Horror-Hungersnot in Somalia: Selbst zum Weinen fehlt die Kraft
Somalia - Sadak Ibrahim liegt in seinem Krankenhausbett in Mogadischu. Der Blick des Kindes geht ins Leere, Fliegen krabbeln über sein Gesicht. Er ist so schwach, dass er sie kaum verscheuchen kann. Aus seinem Mund kommt nur ein leises Wimmern - selbst zum Weinen fehlt dem Jungen die Kraft.
"Er ist mein einzige Kind und er ist sehr krank", sagt Fadumo Daoud. Um Sadak zu retten, reiste sie drei Tage lang aus der Region Baidoa im Südwesten in die Hauptstadt. Somalia ist am stärksten betroffen von der seit Jahren andauernden Dürre am Horn von Afrika.
Tag und Nacht wacht die Mutter am Bett ihres völlig unterernährten Jungen im Krankenhaus De Martino. Sadaks Beine sind nur noch Haut und Knochen, durch die Nase wird er mit Nährlösung versorgt. Während die UN-Vollversammlung in New York über Lebensmittelknappheit debattiert, betet Fadumo Daoud um das Überleben ihres Sohnes.
Hunderte andere somalische Kinder sind bereits verhungert.
730 Kinder sind zwischen Januar und Juli nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef allein in den Ernährungszentren gestorben. Mehr als eine halbe Million Jungen und Mädchen im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren sind stark unterernährt.
Seit Ende 2020 sind vier Regenzeiten in Somalia ausgefallen, auch im Oktober wird es voraussichtlich keinen Niederschlag geben. 7,8 Millionen Menschen - fast die Hälfte der Bevölkerung - sind der UNO zufolge von der Dürre betroffen, 213.000 von ihnen sind akut vom Hungertod bedroht.
Somalia besonders hart von Dürre und Hunger betroffen
Der Leiter des UN-Nothilfebüros (Ocha), Martin Griffiths, mahnte Anfang September sofortige und dringende Hilfe an – vor allem in den südlichen Regionen Baidoa und Burhakaba. Laut Griffiths ist die Lage noch schlimmer als bei der letzten Hungersnot 2011, durch die 260.000 Menschen starben, mehr als die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren.
Die Dürre und der Hunger treffen Somalia besonders hart. Um der Gewalt der seit 15 Jahren wütenden radikalislamischen Shebab-Miliz zu entgehen, verließen eine Million Somalier ihre Dörfer und zogen in die Städte, vor allem nach Mogadischu, wo sie in Slums leben.
Auch Nuunay Adan Durow, Mutter von zehn Kindern, kam aus Baidoa in die Hauptstadt. "Weil es nicht geregnet hat, haben wir seit drei Jahren nichts mehr geerntet", sagt die 35-Jährige. "Es war schrecklich. Um einen Kanister Wasser zu bekommen, mussten wir zwei Stunden laufen."
Ihr drei Jahre alter Sohn ist unterernährt, seine Gliedmaßen sind angeschwollen. Sie hat ihn in ein Gesundheitszentrum der Nichtregierungsorganisation International Rescue Committee (IRC) am Stadtrand von Mogadischu gebracht. Die Mutter wiegt den Jungen in den Schlaf, während sie auf die Behandlung wartet.
Fadumo Ibrahim Hassan: "Jetzt leben wir von dem, was Gott uns gibt"
In den sieben Gesundheits- und Ernährungszentren, die das IRC in und um Mogadischu betreibt, habe die Zahl der Neuankömmlinge seit Juni erheblich zugenommen, sagt Faisa Ali, die bei der Organisation für die Ernährung der Patienten verantwortlich ist. Die Zahl der neu aufgenommenen Kinder habe sich auf 40 pro Tag mehr als verdreifacht.
Die extreme Trockenheit trifft sogar die traditionell fruchtbaren Regionen Somalias, wie Shabeellaha Hoose, das an Mogadischu grenzt. Einst war die Gegend Zufluchtsort für von der Dürre geplagte Somalier, jetzt fliehen die Menschen selbst von dort.
"Früher haben wir Gemüse angebaut, um unsere Kinder zu ernähren", erzählt Fadumo Ibrahim Hassan. "Jetzt leben wir von dem, was Gott uns gibt." Die verwitwete Mutter von sechs Kindern kam vor einer Woche in die Hauptstadt.
Die Ärzte von IRC schickten sie mit ihrer Tochter Yusro ins De Martino-Krankenhaus, weil sie den Zustand des Mädchens für sehr ernst hielten.
Die Zweijährige wiegt gerade einmal 5,8 Kilogramm - die Hälfte des Gewichts eines gesunden Kindes in ihrem Alter.
Titelfoto: Farah Abdi Warsameh/AP/dpa