Vater raste beide Kinder tot: Jetzt bricht die Mutter ihr Schweigen

„Das sind die Kinder“: Madlen trägt eine silberne Kette mit den eingravierten Fingerabdrücken ihrer Liebsten.
„Das sind die Kinder“: Madlen trägt eine silberne Kette mit den eingravierten Fingerabdrücken ihrer Liebsten.  © xcitepress

Dresden - Ein Tag änderte alles, teilte ihr Leben in „davor“ und „danach“. Madlen B. (40) aus Dresden verlor ihre Kinder auf grausamste Weise: Der Kindsvater raste mit ihnen absichtlich gegen einen Baum. 

Mit 150 Stundenkilometern. Er überlebte, Ramush (†5) und Laura (†4) starben. 

Es war Doppelmord aus Rache. Madlen hatte ihn verlassen, sollte dafür ewig leiden. Wie nur soll eine Mutter das verkraften, wie weiterleben? Zum ersten Mal jährt sich nun der Todestag...

Auf dem Annenfriedhof legt Madlen Blumen aufs Grab, setzt sich auf eine Bank. Sie denkt zurück an den „Tag X“. Es ist der 27. September letzten Jahres, ein Sonntag. 

„Ich erfuhr über das Internet, dass meine Kinder gestorben sind“, sagt sie leise. 

„Sie waren bei ihm. Am Abend hatte ich angerufen, doch niemand ging ran. Dann sah ich auf Facebook unser zertrümmertes Auto.“ Madlen war damals gerade am Bahnhof. „Jetzt springst du vor den Zug“, war ihr erster Gedanke. Dann wählte sie die 110.

Wenige Tage zuvor hatte sie ihren Ehemann Shaip B. (47), einen gebürtigen Kosovaren, verlassen. Er war gewalttätig, sie zog mit den Kindern ins Frauenhaus. Er sollte die Kleinen weiter sehen dürfen.

„Der Himmel ist um zwei Sternlein reicher“: Madlen B. (40) aus Dresden trauert am Grab ihrer Kinder auf dem Annenfriedhof.
„Der Himmel ist um zwei Sternlein reicher“: Madlen B. (40) aus Dresden trauert am Grab ihrer Kinder auf dem Annenfriedhof.  © Holm Helis

„Den Schmerz wegposten“

Die erste Zeit nach dem „Tag X“ konnte Madlen mit niemandem reden. „Ich verkroch mich in Trauer-Gruppen im Internet und auf Facebook. Das mache ich noch immer. Da kann ich schreiben und heulen, ohne dass es jemand sieht. Ich kann den Schmerz wegposten.“ 

Übers Internet bekam sie Zuspruch, Trost. Nutzer stickten ihr Engelchen, die sie jetzt in ihrer Tasche mit sich trägt.

Im Internet lernte sie auch den Hilfsverein „Ein Lächeln für Dich“ und Seelsorger Frank aus Nordrhein-Westfalen kennen. Sie besuchte ihn. „Er findet die richtigen Worte, weiß immer, was zu tun ist.“ 

Frank bereitet sie auch auf den Todestag vor. „Den muss ich irgendwie überstehen.“

„Ich weine fast täglich, bin ziellos, weiß nicht, wo es langgeht“, sagt Madlen. „Ich kann mir nur wenig merken, die Konzentration fehlt.“ Ihre Ärzte sagen, das wird wieder besser. „Warum soll ich noch da sein?“, fragt sich Madlen und gibt selbst die Antwort. Für Sophie (21), ihre älteste Tochter, die ihre Geschwister verlor. 

„Wir sind uns gegenseitiger Anker.“ Auch ihre Mutter Barbara (60) ist wichtig. Doch sie ist todkrank - der nächste Schicksalsschlag.

So berichtete MOPO von dem schlimmen Unfall.
So berichtete MOPO von dem schlimmen Unfall.  © MOPO24

Die Kinder am Herzen

In der Woche besucht sie Kunsttherapie, Trauerhospiz, Traumaambulanz. „Dort spreche ich darüber, wie ich am besten damit klarkomme“, sagt Madlen. „Da kann ich mal richtig abheulen.“ Wenn sie der Schmerz übermannt, greift sie an die silberne Kette, die sie um den Hals trägt: Lauras und Ramushs Fingerabdrücke sind darauf eingraviert. „Dann denke ich an was Tolles, spiele im Geiste etwas Schönes ab. Erst dachte ich, das ist Quatsch. Aber es hat funktioniert.“ Woran sie denkt, verrät sie nicht mal Seelsorger Frank.

Die verstorbenen Kinder bezieht sie weiter in ihr Leben ein. Laura liebte Pippi Langstrumpf und Pferde. Und so unternahm die Mama eine Kutschfahrt durch Dresden, stellte Lauras Bild auf die Sitzbank. Ramush wollte immer ins Straßenbahnmuseum, also ging sie hin, nahm sein Foto mit. 

„Es ist dann so, als wären sie mit dabei, als mache ich es für sie.“ Beim Kaffeetrinken mit Familie gibt es immer Benjamin-Blümchen-Torte - ganz so, wie es die Kinder liebten.

„Ich sah ihm in die Augen“

Den Mörder ihrer Kinder sah sie nur zum Prozess wieder. „Da war ich sehr stark, sah ihm in die Augen. Er ist kein Mensch.“ Hätte er den Crash besser nicht überleben sollen? „Wäre er gestorben, gäbe es jetzt keine Strafe für ihn.“

Vor dem „Tag X“ war die gelernte Hauswirtschafterin im Erziehungsjahr. Jetzt lebt sie von Hartz IV in einer Zweiraumwohnung. „Ich würde gerne was tun. Auch um abgelenkt zu sein.“ Doch noch lebt und plant sie in Etappen: Bald ist die Scheidung durch. Dann holt sie sich ihren alten Namen zurück. Laura und Ramush will sie sich auf den Arm tätowieren lassen.

Sie trinkt nicht, raucht nicht, ist nicht gläubig. Trotzdem hat sie die Hoffnung, dass Laura und Ramush jetzt im Himmel sind: „Und dass wir uns eines Tages dort wiedersehen ...“

Ramush (†5) und Laura (†4).
Ramush (†5) und Laura (†4).
Lebenslange Haft wegen zweifachen Mordes: Nach dem Urteil ging Kindesvater 
Shaip B. (47) in Revision.
Lebenslange Haft wegen zweifachen Mordes: Nach dem Urteil ging Kindesvater Shaip B. (47) in Revision.  © Ove Landgraf

Todesvater zu lebenslanger Haft verurteilt

„Hallo Madlen, verantwortlich für unseren Tod bist Du. Du hattest genug Zeit zu überlegen. Du bist schuld. Ich liebe meine Kinder“, schrieb der Kindesvater Shaip B. in dem Abschiedsbrief. 

Später setzte er sich mit den Kindern in den BMW X5. 

Auf der B6 bei Fischbach gab er Vollgas, raste gegen einen Baum. Beide Kinder waren sofort tot, der BMW zerfetzt, er erlitt nur Blessuren. 

Im März verurteilte ihn das Landgericht Görlitz wegen Doppelmordes zu lebenslanger Haft. Die Richter erkannten die Schwere der Schuld (damit keine Haft-Verkürzung). 

Die Verteidigung ging in Revision. Das Verfahren läuft noch.

Madlen, bleib stark!

Ein Kommentar von Hermann Tydecks

Ihr Ehemann raste ihre Kinder tot, um sich an ihr zu rächen. Was Mutter Madlen B. ertragen muss, ist unmenschlich. Als wir uns am Annenfriedhof trafen, fehlten mir zum ersten Mal die Worte - was mir als Journalist noch nie passiert ist.

Doch was sollte ich sagen, mit welchen Fragen soll ich anfangen?

Am Grab legten wir Blumen nieder, fanden langsam ins Gespräch. Ich lernte eine Frau kennen, die stark und tapfer ist. Ihre seelischen Wunden werden vielleicht nie verheilen. Aber vielleicht werden sie vernarben.

Madlen lebt weiter. Ein Kind ist ihr geblieben. Sie hat enge Freunde. Doch ohne das Internet wäre sie am unendlichen Schmerz zerbrochen. Sie fand Hilfe, Zuspruch, Zuwendung in Facebook-Gruppen. Zum Glück geriet sie an die Richtigen wie Seelsorger Frank. Es gibt also nicht nur Hass im Internet, sondern auch Hoffnung! Gut zu wissen!

Madlen hat gute Tage, an denen sie wieder lächeln kann. Und sie hat schlechte Tage, an denen sie auch düstere Gedanken hat, alles infrage stellt, zweifelt. Ich glaube, das ist ganz normal.

Liebe Madlen, bitte bleibe so stark und tapfer. Du bist ein Vorbild für so viele, die schlimme Verluste erlitten haben und trauern. Menschen schöpfen Kraft aus Deiner Geschichte.

Und wenn es so ist, dass Ramush und Laura vom Himmel auf Dich gucken: Sie wären stolz auf Ihre Mami! Da bin ich mir sicher.