Stasi-Drama über Spionin Monika Haeger: "Wie weit gehe ich für meine guten Zwecke?"

Hamburg - 1990 gab die inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin Monika Haeger (†2006) ein revolutionäres Interview über ihr geheimes Doppelleben als Spionin. Trotz des brisanten und einmaligen Stoffes gerieten ihre Aussagen schnell wieder in Vergessenheit. Regisseurin Nicole Heinrich lässt ihre Geschichte und ihre Taten in ihrem dokumentarischen Monodrama "Monika Haeger: Inside Stasi" wieder aufleben. Im Interview mit TAG24 verriet die Wahl-Hamburgerin, warum sie der Agentin ihre Reue nie wirklich abgekauft hat.

Monika Haeger gab dem ARD-Magazin "Kontraste" 1990 ein ausführliches Interview über ihre Zeit als Stasi-Agentin.
Monika Haeger gab dem ARD-Magazin "Kontraste" 1990 ein ausführliches Interview über ihre Zeit als Stasi-Agentin.  © Screenshot/Youtube/Filme zum Mauerfall

Monika Haeger träumte schon als sechsjähriges Mädchen davon, aufgewachsen im DDR-Vorzeige-Kinderheim "Königsheide", dem Sozialismus zu dienen. Später verfolgte sie ihren Kindheitstraum als Stasi-Agentin und spionierte über Jahre mehrere Widerstandsgruppen aus.

Darunter auch die Frauengruppe "Frauen für den Frieden" um Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley (†65) - am Ende war Haeger sogar mitverantwortlich für ihre Ausbürgerung.

"Wenn man auf der richtigen Seite steht, dann ist alles gerechtfertigt", war sich die Ex-Agentin sicher. Nicole Heinrich stellt Haegers Ansichten den Schilderungen zahlreicher Stasi-Opfer gegenüber, mit vielen hat die Regisseurin selbst gesprochen:

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TAG24: Frau Heinrich, Sie haben drei Jahre für Ihr Stück recherchiert, warum wollte Sie genau diese Geschichte umsetzen?

Heinrich: "Ich habe mich mit dem Frauenwiderstand in der DDR beschäftigt und bin in alten Akten immer wieder auf den Namen 'Karin Lenz' gestoßen, die Frau hat mich total fasziniert, weil sie immer so hämisch berichtet hat. Und dann habe ich Monika Haeger, wie sie wirklich hieß, das erste Mal im Fernsehen gesehen und war total geschockt. Ich habe sie mir als wunderschöne Spionin à la Mata Hari vorgestellt, aber sie wirkte auf mich ganz unscheinbar."

TAG24: Wie ist aus dieser Faszination dann ein Theaterstück entstanden?

Heinrich: "In dem besagten Fernsehinterview hat sie erzählt, dass es ihr angeblich leidtut, dass sie Stasi-Spionin war, aber irgendwie habe ich ihr das nicht abgenommen. Für mich ist Monika Haeger eine stolze Sozialistin gewesen. Sie wurde immerhin zur 'Hauptamtlichen' ernannt, und als Frau - das wird im Stück auch erzählt - war das quasi unmöglich. Dieser Stoff hat mich nicht losgelassen und ich habe das Theaterstück geschrieben. Erst als Ensemblestück, doch dann kam Corona und es wurde ein Monostück.

Sie allein auf der Bühne hat mir aber nicht gereicht, ich wollte auch die Opfer der Stasi-Diktatur zu Wort kommen lassen. Das heißt, man kriegt dann immer, wenn Haeger etwas verharmlosend erzählt, voll die Breitseite."

Regisseurin Nicole Heinrich über ihre Familie: "Meine Mutter galt als Staatsfeind!"

TAG24 besuchte Regisseurin Nicole Heinrich bei der Probe ihres Monodramas "Monika Haeger: Inside Stasi" in den Hamburger Kammerspielen. Am 17. Juni 2023 gastiert das Stück zum ersten Mal in der Hansestadt. Weitere Aufführungen in ganz Deutschland sind geplant.
TAG24 besuchte Regisseurin Nicole Heinrich bei der Probe ihres Monodramas "Monika Haeger: Inside Stasi" in den Hamburger Kammerspielen. Am 17. Juni 2023 gastiert das Stück zum ersten Mal in der Hansestadt. Weitere Aufführungen in ganz Deutschland sind geplant.  © Madita Eggers/TAG24

TAG24: Die Schilderungen der Opfer - synchronisiert von Schauspielern - hört der Zuschauer nur über ein Tonband. Warum haben Sie sich für diese Art der Darstellung entschieden?

Heinrich: "Aus ökonomischen Gründen, aber auch aus dem Grund, wenn das Licht ausgeht und nur das Tonband beleuchtet wird, kann der Zuschauer sich besser darauf konzentrieren. Wenn man nur die Stimmen hört, geht es tiefer."

TAG24: Stimmt es, dass Sie selbst familiäre Wurzeln in der DDR haben?

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Heinrich: "Meine Eltern sind beide DDR-Flüchtlinge. Ich und mein Bruder sind jetzt die erste Generation, die im Westen geboren ist. Ich habe es als Kind auch noch mitbekommen, wie der Verfassungsschutz zu uns nach Hause kam und zu meiner Mutter meinte, sie darf nicht in die DDR reisen, weil sie sonst als Staatsfeind verhaftet wird. Das war schon heftig."

TAG24: Wie hat Ihre Familie auf das Stück reagiert?

Heinrich: "Auf der einen Seite sind meine Eltern, die geflohen sind, und auf der anderen Seite der Teil der Familie, der dortgeblieben ist, ein paar von ihnen sagen: 'Uns ging es doch gut und wir konnten nach Bulgarien fahren.' Dabei gab es weder eine Reise- noch Meinungsfreiheit in der DDR. Aber es ist oft so, dass die Leute ihre Vergangenheit verherrlichen und dann sagen: 'Früher war alles besser.' Allerdings habe ich schon von vielen ehemaligen DDR-Leuten das Feedback erhalten, dass mein Stück sehr authentisch ist, und darauf bin ich schon ein bisschen stolz."

TAG24: Sie erhielten Einblicke in die Original-Protokolle von Haeger. Wie sehr haben Sie sich an die Vorlage gehalten?

Heinrich: "Ich habe mich teilweise auch meiner künstlerischen Freiheit bedient. Zum Beispiel habe ich versucht, mir vorzustellen, wie Haeger sich 1982 gefühlt hat. Der Zeitpunkt, als die 'Frauen des Friedens' sie aufgenommen haben. Natürlich sind ihre Gefühle meiner Fantasie entsprungen, ich weiß ja nicht, wie sie sich genau gefühlt hat. In dem Moment habe ich mir selber vorgestellt, wie es wäre, als Spionin zu arbeiten.

Haeger selbst sagt ja, wie cool - also cool sagt sie natürlich nicht, gab es damals ja noch nicht - es sei, sich in das 'Unentdeckte hineinzuschleichen'."

"Ich wollte zeigen, wie jemand von einer Ideologie total gefangen genommen wird!"

Schauspielerin Anja Kimmelmann beeindruckt in der Rolle der Stasi-Agentin Monika Haeger.
Schauspielerin Anja Kimmelmann beeindruckt in der Rolle der Stasi-Agentin Monika Haeger.  © Reinhold Schultheiß

TAG24: Was war die größte Herausforderung, quasi eine One-Woman-Show aufzuführen?

Heinrich: "Dass es nur eine Person ist, die ganz verschiedene Stimmungen durchmacht und zehn Jahre ihres Lebens erzählt. Normalerweise hast du dann zwei, drei Schauspieler, die die verschiedenen Stadien der Figur spielen, und hier muss Anja Kimmelmann alles alleine spielen. Aber sie macht das super, ich bin sehr froh, sie gefunden zu haben."

TAG24: Welche Intention verfolgen Sie mit Ihrem Stück?

Heinrich: "Ich wollte zeigen, wie jemand von einer Ideologie total gefangen genommen wird. Es ist ja so, dass Haeger denkt, sie steht für das Gute und deswegen sind alle ihre Taten gerechtfertigt. Ich habe dann geguckt: Wer hat das heutzutage auch? Eigentlich hat diesen Gedanken im Kleinen jeder, aber eben auch Politiker. Deswegen bezieht sich das Stück auch auf die Gegenwart. Es geht um Denunziation.

In einer Szene unterhält sich zum Beispiel ein Pärchen darüber, dass man jetzt Leute anzeigen kann, die zu viel Strom verbrauchen. Die Frau meint dann: 'Wir müssen doch das Klima schützen, wir sind für das Gute.' Ein bisschen provokant, ich weiß, aber es gibt viele solcher Gegenwartsbeispiele. Ein Psychologe, der ebenfalls im Stück zu Wort kommt, ordnet für uns ein, warum wir alle diese 'Haeger-Haltung' - wie ich sie genannt habe - in uns haben."

TAG24: Finden Sie, die Stasi-Vergangenheit ist in der Bundesrepublik zu wenig aufgearbeitet?

Heinrich: "Das Problem ist meiner Meinung nach, mal abgesehen davon, dass ganz viele Stasi-Leute nicht verfolgt worden sind und wie bei den Nazis auch wieder neue Jobs bekommen haben, dass das DDR-Thema kaum in den Schulen behandelt wird. Es fängt mit Nationalsozialismus an, dann geht es ins Mittelalter und hört mit Nationalsozialismus wieder auf. Oft heißt es dann, [Hans-Dietrich] Genscher betrat den Balkon und plötzlich ist die Mauer gefallen, dem war aber nicht so. Das erzählt ja auch Haegers Geschichte: Die Bürgerrechtler haben in der DDR schon viel vorgearbeitet."

TAG24: Was wünschen Sie sich, was die Zuschauer aus dem Stück mitnehmen sollen?

Heinrich: "Dass die Leute etwas über die DDR lernen. Viele vergessen, dass es unsere gemeinsame Geschichte ist. Fast jeder hat Verwandte, kennt jemanden oder ist selbst Ost-Deutscher. Es ist Unsinn zu sagen, das geht uns nichts an. Und vielleicht auch, dass sie ein bisschen über sich nachdenken und fragen: 'Wie weit gehe ich für meine guten Zwecke?'"

Premiere feierte das Monodrama am Frankfurter Autoren Theater in Frankfurt. Am 17. Juni 2023 kommt es genau am 70. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR in die Kammerspiele (Logensaal) nach Hamburg. Tickets gibt es hier.

Titelfoto: Montage: Madita Eggers/TAG24, Reinhold Schultheiß

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