Gibt es eigentlich noch Bunker? Hier verbergen sich die Chemnitzer Schutzräume

Chemnitz - Zivilschutz im Kriegsfall, Verhalten bei Katastrophen - was als dringliche Mammutaufgaben bundesweit diskutiert wird, war für Barbara Jentsch (81) jahrzehntelang Tagesgeschäft. Die Chemnitzerin leitete in den 1970er-Jahren das Arbeitsgebiet Bevölkerungsschutz in Karl-Marx-Stadt, war später bei Barkas und im Chemiehandel für die Zivilverteidigung zuständig. Sie sagt: "Wenn Schutzräume wieder wichtig sind, wäre es das Einfachste, zu prüfen, was es noch gibt."

Eine Stahltür verschließt in der Haydnstraße einen alten Betonbunker, der in der DDR gebaut wurde. Darüber befinden sich Garagen.  © Maik Börner

Zum Beispiel die Keller in Plattenbauten. "In der DDR musste jeder Neubau als Schutzraum Typ II errichtet werden. In solchen Räumen suchen heute die Menschen in der Ukraine Schutz. Die Kellerdecken sind extra verstärkt, sodass sie einem Drittel der Trümmerlast des Hauses standhalten. Neben den Außenwänden sind Kiesdruckwellendämpfer in den Boden eingelassen. Ein Vorraum mit gasdichten Türen diente als Zugangsschleuse, in der Nähe gab es Erdhügel, um im Notfall Kellerfenster zuzuschütten", zählt Barbara Jentsch auf. "Zur Ausstattung gehörten Luftfilter und Fahrräder zur Stromerzeugung mittels Dynamo."

Auch Fußgängertunnel waren als Zufluchtsorte für Passanten ausgelegt. "Unterführungen wie an der Zentralhaltestelle hatten an den Eingängen verschließbare Türen", weiß die einstige Zivilschutz-Expertin.

Außerdem gab es einige Großschutzbauwerke für Anwohner ohne Schutzkeller. Zum Beispiel in der Stollberger/Ecke Haydnstraße. Der Bau ist noch heute sichtbar - existiert aber offiziell nicht.

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Barbara Jentsch (81) hat ihre alte Dienstjacke aufbewahrt. Sie weiß, welche Vorkehrungen zum Bevölkerungsschutz es in Karl-Marx-Stadt gab.  © Maik Börner
Der Organisation Zivilverteidigung gehörten allein in Karl-Marx-Stadt 6000 Zivilisten an.  © Maik Börner
Die Keller des Plattenbautyps WBS 70 waren als Schutzräume konzipiert. Die Pläne enthielten genaue Anweisungen zu Kapazität und Umbau in Aufenthalts-, Liegeräumen und Aborten.  © Zeichnung: WBK/Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Stadt Chemnitz über öffentliche Schutzräume: "Es besteht erheblicher Nachholbedarf"

An der Zentralhaltestelle führten Treppen zu Fußgängertunneln, die auch als Schutzräume nutzbar gewesen wären.  © Härtelpress

"Die öffentlichen Schutzräume auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wurden nicht in das in der Bundesrepublik Deutschland vorhandene Schutzraumkonzept übernommen", so das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Einen Überblick könnten alte Akten geben: "Sie sollen im Stadtarchiv eingelagert worden sein", so Barbara Jentsch. Bisher interessierte sich niemand dafür. Bei der bundesweiten Bestandsaufnahme wurde in Chemnitz - wie im gesamten Osten - kein einziger öffentlicher Schutzraum erfasst.

Von der Stadt heißt es: "Für den Schutz der Bevölkerung vor Folgen durch eventuelle Kriege besteht erheblicher Nachholbedarf. Die Errichtung von Schutzräumen oder auch der Schutz von Kulturgut werden als große Herausforderungen gesehen."

Alte Verstecke unterm Plattenbau

Historiker Norbert Engst (41) zeigt in Kellern des Heckertgebietes, welche Schutzanlagen hinter den alten Stahltüren noch vorhanden sind.  © Maik Börner

Mit den Schutzräumen in den Kellern des Heckertgebietes hat sich auch Historiker Norbert Engst (41) beschäftigt: "In meinem Buch 'Das Wohngebiet Fritz Heckert' ist ein Kapitel diesen Anlagen gewidmet", erzählt er.

Und weiter: "Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung führt ein Archiv über Plattenbau in der DDR, in dem der Aufbau der Räume dokumentiert ist. In meinem Wohnhaus sind Luftschleuse, gasdichte Türen und Druckwellendämpfer noch vorhanden."

Auch in der Straße Usti nad Labem fand Engst noch alte Anlagen: "Hinter einer Metall-Luke auf Erdniveau fand ich einen alten Sandbunker."

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