Trotz Energiekrise: Deswegen muss sich dieser Professor aus Sachsen keine Gedanken machen

Freiberg - Während viele Deutsche sich nun in dicke Pullis und warme Decken einmummeln, dreht Timo Leukefeld (52) aus Freiberg ohne Bedenken alle Heizkörper bis zu 23 Grad Celsius Wohlfühltemperatur auf.

Die 24 Blei-Gel-Akkus können 58 Kilowattstunden zwischenspeichern.
Die 24 Blei-Gel-Akkus können 58 Kilowattstunden zwischenspeichern.  © Kristin Schmidt

Seit mehr als acht Jahren lebt er mit seiner Familie in Europas ersten bezahlbaren energieautarken Einfamilienhaus. Statt eines Energieversorgers zapft er die Sonne an, und die schickt keine Rechnung. Trotzdem würde er das Haus heute anders bauen - zu viel hat sich geändert.

"Im Winter wirst du frierend im Kerzenschein bibbern!" Der Solarpionier erinnert sich noch genau an die Warnungen und Ratschläge, als er vor zehn Jahren mit der Planung und dem Bau begann.

Doch er wollte es auch den zweifelnden Wissenschaftlern beweisen, dass ein sich selbst mit Energie versorgendes Haus auch im nicht übermäßig sonnigen Sachsen möglich ist. Inzwischen sind die Spötter verstummt.

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Die 46 Quadratmeter Sonnenkollektoren auf dem Dach heizen einen 9000 Liter großen Langzeitwärmespeicher auf - Solarthermie ist das Herzstück für Heizen und Warmwasser im Freiberger Einfamilienhaus.

Weitere 58 Quadratmeter Fotovoltaik speisen 24 Blei-Gel-Akkus, die 58 Kilowattstunden Strom zwischenspeichern können.

Ein Warmwasserspeicher für 9000 Liter - auf Solarthermie würde Leukefeld nun verzichten.
Ein Warmwasserspeicher für 9000 Liter - auf Solarthermie würde Leukefeld nun verzichten.  © Kristin Schmidt

Seit der Energiekrise erhält Leukefeld täglich Anrufe von verzweifelten Hausbesitzern

Ab Ende März ist so viel warmes Wasser übrig, dass es sogar den Pool füllen kann.
Ab Ende März ist so viel warmes Wasser übrig, dass es sogar den Pool füllen kann.  © Kristin Schmidt

Damit Leukefeld, der als Honorarprofessor auch Vorlesungen zu Energieautarkie hält, nicht schummelt, finanzierte die Bundesregierung eine Studie. Die TU Freiberg verlegte 190 Sensoren im Haus und maß drei Jahre lang jedes Grad Wärme und jedes Watt Strom.

Ergebnis: Bei der Wärmedeckung erreicht das Haus 72 Prozent - 65 waren angestrebt. Im Winter verheizt die Familie zusätzlich vier Festmeter Holz.

Beim Solarstrom werden fast jedes Jahr 100 Prozent erreicht. Leukefeld: "Es gibt Wetterschwankungen. In einem Jahr mussten wir mal acht Kilowattstunden dazu kaufen, weil der Schnee zu lange auf dem Dach lag."

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Doch in jedem Jahr sprangen auch 10.000 Kilometer für das Elektroauto heraus. Pro Jahr spart die Familie 3500 Euro, welche sie nicht an einen Versorger oder den Tankwart zahlt. Nach dem kommenden Winter wird diese Summe um vieles höher ausfallen.

Seit die Energie- und Heizpreise durch die Decke gehen, erhält Leukefeld mitunter täglich 20 Anrufe von - teils verzweifelten - Hausbesitzern. Die meisten muss er vertrösten.

Vor allem plant er jetzt energieeffiziente und im Betrieb CO2-freie Mehrfamilienhäuser, bei denen die Mieter statt der Betriebskosten eine Flatrate für Strom und Wärme in der Miete haben. Einfamilienhäuser lohnen sich (noch) nicht.

Das Haus, welches sich selbst mit Strom und Wärme versorgt, liefert als Tankstelle auch jährlich 10.000 Kilometer E-Mobilität.
Das Haus, welches sich selbst mit Strom und Wärme versorgt, liefert als Tankstelle auch jährlich 10.000 Kilometer E-Mobilität.  © Felix-Adler_Leipzig

Zentrale Heizkessel sind Geschichte: Das Haus der Zukunft setzt auf Infrarot

Bibbern im Kerzenschein wurde dem Professor prophezeit - stattdessen ist er "intelligenter" Stromverschwender.
Bibbern im Kerzenschein wurde dem Professor prophezeit - stattdessen ist er "intelligenter" Stromverschwender.  © Kristin Schmidt

Das liegt nicht nur am Preis des Autarkie-Paketes für Leukefelds Haus, der binnen zehn Jahren von 85.000 auf 130.000 Euro gestiegen ist.

Obwohl Solarthermie das Fachgebiet des Ingenieurs ist, hat er sich schweren Herzens davon getrennt: "Ein Rohrsystem, welches erhitztes Wasser durch ein ganzes Wohnhaus leitet, wird im Neubau bald der Vergangenheit angehören."

Auch Fußbodenheizungen oder zentrale Heizkessel mit der hohen Wartungs- und Reparaturanfälligkeit wird es kaum noch geben. Grund sei der Handwerkermangel.

Leukefeld: "Mit dem Frankfurter Zukunftsinstitut haben wir prognostiziert, dass in Sachsen neben Dachdeckern vor allem Heizungsmonteure fehlen werden. In zehn Jahren könnte die Arbeitsstunde 250 Euro kosten." Zu viel für Hausbesitzer.

Deshalb setzt er in seinen Projekten statt auf Heizkörper nun auf Infrarotpaneele in jedem Zimmer. Gemeinsam mit Fotovoltaik und den dazugehörigen Batterien funktioniert das System an die 30 Jahre wartungsfrei.

Durch die Strahlung werden alle Oberflächen warm - heimelig wie vom Kachelofen.

Leukefeld und sein Team haben bereits mehr als 300 selbstversorgende Wohneinheiten entworfen

Wegen der robusten Bausubstanz sind selbst DDR-Platten für die Sanierung zum Energiehaus geeignet.
Wegen der robusten Bausubstanz sind selbst DDR-Platten für die Sanierung zum Energiehaus geeignet.  © PR

Bei der Warmwasserversorgung empfiehlt Leukefeld ebenfalls eine dezentrale Lösung in jeder Wohneinheit. Für die musste er aber erst einmal als Erfinder tätig werden und entwickelte den "Autarkie-Boiler".

Dieser Wassererhitzer und -speicher ist optimiert auf Fotovoltaik und heizt vor allem dann, wenn überschüssiger Sonnenstrom vorhanden ist.

Obwohl der Selbstversorgungsgrad dadurch erheblich gesteigert wird, fand Leukefeld in Deutschland keinen Hersteller - er lässt die innen emaillierten Stahlblechbehälter mit Fassungsvermögen zwischen 125 und 200 Litern in der Slowakei produzieren.

Absoluter Clou: Anders als bei den üblichen Warmwasser-Systemen ist keine Legionellenkontrolle nötig. Sie sind nahezu wartungsfrei.

Über 300 selbstversorgende Wohneinheiten in Neubau-Mehrfamilienhäusern haben Leukefeld und sein Autarkieteam bisher entworfen und betreut - auch in Frankreich und in Österreich.

Selbst in Regionen ohne Wohnungsmangel bewerben sich bis zu 50 Mieter auf eine Wohnung, weil neben der Energie- und Heizungspauschale oft auch ein mit Sonnenstrom betriebenes Car-Sharing dabei ist.

In Aschersleben wird wegen der soliden Bausubstanz nun sogar ein alter DDR-Wohnblock energieautark saniert. Lediglich in Sachsen gibt es so ein Projekt bislang nicht. Der Professor zuckt mit den Schultern: "Der Prophet gilt nun mal nichts im eigenen Land."

Die kommunale Wohnungsgesellschaft in Aschersleben bietet künftigen Mietern eine Pauschalmiete inklusive der Energiekosten für Strom, Wärme und Elektromobilität an.
Die kommunale Wohnungsgesellschaft in Aschersleben bietet künftigen Mietern eine Pauschalmiete inklusive der Energiekosten für Strom, Wärme und Elektromobilität an.  © PR

Weitere Infos gibt's unter timoleukefeld.de.

Titelfoto: Kristin Schmidt

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