommt das Thema nur selten auf. Und falls doch, leiten wir unsere ‚Frühlingsgefühle‘ eben in andere Aktivitäten. Das geht wunderbar."

So kann man mit einem Hochgefühl ins Gebet gehen, sagt sie. Es ist womöglich der gleiche Eindruck, den andere beim Essen oder Tanzen gehen empfinden.

Doch Schwester Anna bleibt eine Frau. Und sie hört die biologische Uhr ticken. Wenn der Kinderwunsch in ihr aufflackert, macht sie sich die hormonellen, chemischen Prozesse ihres Körpers als Ursache bewusst. Das gehört zum Opfer. Für mehr Freiraum verzichtet Schwester Anna auf eine Familie. Unverständnis ärgert sie. "Zölibat heißt, wir bleiben offen für die Anrufe von Gott." Das Telefon kann jederzeit klingeln. Am anderen Ende der Strippe sind meist Menschen in Not. "Helfen ist unsere Berufung."

Beten gehört dazu, tagaus, tagein, schweigend allein oder gemeinsam im Chor, sieben Mal am Tag, für die großen Anliegen dieser Welt: Frieden, soziale Versorgung und Liebe. Von Gründonnerstag bis Ostersonntag wird es besonders feierlich. 40 Tage nach Aschermittwoch sind die Nonnen auf "Halleluja-Entzug".

Die Fastenzeit endet, Jesus ist auferstanden, die Kirche proppenvoll. Die Orgel stimmt den Hochfestton an. Je bedeutender die Feier, desto komplizierter die Melodie. Es ist Schwester Anna, die die erste Zeile singt. Die Schwestern stimmen ein, höher als sonst. Denn die Erweckung naht.

Schwester Anna fand ihre Berufung als Braut Christi im Kloster St. Marienthal.
Schwester Anna fand ihre Berufung als Braut Christi im Kloster St. Marienthal.  © Steffen Füssel

Was sind Zisterzienserinnen?

Die Zisterzienser sind 1098 aus den Benediktinern hervorgegangen.

Da die Benediktiner rein juristisch gesehen kein Orden im engeren Sinne sind, sondern eine Föderation rechtlich selbständiger Klöster, sind die Zisterzienser sogar der erste christliche Orden überhaupt.

Die Ostritzer Zisterzienserinnen-Abtei ist das älteste Frauenkloster in Deutschland, das seit seiner Gründung 1234 ununterbrochen besteht.

Doch der Orden hat Nachwuchssorgen.

Aktuell leben nur 13 Nonnen dort, die Kapazitäten reichen für 40.

Eine Bronzestatue vor dem Kloster St. Marienthal erinnert an Johannes Paul II. Durch die Beleuchtung der Tomatenreiferie in Bogatynia, Polen, ist zu den Abendstunden ein heller Schein zu sehen.
Eine Bronzestatue vor dem Kloster St. Marienthal erinnert an Johannes Paul II. Durch die Beleuchtung der Tomatenreiferie in Bogatynia, Polen, ist zu den Abendstunden ein heller Schein zu sehen.  © DPA / Pawel Sosnowski

Ein Kloster im „Oster-Stress“

Der Oster-Stress im Kloster St. Marienthal begann bereits Gründonnerstag mit der Fußwaschung durch Äbtissin Elisabeth Vaterodt. Die anschließende Festmesse widmete sich dem letzten Abendmahl.

Der Karfreitag mit der großen Gedenkfeier stand dann ganz im Zeichen der Kreuzigung.

Der Sonnabend war dem Totengedenken gewidmet. Bereits die gestrige Lichtfeier in der Osternacht stimmte auf den Ostersonntag ein, bevor heute um 9 Uhr die Glocken zur Messe läuten.

Den ganzen Tag über singen die Schwestern Lobgesänge.