Expertin kritisiert: "Wohlbefinden von Kindern hat in Gesellschaft nicht die höchste Priorität"

Leipzig - In einem Interview mit der Uni Leipzig stand Pädagogik-Expertin Susanne Viernickel zu allen Fragen rund um Kindheit und Erziehung Rede und Antwort.

Pädagogik-Expertin Prof. Susanne Viernickel führte mit der Uni Leipzig ein ausführliches Interview über Erziehung und Bildung.
Pädagogik-Expertin Prof. Susanne Viernickel führte mit der Uni Leipzig ein ausführliches Interview über Erziehung und Bildung.  © PR/Swen Reichhold

Heutzutage sehen sich Kinder mit zahlreichen Gefahren und Bedrohungen konfrontiert, manche größer als andere. So kommen zu altbekannten Themen wie Mobbing, Gewalt in der Familie und überfordertem Kita-Personal nun auch Risiken durch die Nutzung von Sozialen Medien sowie der Klimawandel und die Corona-Pandemie dazu.

"Da gibt es Verunsicherung, Überforderung und Spannungen in den Familien sowie eine gestiegene Zahl von Kindeswohlgefährdungen", so Prof. Viernickel über die Pandemie und ihre Folgen. "Kitas mussten schließen oder boten monatelang nur Notbetreuung an. Dadurch fehlen vielen Kindern die Bildungsangebote der Einrichtungen."

Damit sei die Schere zwischen Kindern aus gutbürgerlichen Familien und Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien zwangsläufig noch größer geworden: "Wir sorgen uns, weil dadurch auch der Anteil der Kinder steigt, die schon beim Eintritt in die Grundschule abgehängt werden."

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"Die Lage hat sich zugespitzt", stellte die Expertin fest. Um allen Mädchen und Jungs - unabhängig von den Ressourcen ihrer Eltern - die gleichen Chancen auf gute Bildung zu ermöglichen, werden ihrer Ansicht nach Kitas mit besseren Arbeitsbedingungen und Löhnen sowie mehr Unterstützungsangebote für Familien benötigt. Diese Entwicklung lasse allerdings nach wie vor zu wünschen übrig.

"Das Wohlbefinden von Kindern hat in unserer Gesellschaft und auf der politischen Agenda nicht die höchste Priorität", brachte Prof. Susanne Viernickel das Problem auf den Punkt.

Kinder brauchen Raum für eigene Entscheidungen - unter den Augen der Eltern

Sowohl äußere Einflüsse wie Kita-Mitarbeitende oder Gleichaltrige als auch das Familienumfeld haben Folgen auf die kindliche Entwicklung.
Sowohl äußere Einflüsse wie Kita-Mitarbeitende oder Gleichaltrige als auch das Familienumfeld haben Folgen auf die kindliche Entwicklung.  © 123RF/candy18

Die größten Gefahren für die jüngere Generation liegt laut der Expertin allerdings nicht im äußeren Umfeld, sondern direkt in der Familie. Hier nehmen Aspekte wie häusliche Gewalt oder Vernachlässigung teilweise drastische Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung.

Um ihren Kleinen ein gesundes Heranwachsen zu ermöglichen, hat die Professorin einige Tipps für Erziehungsberechtigte: "Sie sollten ihren Kindern etwas zutrauen, sie eigenständig handeln lassen und ihnen nicht alles abnehmen. Sonst lernt das Kind: Ich schaffe es nicht allein."

Das gilt allerdings nicht für alle Lebensbereiche, beispielsweise angesichts des aktuellen Konflikts in der Ukraine: "Kriegsbilder im Fernsehen sollten Kinder nicht ungefiltert ansehen – auch nicht in Anwesenheit der Eltern." Stattdessen sollte man dann zu altersgerechten Materialen zu schwierigen Thematiken wie Flucht, Krieg oder Trauer greifen.

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Zudem sei es enorm wichtig, Kindern Bindungen zu Gleichaltrigen aufbauen zu lassen, um die Bildung von sozialer und emotionaler Kompetenz zu ermöglichen: "Ausgrenzung und Aggression kommen in der frühen Kindheit eher selten vor. Dann sind Erwachsene wie die Eltern oder das Kita-Personal gefragt, die das im Blick haben und regulieren sollten."

Titelfoto: PR/Swen Reichhold

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