Vom Brummifahrer zum Öko-Unternehmer: Dieser Chef aus Sachsen denkt groß - und grün

Nebelschütz - Der angestellte Brummifahrer Matthias Missale überlegte sich vor 22 Jahren, wie man Transporte besser organisieren könnte und kaufte sich seinen eigenen Lastwagen. Inzwischen ist die Missale-Group aus der Lausitz ein Unternehmen mit 70 Mitarbeitern und knapp 20 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Anders als in der Branche üblich stehen für die Firma Regionalität, Nachhaltigkeit und Rücksicht auf die Mitarbeiter im Vordergrund. Und immer wieder innovative Ideen.

Matthias Missale begann einst als angestellter Brummifahrer.  © Norbert Neumann

Hunderte ausrangierte Solarmodule warten in einer Görlitzer Halle auf ihre zweite Chance. Sie wurden durch effizientere Modelle ersetzt und sollen eigentlich entsorgt werden, obwohl viele noch ihren Dienst tun.

Bevor also Aluminium, Glas, Solarzellen und Folien für immer getrennt werden, prüfen die Mitarbeiter von Solar24 die Funktionstüchtigkeit. Bringt das Modul mehr als 90 Prozent seiner üblichen Leistung, wird es aufgearbeitet und kommt auf den Secondhandmarkt.

Von bisher 20.000 geprüften Modulen konnten 60 Prozent wieder verkauft werden. Zum einen in der Region, vor allem aber in Länder wie Ukraine oder Marokko.

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Justus Große (43), Geschäftsführer der Missale-Group: "Einen Preisvorteil gibt es nicht wirklich, hier geht es prinzipiell um den Mehrwert und die Nachhaltigkeit. Denn warum soll ich ein funktionsfähiges Modul nicht wiederverwenden?"

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Die Görlitzer Firma erzeugt ihren Strom ebenfalls aus eigentlich ausrangierten Paneelen.  © Norbert Neumann
Ein altes Solarmodul wird auf seine Funktionsfähigkeit geprüft.  © Norbert Neumann

Matthias Missale landet einen Glücksgriff

Weit über die Hälfte erhalten eine zweite Chance.  © Norbert Neumann

Solar24 ist die jüngste Tochter der Firmengruppe aus Nebelschütz. Sie ist die einzige in Ostdeutschland, welche dieses Geschäftsmodell für sich entdeckt hat.

Es ist ein wachsender Markt, denn die Wertstoffhöfe der Landkreise wissen mit der steigenden Flut entsorgter Solarmodule nichts anzufangen. Und für Missale bringt es solcherlei Aufträge, für die das Unternehmen eigentlich gegründet wurde: Transporte.

Nach der Wende schlug sich der gelernte Installationsmechaniker Matthias Missale (55) über Jahre im nervenaufreibenden Außendienst durch. Bis er die Anstellung als Fahrer in einer kleinen Spedition fand. Dort lernte er auch schnell die Geheimnisse der Logistik. Dann ging er voll ins Risiko: Er nahm einen Kredit auf, um einen eigenen Lastwagen zu finanzieren.

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Doch der Plan, als selbstständiger Einzelkämpfer zu agieren, ging nicht auf. An die lukrativen Aufträge kam man so nicht ran. Folglich stockte er seine Flotte Jahr für Jahr auf und koordinierte seine Kollegen vom Fahrerhaus aus. Missale lieferte Ton aus der Lausitz nach Norditalien zu namhaften Fliesenherstellern. Aber der ganze Bürokram wuchs ihm schon bald über den Kopf.

In der Tongrube Kamenz war ihm ein junger Betriebswirtschaftler aufgefallen, der kompetent schien. Missale brauchte schon einige Überredungskünste, um Justus Große 2009 für seine Firma als Co-Geschäftsführer zu engagieren.

Ein Glücksfall, wie sich bald herausstellen sollte - obwohl der Anspruch des jungen Mannes an Umweltschutz und Nachhaltigkeit zunächst gewöhnungsbedürftig erschien.

Justus Große brachte den Nachhaltigkeitsgedanken ins Unternehmen. Vieles kann wiederverwendet werden.  © Norbert Neumann
Die Geschäftsführer Justus Große (l.) und Matthias Missale vor ihrer blauen Flotte in Nebelschütz. Beide sind in der Region verwurzelt.  © Norbert Neumann

Lausitzer Firma setzt auf Nachhaltigkeit

Am Güterbahnhof Leipzig hat die Missale-Group ein eigenes Terminal für ihren Sachsenzug.  © picture alliance / dpa

Denn der dachte darüber nach, den Ton künftig über die Schiene nach Italien zu bringen. Inzwischen hat die Firma am Güterbahnhof Leipzig ein eigenes Verladegleis. Einmal wöchentlich bringt der "Sachsenzug" 1400 Tonnen über die Alpen. Jedes Jahr spart die Spedition so 1500 Tonnen CO₂ ein.

Damit die Laster trotzdem auf Achse bleiben, ersannen die beiden Geschäftsführer ein neues Standbein. Im Jahr 2013 wurde in Nebelschütz das Lausitzer Holzkontor eröffnet. Inzwischen kommen hier jährlich 30.000 Tonnen Altholz an. Auch lackierte Fensterrahmen oder verseuchte Bahnschwellen. Anspruch der Firma ist nicht die Entsorgung, sondern die Rückgewinnung der Ressourcen - Wiederverwerten statt Wegwerfen lautet die Devise.

Nach der Aufarbeitung wird das Holz in verschiedene Größen geschreddert und dann wieder an Firmen in ganz Europa geliefert, die daraus Laminatböden oder Spanplatten produzieren. Auch Rindenmulch und Kaminholz fallen ab.

Große: "Etwa 60 Prozent des Holzes wird wieder einer stofflichen Nutzung zugeführt." Der Rest geht in Biomassekraftwerke. Mit dem Kohleausstieg dürfte auch dieser Bedarf steigen.

Während der Pandemie brachten die Lausitzer mit "Stoffstrom24.de" ein weiteres Nachhaltigkeitsprojekt an den Markt. In diesem Vergleichsportal zum Thema Entsorgen und Verwerten finden Gewerbetreibende aus verschiedenen Regionen zueinander, um aus Abfall wieder Rohstoffe zu machen. Und für die Missale-Group fällt manchmal ein Logistik-Auftrag ab.

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Aus dem geschredderten und aufgearbeiteten Holz können dann Spanplatten hergestellt werden.  © imago/Panthermedia
Solar24 ist eine von nur drei Firmen in Deutschland, die alte Solarmodulte wieder aufarbeiten oder entsorgen können.  © Norbert Neumann

Matthias Missale und Justus Große engagieren sich in der Region

Auch in der Region werden aufgearbeitete Module verkauft. Die meisten aber gehen ins Ausland.  © Norbert Neumann

Auch wenn sie international tätig sind, engagieren sich die beiden in der Lausitz verwurzelten Geschäftsführer für die Region. Sie unterstützen Sportvereine, Schulen, Kindergärten oder die örtliche Feuerwehr. Und sie beteiligen sich an der in diesem Jahr in Nebelschütz gegründeten "Stiftung Enkeltauglichkeit".

Damit auch die Fahrer ihre Kinder und Enkel sehen, gibt es einen in der Logistikbranche nicht weit verbreiteten Grundsatz.

Große: "Unsere Mitarbeiter sind nur von Montag bis Freitag unterwegs. Wochenende ist Familienzeit." Inzwischen ist die Brummi-Flotte auf 40 Fahrzeuge angewachsen. Pro Jahr legen sie 800.000 Kilometer zurück und transportieren 500.000 Tonnen Material.

Perspektivisch sollen noch mehr Transporte auf die Schiene verlegt werden. Missale: "Wir spielen auch mit dem Gedanken, ab kommendem Jahr einen ersten Lkw mit Elektroantrieb zu holen. Bisher ist die Ladeinfrastruktur in Deutschland noch zu zweifelhaft." Sicher ist, dass der Laster dann dieselbe dunkelblaue Farbe erhält wie die ganze Flotte.

Manchmal erinnert sich Matthias Missale noch daran, wie er gemeinsam mit seiner Frau am Wohnzimmertisch dieses Blau für seinen ersten Lastwagen wählte.

"Damals mussten wir unser Häuschen verpfänden. Wäre es schiefgegangen, hätten wir auch unter der Brücke landen können." Dieses Schicksal wird ihn wohl nicht mehr heimsuchen. Info: missale-group.com.

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