Wenn der Lehrer gar kein Lehrer ist: Immer mehr Seiteneinsteiger im Beruf

Rüdiger Berg (Mitte) unterrichtet in Stuttgart in einer Berufsschulklasse der it.Schule Fachinformatiker im 3. Lehrjahr im Fach. (Archivbild)
Rüdiger Berg (Mitte) unterrichtet in Stuttgart in einer Berufsschulklasse der it.Schule Fachinformatiker im 3. Lehrjahr im Fach. (Archivbild)  © DPA

Stuttgart - Lehrer fehlen derzeit allerorten. In ihrer Not greifen die Länder zunehmend auf Seiteneinsteiger zurück. Zwar sind diese sofort einsetzbar, aber ihre Einstellung bringt auch Probleme mit sich.

Seiteneinsteiger sind nach der Definition der Kultusministerkonferenz (KMK) Menschen mit Hochschulabschluss, die keine Lehramtsprüfung und kein Referendariat absolviert, aber eine pädagogische Zusatzqualifikation - teilweise berufsbegleitend - erhalten haben.

Die Praxis ist in den Ländern sehr unterschiedlich. Vor allem Sachsen und Berlin setzen auf Seiteneinsteiger. In Sachsen war im laufenden Schuljahr schon mehr als jeder zweite neu eingestellte Lehrer gar kein richtiger Lehrer. Bayern, Hessen und das Saarland kamen 2016 hingegen ganz ohne solche Lehrkräfte aus.

Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, bemängelt die schlechte Bedarfsplanung der KMK.

"Angesichts der derzeitigen Pensionierungswelle war der Ersatzbedarf ja vorher erkennbar. "Nicht erwartbar sei hingegen der Zustrom von Flüchtlingsfamilien 2015 gewesen, der die Einstellung von 16.000 Lehrkräften nach sich gezogen habe.

David Link (Mitte) unterrichtet in Stuttgart in der it.Schule eine Eingangsklasse des beruflichen Gymnasiums in dem Fach Informationstechnik. (Archivbild)
David Link (Mitte) unterrichtet in Stuttgart in der it.Schule eine Eingangsklasse des beruflichen Gymnasiums in dem Fach Informationstechnik. (Archivbild)  © DPA

Die KMK-Statistik zu Seiteneinsteigern zeigt, wo die Not derzeit am größten ist: Bei den Naturwissenschaften wurden im vergangenen Schuljahr 561 eingestellt, bei den beruflichen Fächern 513. Auch in Deutsch, Mathe, Englisch und Sport füllen Seiteneinsteiger Lücken. Aktuell sind hauptsächlich Grund- und berufliche Schulen betroffen.

In Sachsen ist das schon Realität. Wegen geringer Bewerberzahl wurden zum August dieses Jahres rund 52 Prozent der geplanten Stellen mit Seiteneinsteigern besetzt.

Die Quote ist mit 66 Prozent nicht nur an Grundschulen hoch, sondern mit 61 Prozent auch an den Oberschulen, die den Haupt- und den Realschulabschluss anbieten. Am geringsten ist sie an den Gymnasien mit 7 Prozent.

Sachsens CDU-Fraktion schlägt Alarm und fordert die Landesregierung auf, den Lehrerberuf attraktiver zu gestalten. Sie schlägt unter anderem eine auf fünf Jahre befristete Möglichkeit der Verbeamtung von Lehrern vor, die in Vollzeit ihren Dienst in Sachsen antreten. "Der jahrelange demografische Rückgang in Ostdeutschland nach der Wende ließ die Länder die Ausbildungskapazitäten überproportional zurückfahren", erklärt GEW-Chefin Tepe den Engpass. Verbeamtung sei aber nicht der Weisheit letzter Schluss:

"Brandenburg und Sachsen-Anhalt verbeamten schon seit Jahren und müssen trotzdem immer öfter Seiteneinsteiger einstellen."

David Link (r.) unterrichtet einen Schüler im Fach Informationstechnik. (Archivbild)
David Link (r.) unterrichtet einen Schüler im Fach Informationstechnik. (Archivbild)  © DPA

Der größte Vorteil von Seiteneinsteigern: Sie sind schnell einsetzbar und müssen keine sechs- bis siebenjährige Ausbildung durchlaufen. Es fehlen aber die pädagogische Erfahrung und das Vermögen, Fachwissen so aufzubereiten, dass Schüler es verstehen. Da müssen auch die Kollegen unterstützen. Tepe kennt eine sächsische Grundschule, bei der von 19 Kollegen 5 Seiteneinsteiger sind. "Das ist für das Kollegium eine hohe Belastung."

Auch die Eltern sehen Seiteneinsteiger skeptisch. "Es reicht nicht aus, wenn man gut im Fach ist - wir wollen nicht, dass Leute ohne pädagogische Ausbildung unsere Kinder unterrichten", sagt der Chef des Elternbeirates Baden-Württemberg, Carsten Rees.

Was ist zu tun, um den Lehrermangel nachhaltig zu bekämpfen? Aus GEW-Sicht muss der Beruf attraktiver werden. Verbandschefin Tepe sagt: "Gerade an den Grundschulen brauchen die Kollegen höhere Bezahlung, mehr Wertschätzung und bessere Arbeitsbedingungen." Auch eine geringere Unterrichtsverpflichtung würde helfen:

"Als ich in den 70ern im Schuldienst begann, stand ich 28 Stunden pro Woche vor der Klasse, heutige Lehrer haben das gleiche Pensum, müssen aber unvergleichlich mehr Ansprüchen gerecht werden."

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