Christian Thielemann leitet seinen Abschied ein: Mittelmäßig oder gut?

Dresden - Es ist nicht das ganze Finale, aber sein Beginn. Ein halbes Jahr noch ist Christian Thielemann (64) Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle, bevor er zur anderen Staatskapelle, der Berliner, wechselt. Die Zeichen stehen auf Abschied, doch halten die verbleibenden Monate allerlei Besonderes bereit. Es beginnt mit vier Vorstellungen "Tristan und Isolde" ab Sonntag (bis 3. Februar).

Christian Thielemann (64) in einem konzentrierten Moment des Neujahrs-Dirigats in Wien.
Christian Thielemann (64) in einem konzentrierten Moment des Neujahrs-Dirigats in Wien.  © Dieter Nagl/WIENER PHILHARMONIKER/APA/dpa

Richard Wagner wünschte sich den "Tristan" betreffend eine "mittelmäßige Aufführung", nur eine solche könne ihn retten. Eine schlechte Aufführung wäre Parodie, bei einer guten fürchtete er das Verbot der Oper, ob ihrer existenziellen Düsternis und der musikalischen Rauschhaftigkeit.

Vollständig gute Aufführungen müssten "die Leute verrückt machen", nahm er an, einen Brief Wagners an seine Mäzenatin und erotische Versuchung Mathilde Wesendonck zitierend. Keine andere Oper des Komponisten genießt solchen Ruf, von keiner anderen erwartet das Publikum so lustvoll völlige Überwältigung.

Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli ist nicht neu, Premiere war im Mai 1995. Die bevorstehenden vier Aufführungen sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es ist die erste Wiederaufnahme des Stückes seit zwölf Jahren und das erste (und wohl letzte) Mal, dass Thielemann, der Wagner-Spezialist, sie an der Semperoper dirigiert.

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Gleichfalls zum ersten Mal in Dresden singt Camilla Nylund (55) die Isolde, für Star-Tenor Klaus Florian Vogt (53), der den Tristan gibt, ist es gar ein Rollen-Debüt. Vielerlei Grund, hinzuschauen und hinzuhören.

Zum Abschied: Christian Thielemann startet Reihe von Großproduktionen

Ein halbes Jahr noch ist Christian Thielemann (64) Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle.
Ein halbes Jahr noch ist Christian Thielemann (64) Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle.  © Matthias Creutziger

Für den Dirigenten beginnt damit eine Reihe von Großproduktionen zum Abschied. Am 13./14. Februar dirigiert Thielemann das Konzert zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt mit dem Deutschen Requiem von Brahms; im Rahmen der Richard-Strauss-Tage leitet er die Neuproduktion der Oper "Die Frau ohne Schatten" (Premiere am 23. März) sowie ein Sonderkonzert (6., 7. April).

Es folgen das 10. Symphoniekonzert, mit Gaststar Lang Lang (41; 19. bis 21. Mai), und, dann wirklich als Abschiedswinken, das 12. Symphoniekonzert mit Mahlers monumentaler 8. Symphonie (7. bis 9. Juli).

Der "Tristan" sei jahrzehntelang seine "absolute Lieblingsoper" gewesen, schreibt Thielemann in seinem Buch "Mein Leben mit Wagner": "Die 'Tristan'-Harmonien lösen Gefühle in mir aus, die ich kaum beschreiben kann: eine Sinnlichkeit, eine Erregung, eine Wachsamkeit, ein Genussschmeckenwollen."

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Doch ist er sparsam mit seinen Einsätzen: Außer einer Wiener Produktion 2003/2004 ging nur die Bayreuther Inszenierung von Katharina Wagner (45) von 2015 bis 2019 den Dresdner Aufführungen voran. Auch den Rausch weiß er sich vom Leib zu halten.

Der erfolgreiche "Tristan"-Interpret brauche einen "Gemütspanzer, etwas, wovon er zehren kann, während die Wogen über ihm zusammenbrechen", schreibt er in seinem Buch. Er sei "der Apotheker, der den Schlüssel zum Giftschrank immer bei sich trägt", der wisse, "wie man Bomben sicher entschärft".

Es fragt sich nur noch, ob Thielemann sich auf Wagners Forderung nach Mittelmäßigkeit der Aufführungen einlassen mag.

Titelfoto: Montage: Matthias Creutziger, Dieter Nagl/Wiener Philharmoniker/APA/dpa

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