Grabow/Dresden - All-inclusive-Urlaub gab's schon zu DDR-Zeiten - und nicht nur in FDGB-Ferienheimen! Ein Prestige-Ferienobjekt der Deutschen Werkstätten Hellerau versprach Betriebsangehörigen die perfekte Welle an der Ostsee. Bis zur Wende. Heute ist es ein verlassener Ort mit morbidem Charme.
Wir trafen ein Pärchen, das hier perfekte Familienurlaube verbrachte und über den Verfall der Anlage "nur weinen könnte".
Zwischen ihren Urlaubsbildern noch in schwarzweiß und den aktuellen Fotos liegen 44 Jahre! Wir lassen das Betriebsferienheim wieder auferstehen. Sind Sie bereit für eine Zeitreise?
44 Jahre in tiefste DDR-Vergangenheit
Wir schmeißen die Zeitmaschine an und beamen uns 44 Jahre in tiefste DDR-Vergangenheit. Sommer 1981. In Dresden packt Familie Vielhauer ihre Koffer, um an die Ostsee zu fahren - zur legendären Badewanne der Sachsen. Die Kinder Thomas (damals 10) und André (14) packten die Schwimmreifen ein.
In aller Herrgottsfrühe geht's um 3 Uhr los. "Wir wollten in Berlin nicht in den Berufsverkehr kommen", sagt Familienvater Jochen (heute 70). Statt wie heute über die Autobahn ging es damals noch über die B 96. Jochen: "Es kursierte der Spruch, nehmt Essen mit, wir fahren durch Brandenburg."
Ziel der Reise war das Betriebsferienheim der Deutschen Werkstätten Hellerau in Grabow, am Südzipfel der Ostseeinsel Rügen. Jochen hatte einen der begehrten Urlaubsplätze auf der Insel Rügen ergattert und wusste schon ganz genau, was ihn erwartet.
"Schließlich hatte ich 1974 geholfen, die Ferienanlage mit aufzubauen", erzählt er.
Bungalows für Wanderarbeiter
Wie sah es hier 1976 zur Eröffnung aus? In der damaligen LPG-Schafscherstation gab es Bungalows für Wanderarbeiter.
"Die beiden großen Stallgebäude wurden zu einem Bettenhaus und einem Sozialtrakt mit Ferienunterkünften, Speisesaal mit Küche, Fernseh- und Klubraum, Rezeption mit Barausschank und Stammtisch umgebaut sowie mit Reetdächern frisch abgedeckt", erinnert sich Jochen.
Insgesamt konnten 130 Urlauber in Zwei- bis Fünfbett-Zimmern und den umstehenden acht Bungalows untergebracht werden. Toilette und Waschbecken teilte man sich mit einer anderen Familie. Duschen gab es nur für das Personal. "Auf Rügen herrschte immer Wassermangel", erzählt Jochen.
"In jedem Ferienzimmer standen ein Doppelstockbett, zwei Liegen, ein Klubtischchen, zwei kleine Sessel und selbstverständlich Schränke aus unserem Möbelprogramm MDW 80 aus unserem Betrieb", sagt Jochen. "Die MDW ging auch als beliebtes Tauschobjekt ins Rennen, um an Bierfässer von der Stralsunder Brauerei zu kommen."
Vollverpflegung im Ferienobjekt
Es gab eine Tischtennisplatte, abends Diavorträge. "Wir badeten im Greifswalder Bodden gleich vor der Anlage oder ein paar Kilometer weiter am Gelben Ufer an der Steilküste, wo es weißen Sand gab - natürlich FKK", erinnert sich Mutter Barbara Vielhauer (83). "Als wir zum Mittagessen zurück ins Objekt gingen, deckten wir unsere Sachen einfach nur mit einem Handtuch ab."
Die Badepause zur Siesta war unabdinglich, schließlich gab's im Ferienobjekt Vollverpflegung. "Mittags wurde vor allem frischer Fisch aufgetischt, abends gern mal Brathering und der selten zu ergatternde Hering mit Tomatensoße aus der Büchse", weiß Barbara noch genau.
Improvisieren war auch im Urlaub angesagt. Der Windschutz war aus Besenstielen und Polsterabfällen aus der Möbelproduktion zusammengebastelt. Gardinenstoff musste als Mückenschutz herhalten. "Und weil es keine Sonnenhüte gab, haben wir uns aus Bettlaken selber welche geschneidert.
Aus Frotteewaschlappen wurden zudem farbliche Monogramme aufgenäht, damit die Kappen unterscheidbar waren", sagt Barbara.
13 Tage All-inclusive-Urlaub für 408 DDR-Mark
Dass man im Urlaub die Kollegen von der Arbeit wiedersah, störte damals keinen. Im Gegenteil. "Wer mit dem Zug anreiste, für den nahmen wir gern mal Luftmatratzen im Trabi mit", sagt Jochen.
408 DDR-Mark kosteten die vier Vielhauers 13 Tage All-inclusive-Urlaub in den Farben der DDR. Zum Vergleich: "Auf meinem Lohnzettel als Tischler standen damals 672 Mark Lohn", sagt Jochen.
Insgesamt siebenmal war die Dresdner Familie in Grabow. Natürlich ging einmal auch der Trabi durch einen versteckten Stein in einer Pfütze kaputt "und wir mussten tagelang auf der Insel nach Ersatzteilen rumgurken".
Natürlich gab es zum Zeitvertreib die typischen Tischtennis- und Skatturniere mit Frühschoppen. Und natürlich müssten immer Luftmatratzen und das kleine Segelboot von Thomas mit hoch an die See. Im Winter war das Objekt für Urlauber übrigens geschlossen, wurde für Schulungen des Zentralen Forschungsinstituts für Verkehrswesen (ZFIV) genutzt.
Der Zeitsprung zurück in die Gegenwart tut weh. Heute taugt das alte Grabower Ferienobjekt nur noch für traurige Fotos von zerfallenen Bungalows, defekten Reetdach-Unterkünften und zerschlagenem Inventar.
Treuhand verscherbelte die Anlage - der Todesstoß!
Seit der Firmengründung 1898 in Dresden planen und fertigen die Deutschen Werkstätten Hellerau technisch anspruchsvolle Innenausbauten. Aus dem Betrieb kamen auch die beliebten DDR-Anbauwände MDW 80 und 90 - Bückware im DDR-Möbelhandel. "Aktuell arbeiten 350 Angestellte bei uns, bauen vor allem für Megajachten, Villen und Apartments", sagt Marketingchef Konstantin Kleinichen. In den letzten Wochen der DDR waren es 600.
Eine Ferienkommission teilte den Mitarbeitern den Ostseeurlaub im betriebseigenen Ferienobjekt auf der Rügener Halbinsel Zudar zu. Jeder hatte etwa alle zwei Jahre ein Anrecht auf diesen Platz.
Nach der Wende ordnete die Treuhand an, dass sich die Firma von betriebsfremden Aktivitäten trennen und das 18 400 qm große Objekt verkaufen musste. Für 1,3 Mio. D-Mark ging die Ferienanlage an einen privaten Investor, verfällt seit 1990.