Mitten in Sachsen! Ein Paradies voller Spielsachen

Torgau - Jörg Loebner hat das Vermächtnis seiner Ahnen erfüllt. Am 26. Mai feiert er mit seinem 65. Geburtstag zugleich sein Berufsende. Sohn Ingo Loebner (41) steht in den Startlöchern. Der Torgauer Kaufmann übernimmt mit "Carl Loebner" das älteste Spielwarengeschäft Deutschlands - und zwar in der zwölften Generation. Kein leichtes Erbe.

Generationswechsel: In 76 Tagen legt Jörg Loebner (64, r.) die Verantwortung für das älteste Spielwarengeschäft Deutschlands in die Hände seines Sohnes Ingo (41).
Generationswechsel: In 76 Tagen legt Jörg Loebner (64, r.) die Verantwortung für das älteste Spielwarengeschäft Deutschlands in die Hände seines Sohnes Ingo (41).  © Petra Hornig

Der Stammbaum hängt neben der Eingangstür. Seit mehr als 330 Jahren geht der Betrieb immer vom Vater auf den ältesten Sohn über. Fluch oder Segen? "Eher Segen", so die Loebners in einstimmiger Gelassenheit. Immerhin: "Wir hatten das schönste Kinderzimmer von Torgau", sagt der Vater. "Und das größte", ergänzt der Sohn.

An die Vorführungen im Schaufenster kann sich Senior Loebner noch gut erinnern. Während sich die Schulkameraden die Nasen an der Fensterscheibe platt drückten, ließ er die Modelleisenbahn von Piko über die Schienen rattern. Und mit "Pebe", dem Lego-Spielzeug des Ostens, baute er ganze Städte.

Auch Junior Loebner sieht seine Spielnachmittage noch lebhaft vor sich. Zu DDR-Zeiten waren in Torgau zwischen 13 und 15 Uhr immer alle Geschäfte geschlossen. "Das war meine Hauptspielzeit", erzählt er. Sohnemann durfte mit allem spielen, nur kaputtgehen durfte nichts. Einzig die Porzellanpuppen im Archiv waren tabu. "Die durften wir uns aber ab und zu mal anschauen."

Heute stehen die kostbaren Künstlerpuppen neben den Zinnsoldaten als Dauerleihgabe im Torgauer Stadtmuseum. Auch uralte Märklin-Eisenbahnen, eine Spielzeug-Armbrust, eine Puppenstube und eine "Laterna Magica" sind dort ausgestellt.

Besonders stolz sind Loebners auf die kleinste, voll bewegliche Gliederpuppe der Welt. So groß wie ein halber Cent, kann man sie nur mit einer Lupe betrachten. "Die hat ein Vorfahre von uns gedrechselt", erzählen sie.

Eine Dynastie der Torgauer Spielwaren-Könige

Das 1685 gegründete Spielwarengeschäft "Carl Loebner" ist in Torgau eine feste Instanz.
Das 1685 gegründete Spielwarengeschäft "Carl Loebner" ist in Torgau eine feste Instanz.  © Petra Hornig

Doch von vorn: Christoph Loebner war es, mit dem die Dynastie der Torgauer Spielwaren-Könige begann. Genaugenommen war es eine Hochzeitsurkunde aus der Leipziger Thomaskirche von 1685, in der er erstmals erwähnt wurde.

Ein Jahr später siedelte der Drechsler-Meister nach Torgau um, und der erste Sohn wurde geboren. Zunächst konzentrierten sie sich aufs Spielzeug-Drechseln. In Seiffen eigneten sich die Loebners die Reifendrechslerei an. Der Verkauf der Holz-Tiere florierte.

Mit dem Handwagen fuhren die Loebners zur Leipziger Messe, kauften Holz und Elfenbein und verkauften ihre Spielwaren. Doch erst ab der achten Generation war die Drechslerei endgültig Geschichte. Kaufmann Carl-Otto war der erste Loebner, der ab 1884 nur noch auf den Handel setzte.

Auch Jörg Loebner hat die Drechslerei nie interessiert. "Ich wollte eigentlich Förster werden." Doch er studierte Ökonomie und begann als Einkäufer im VEB Kombinat VERO Olbernhau. "Da habe ich verhandeln gelernt. Es gab ja nix."

1987 übernahm er schließlich das Spielwarengeschäft von seinem Vater Johann-Georg. Mit seinem Lada klapperte er Kleinserienhersteller und ehemalige Kollegen vom VEB Kombinat Plasticart Annaberg-Buchholz ab.

Hin und wieder ergatterte er die stornierten Restposten fürs Nicht-Sozialistische Wirtschaftsgebiet.

Das Traditionsunternehmen geht mit der Zeit

Der Teddybär ist der beste Plüschfreund kleiner Kinder, auch im Spielwarengeschäft "Carl Loebner".
Der Teddybär ist der beste Plüschfreund kleiner Kinder, auch im Spielwarengeschäft "Carl Loebner".  © Petra Hornig

Doch mit der Währungsunion im Juni 1990 änderte sich alles auf einen Schlag. "Auf einmal standen die Vertreter Schlange." Jeder wollte das neue West-Spielzeug, das plötzlich geglitzert, gequietscht, geblinkt hat - und eine neue Ära begann.

Jörg Loebner setzte auf Umbaumaßnahmen. Die Holztheke flog raus, Küche und Stube in der ersten Etage wurden zur Verkaufsfläche und aus dem Schlafzimmer der Eltern ein Büro. Heute ärgert er sich. "Alte, knarrende Dielen und Petroleumlampen erwarten die Kunden, wenn die hier hereinkommen."

Doch nach der Wende stieg der Umsatz erstmal an. "Jede Generation hatte ihr Päckchen zu tragen", erzählt Senior Loebner. Das Spielwarengeschäft überlebte den Siebenjährigen Krieg und die napoleonische Besetzung ebenso wie die Inflation, die beiden Weltkriege und den Sozialismus. Und er sei froh, dass sein Vater das Geschäft wider aller Hindernisse durch die DDR-Zeit brachte.

Nun steht Sohn Ingo vor der nächsten Herausforderung. "Heute geht es uns wie allen anderen Geschäften." Die Innenstädte sterben aus, während die Einkaufszentren vor den Stadtmauern florieren.

Doch die Loebners gehen mit der Zeit. Vor sechs Jahren mieteten sie den alten Schlachthof als Versandlager. Inzwischen macht der Internethandel einen Großteil vom Umsatz aus. Nur eine Klippe gibt es noch. Ingo Loebner zeigt sich aber optimistisch. "Der nächste Stammhalter ist in Arbeit."

Titelfoto: Petra Hornig