Warum ein Mann die Mörderin seines Bruders umarmt

Dallas - Es ist ein Moment, der in die Geschichtsbücher der amerikanischen Justiz eingehen wird. Eine weiße Polizistin hatte den Bruder eines Schwarzen erschossen und wurde deshalb wegen Mordes verurteilt. Dennoch bat der Bruder darum, sie umarmen zu dürfen. Wie kam es dazu?

Das Opfer: Botham Jean (†26).
Das Opfer: Botham Jean (†26).  © Screenshot/Twitter/MeritLaw

Es war der Abend des 6. September 2018. Polizistin Amber Guyger (heute 31) kam nach einem 14-stündigen Arbeitstag müde nach Hause und fand dort in ihrer Wohnung ein Mann auf der Couch sitzend vor.

Sofort zückte sie ihre Waffe und bat diesen, mit erhobenen Händen langsam aufzustehen. Doch der Mann wurde hektisch und erhob sich zu schnell. Die Polizistin verlor daraufhin die Nerven und drückte ab.

Der 26-jährige Botham Jean ging zu Boden und verstarb laut "CNN" an seiner Schussverletzung.

Als Erstes denkt man jetzt wohl an das Wort "Notwehr". Doch die war es nicht. Guyger hatte sich nämlich, laut eigener Aussage ("CNN"), in der Etage geirrt und war gar nicht in die eigene Wohnung gegangen.

Stattdessen landete sie ein Stockwerk weiter oben in der offenbar nicht abgeschlossen Wohnung von Jean.

Doch warum erkannte sie den Nachbarn und die völlig fremde Wohnung nicht? Angeblich war es nahezu dunkel und es waren nur Silhouetten zu erkennen.

Merkwürdige Textnachrichten werfen Schatten auf Guyger

Martin Luther King Jr. (†39).
Martin Luther King Jr. (†39).  © DPA

Guyger sagte im Zeugenstand aus, dass es "nicht um Hass" ging, sondern sie nur Angst hatte, angegriffen zu werden.

Allerdings legte die Staatsanwaltschaft im Prozess Textnachrichten von ihr vor, die zumindest an ihrer Einstellung gegenüber farbigen Menschen zweifeln lassen.

Im ersten Fall ging es um die Martin Luther King Day Parade 2015. Die Polizistin war genervt bei dieser arbeiten zu müssen und schrieb mit anderen Personen darüber.

Eine Person fragte: "Wann das endlich vorbei sei? lol" woraufhin Guyger meinte: "Wenn MLK tot ist... oh Moment..."

2018 schrieb ihr ein Kollege, mit dem sie eine Affäre hatte: "Verdammt, ich war in der Gegend gerade mit fünf verschiedenen schwarzen Beamten!!! Nicht rassistisch aber verdammt." Ihre Antwort: "Nicht rassistisch, aber es gibt einfach einen anderen Weg zu arbeiten und das merkt man."

Es gab noch weitere doppeldeutige Nachrichten dieser Art, über die die Staatsanwaltschaft im Prozess meinte: "Sie zeigt, wie es wirklich in ihrem Herzen aussieht."

Nur wenige Tage nachdem sie Jean erschossen hatte, schrieb sie ihrem Kollegen übrigens schon wieder sexuelle Nachrichten.

Der emotionale Moment, wo Brandt Jean ihr vergibt

Amber Guyger (31) erschoss den Bruder von Brandt Jean (18). (Bildmontage)
Amber Guyger (31) erschoss den Bruder von Brandt Jean (18). (Bildmontage)  © Screenshot/Twitter/ethanthomas36 & Sanntt1989

Am Ende des Prozesses standen die Geschworenen wieder mal vor der schweren Aufgabe, über Schuld und Unschuld zu entscheiden.

Auf der einen Seite stand die Erklärung von Guyger, aus Angst gehandelt zu haben, auf der anderen die zweifelhaften Textnachrichten. Dazu kamen alle anderen Erkenntnisse der Gerichtsverhandlung.

Doch ihre Entscheidung war eindeutig: Schuldig wegen Mordes. Die Strafe wurde auf zehn Jahre festgelegt, nach fünf besteht Anspruch auf Bewährung.

Während es zu teils harscher Kritik gegenüber der von vielen als zu niedrig eingeschätzten Strafe kam, entschied sich der 18-jährige Bruder von Botham Jean für einen ganz anderen Weg.

In einer emotionalen Ansprache wandte er sich an Guyger und vergab ihr. Anschließend bat er darum, sie in den Arm nehmen zu dürfen. Der ganze Gerichtssaal war den Tränen nahe.

Die Aussage von Brandt Jean im Wortlaut:

"Ich möchte nicht zum 100. Mal sagen, was Du getan hast und was Du uns genommen hast. Ich denke das weißt Du. Aber ich möchte... Wenn es Dir wirklich leid tut, und da spreche ich für mich selbst, dann vergebe ich Dir. Und ich weiß, wenn Du zu Gott gehst und ihn fragst, er wird Dir vergeben. Ich liebe Dich wie jeden anderen auch. Ich sage nicht, dass Du verrotten und sterben sollst wie mein Bruder. Ich persönlich will das Beste für Dich. Ich denke Christus Dein Leben zu geben, wäre das Beste, was Botham von Dir erwarten würde. Nochmal, ich liebe Dich als Person, ich will Dir nichts Schlechtes."

Dann fragte er, ob er sie umarmen dürfte.

Die Worte von Brandt Jean sollten für viele ein Mahnmal sein, den Konflikt zwischen Schwarz und Weiß, auch anhand dieses Falles, nicht noch weiter anzuheizen.

Titelfoto: Screenshot/Twitter/ethanthomas36 & Sanntt1989