Nazi-Verstrickung der Familie von Maler-Legende: Vorwürfe auch gegen Dresdner Archivleiter

Dresden - Seit Oktober wird der in Dresden geborene, weltberühmte Künstler Gerhard Richter (93) in Paris mit einer großen Werkschau gefeiert.

Künstler Gerhard Richter (93). (Archivfoto)  © Rolf Vennenbernd/dpa

Am kommenden Freitag, dem 12. Dezember, öffnet im Dresdner Albertinum die Jubiläumsausstellung "20 Jahre Gerhard Richter Archiv. Werke, Materialien, Kuriosa".

In die Ausstellungsvorbereitung hinein platzt ein aktueller SPIEGEL-Beitrag, der die - teils bekannten, teils bislang nicht bekannten - Naziverstrickungen der Familie Richters offenlegt und den Künstler wie auch den Leiter des Dresdner Gerhard Richter Archivs, Dietmar Elger, mit mindestens indirekten Vorwürfen konfrontiert.

Richters Familie und das NS-Regime

Dietmar Elger (r.) zusammen mit Gerhard Richter im Albertinum. (Archivfoto)  © Gerhard Richter 2022/Gerhard Richter Archiv Dresden

Die Archivfunde zeigen laut SPIEGEL, dass Richters Familie stärker in das NS-Regime eingebunden war als bisher bekannt. Demnach war sein Vater Horst Richter nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern hatte bereits vor Kriegsbeginn der SA angehört und war dort als zuverlässig und pflichtbewusst eingestuft worden.

Noch gravierender erscheinen der Recherche nach die Erkenntnisse über Richters Onkel Alfred Schönfelder, Bruder seiner Mutter Hildegard Richter. Dieser erscheint in den Akten als überzeugter Nationalsozialist, SA-Mann und später als "Vertrauensmann" des Sicherheitsdienstes. In seiner Tätigkeit als Jurist habe er ausgerechnet in Bereichen gewirkt, die mit erb- und rassenpolitischen Vorgaben des Regimes - etwa den rechtlichen Grundlagen von Zwangssterilisationen - verbunden waren.

Dieser Befund wirke besonders widersprüchlich, weil seine eigene Schwester Marianne, Richters Tante, an einer Psychose erkrankt gewesen sei, 1938 zwangssterilisiert und kurz vor Kriegsende in der Heil- und Pflegeanstalt im sächsischen Großschweidnitz ermordet wurde.

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Es zeige sich in den Akten "eine gespenstische Schnittmenge zwischen der Krankheit Marianne Schönfelders und der Karriere ihres sieben Jahre älteren Bruders Alfred", so DER SPIEGEL: "Sie lassen den Schluss zu, dass die Familie des späteren Malers enger mit dem Nationalsozialismus verwoben war als behauptet."

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Es geht um auffällige Zurückhaltung

Gerhard Richters "Tante Marianne" in der Gedenkstätte Großschweidnitz.  © Eric Münch

Der Artikel zeichnet nach, wie die Inhalte der Akten bisher nicht in Richters offizieller Biografie oder im Dresdner Richter-Archiv berücksichtigt wurden. Dabei richtet sich der Vorwurf nicht auf offene Vertuschung, sondern auf eine auffällige Zurückhaltung: Der SPIEGEL-Beitrag legt nahe, dass weder Richter noch Dietmar Elger, Leiter des Richter-Archivs und wichtigster Kenner von Leben und Werk, die widersprüchlichen Angaben oder offenen Fragen wirklich vertieft haben.

Demnach habe Richter, von Elger in Büchern zitiert, seine Eltern "als unpolitisch" bezeichnet. Dadurch sei eine vereinfachte Familienerzählung weitergetragen worden, in der Täterrollen kaum vorkamen. Der SPIEGEL spricht in diesem Zusammenhang wörtlich von "Weichzeichnung".

Gerhard Richter hat sich in vielen Werken mit der NS-Zeit auseinandergesetzt, oft über historische Fotografien und Familienmotive. Ein Schlüsselwerk ist "Tante Marianne" (1965), das seine - später ermordete - Tante Marianne Schönfelder zusammen mit ihm als Säugling zeigt.

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Im selben Jahr entstand "Onkel Rudi", ein Porträt seines Onkels in Wehrmachtsuniform, das die Täterrolle innerhalb der Familie reflektiert. Die Mechanismen der NS-Verbrechen behandelt Richter etwa in "Herr Heyde" (1965), das den Euthanasie-Gutachter Werner Heyde zeigt. Später widmete er sich dem Birkenau-/Auschwitz-Zyklus (2014), bei dem er Fotografien aus den Vernichtungslagern zunächst abmalte und dann abstrakt übermalte, als Reflexion über Völkermord, Schuld und Erinnerung.

Bewusst oder unbewusst ausgeblendet?

Am 12. Dezember 2025 eröffnet im Dresdner Albertinum die Jubiläumsausstellung "20 Jahre Gerhard Richter Archiv. Werke, Materialien, Kuriosa". (Archivfoto)  © Steffen Füssel

Insgesamt zeigt sich in Richters Werk ein kontinuierliches Ringen mit der braunen Vergangenheit. Dennoch: Insgesamt bewiesen die neuen Quellen laut SPIEGEL, dass in Richters Familie Opfer- und Täterrollen eng nebeneinanderstanden - ein Spannungsfeld, das bisher weder in seiner Biografie noch in der Interpretation seines Werks vollständig berücksichtigt worden sei.

Die Enthüllungen stellen weder die Bedeutung seiner Kunst noch seine kritische Haltung infrage, sie lassen jedoch offen, ob Richter und sein Umfeld bestimmte Aspekte der eigenen Vergangenheit unbewusst oder bewusst ausgeblendet haben. Die Frage wird gestellt: "War am Ende auch Richter blind für die wahre Geschichte seiner Familie?"

"Offenkundig lag dem Maler daran, dass seine Familie als unideologisch wahrgenommen wurde", schreibt der SPIEGEL. Und weiter: "Eine Hilfe dabei war ihm Dietmar Elger, der Leiter des in Dresden ansässigen Gerhard-Richter-Archivs, der seit Langem eng mit dem Maler zusammenarbeitet, Bücher über ihn verfasst hat und eine Art Sprachrohr ist."

Vom SPIEGEL auf die Recherche angesprochen, reagierte Richter schriftlich: "Es hat mich schon erschrocken zu lesen, dass mein Vater und mein Onkel Alfred, den ich so gut wie gar nicht kannte, Mitglieder in diesen Nazi-Vereinen waren." Aber er bleibt dabei: "Dass meine Eltern unpolitisch waren - davon bin ich auch heute überzeugt. Ich habe sie nicht anders wahrgenommen." Auch Elger gab laut SPIEGEL an, dass ihm diese Sachverhalte bislang unbekannt gewesen seien.

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Dietmar Elger weist die Darstellung gegenüber TAG24 zurück

Archivleiter Dietmar Elger empfindet den indirekten Vorwurf gegen ihn als unfair.  © Norbert Neumann

Dietmar Elger, Archivleiter, Biograf und Gerhard Richter ein Vertrauter, weist die SPIEGEL-Darstellung gegenüber TAG24 in seinem Namen wie dem des Künstlers zurück. "Der Artikel klingt so, als wäre ich ein Erfüllungsgehilfe, mit dessen Hilfe Richter die Naziverbindungen seiner Familie verschleiern wollte", so Elger.

"Gerhard Richter und ich sprechen sehr offen über alle Themen. Wenn er über diese Dinge etwas gewusst hätte, hätte er mir davon erzählt", ist er sich sicher.

Dass er selbst keine Recherchen in diese Richtung anstellte, erklärt Elger mit der Art seiner Aufgabe: "Als Archivleiter beschäftige ich mich mit jenem Material, das unmittelbar Richters Kunst betrifft, als Biograf interessiert mich sein Leben vor allem vor dem Hintergrund seiner künstlerischen Arbeit."

Den an ihn gerichteten Vorwurf des SPIEGEL, der aus dem Artikel herauszulesen sei, empfindet er als unfair. Elger: "Das wird mir und meiner Arbeit nicht gerecht."

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