Lehrerin spricht Klartext: So ist es, eine Klasse voller Flüchtlinge zu unterrichten

Erst nach einer gewissen Zeit hörten die Jugendliche auf Merle Hilbk und hatte allmählich Spaß am Unterricht. (Symbolbild)
Erst nach einer gewissen Zeit hörten die Jugendliche auf Merle Hilbk und hatte allmählich Spaß am Unterricht. (Symbolbild)  © dpa (Symbolbild)

Freiburg - Merle Hilbk, gelernte Journalistin, unterrichtete eine Flüchtlingsklasse in Baden-Württemberg. In einem "Vorbereitungsjahr Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse an berufsbildenden Schulen" (kurz "Vabo") sollten die Jugendlichen in erster Linie Deutsch lernen, doch wie das ganze ablaufen sollte, wusste keiner.

Das Projekt ist lobenswert und eine echte Chance für die geflüchteten Jugendlichen. "Vabo"-Klassen sind die Vorstufe der eigentlichen Berufsschule, doch weil dafür nicht genügend qualifizierte Lehrkräfte vorhanden sind, wird auf Quereinsteiger zurückgegriffen. Merle Hilbk ist eine von ihnen. In der Berliner Zeitung teilte sie ihre Erfahrungen mit, die allerdings nicht sonderlich gut sind.

"Was genau ich wem vermitteln sollte, wusste ich nicht, es gab weder ein Lehrbuch für den Unterricht noch einen Einführungskurs – nur den Vabo-Leitfaden, in dem stand, dass das Vabo eine interpersonale und atmosphärische Infrastruktur für das Ankommen in Deutschland bereitstellen solle", berichtet Hilbk.

Der Unterricht gestaltete sich chaotisch und alles andere als zufriedenstellend. 17 Schüler, 14 junge Männer und drei Frauen zwischen 15 und 20 Jahren, waren Teil der Vabo-Klasse. Ein kultureller Querschnitt der Welt saß direkt vor ihr.

Syrien, Irak, Afghanistan und Nigeria - viele Schüler waren aus ihren Heimatländern geflohen. Doch so schrecklich wie die Flucht, die die Jugendlichen erlebt hatten auch sein mag, die Hintergründe ihres einstigen Lebens sind konfus.

Vor allem die Jungs zeigten zunächst wenig Engagement. Dies besserte sich allerdings mit der Zeit. (Symbolbild)
Vor allem die Jungs zeigten zunächst wenig Engagement. Dies besserte sich allerdings mit der Zeit. (Symbolbild)  © dpa (Symbolbild)

"Von einem älteren Jungen hieß es, er habe im Irak in einer Villa mit Dienern gewohnt, von einem anderen, er stamme aus einem Subsistenzfarmer-Dorf in Nigeria. Ob diese Geschichten stimmten, wusste niemand, die wenigsten hatten Papiere mitgebracht, und einige Geschichten waren voller Widersprüche. Geprüft hatte man in der Schule, wer sogenannter Erstschriftlerner, d.h. Analphabet war. Und nun sollten Erstschriftlerner mit ehemaligen Gymnasiasten zusammen unterrichtet werden", so Hilbk. Bei den Schülern biss die Journalistin auf Granit.

Die meisten männlichen Schüler hießen auf einmal "Ronaldo". Die Klasse nahm sie nicht ernst und boykottierte zu Beginn regelrecht den Unterricht.

"Als ich ein Video des Goethe-Instituts zeigen wollte, zückten zwei junge Männer ihr Handy und schalteten als Gegenprogramm ein arabisches Musikvideo auf laut. Als ich Rechtschreibung üben wollte, verabschiedeten sich zwei Mann auf die Toilette und kehrten nicht mehr zurück."

Doch die Pädagogin verschaffte sich Gehör bei den Jugendlichen, in dem sie ihre Handys einsammelte. Irgendwann war Hilbk stolz auf ihre Arbeit, denn sie erreichte ihre Schüler.

Allerdings wird sie die weitere Zukunft der Jugendlichen nicht mehr miterleben dürfen. Sie erhielt aufgrund eines fehlenden Lehramtsstudium nur einen Zeitvertrag. Am Ende des Schuljahrs ist Schluss - so gern sie auch geblieben wäre.

Titelfoto: dpa (Symbolbild)