Ein überragendes Solo! Henriette Hölzel begeistert im #MeToo-Drama "Prima Facie" im Kleinen Haus

Dresden - Eine Anwältin, die mutmaßliche Sexualstraftäter "rausboxt", wird selbst zum Missbrauchsopfer: In Suzie Millers Ein-Personen-Drama "Prima Facie" zieht Henriette Hölzel im Kleinen Haus in Dresden alle Register. Premiere war am Samstag.

Sie haut mutmaßliche Sexualstraftäter raus: Nach jedem gewonnenen Prozess fühlt sich Star-Anwältin Tessa (Henriette Hölzes) wie eine Superheldin.
Sie haut mutmaßliche Sexualstraftäter raus: Nach jedem gewonnenen Prozess fühlt sich Star-Anwältin Tessa (Henriette Hölzes) wie eine Superheldin.  © Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

Der lateinische Ausdruck "prima facie" ist ein juristischer Begriff, der so viel bedeutet wie "dem ersten Anschein nach". Besonders schwierig bei Delikten sexueller Gewalt: Was hat stattgefunden, war es einvernehmlich?

Star-Anwältin Tessa Ensler kennt sich damit aus. Sie verteidigt erfolgreich männliche Angeklagte in Fällen sexueller Übergriffe, indem sie routiniert die Glaubwürdigkeit der Klägerinnen erschüttert. Die Genugtuung über gewonnene Prozesse hat sie aber meist exklusiv.

Ihre Mutter etwa fragt: "Hast du wieder dafür gesorgt, dass ein Verbrecher frei rumläuft?" Tessa schert das nicht, sie dürfe nicht so denken: "Ich muss nur die Schwachstellen der Anklage offenlegen."

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Tessa hat es aus einfachen Verhältnissen zur Top-Juristin gebracht. Sie glaubt an das Gesetz als Fundament der Gesellschaft. Bis sie selbst vergewaltigt wird. Von Julian, einem Kollegen aus ihrer Kanzlei, mit dem sie zuvor unverbindlichen Bürosex hatte. Sie zeigt ihn an, aber erst nach 782 Tagen kommt es zum Prozess - Tessa findet sich im Gericht plötzlich auf der anderen Seite wieder und muss sich unter den Augen ihrer Mutter und den feixenden Kumpels von Julian jenen entblößenden Fragen stellen, die sie früher anderen mutmaßlichen Opfern stellte.

Ein-Personen-Drama "Prima Facie" überzeugt im Kleinen Haus

Verzweifelt und wütend: Die Verteidigerin wird selbst zur Betroffenen einer Vergewaltigung.
Verzweifelt und wütend: Die Verteidigerin wird selbst zur Betroffenen einer Vergewaltigung.  © Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

Der preisgekrönte #MeToo-Monolog der australischen Autorin Suzie Miller, selber Anwältin, wurde 2019 uraufgeführt und ist seitdem ein gefragter Bühnenhit.

In der Regie von Monique Hamelmann wird "Prima Facie" zu einer Sternstunde von Henriette Hölzel, die hundert Minuten die Bühne allein bespielt und beim Fall der skrupellosen Anwältin zum leidenden Opfer ergreifend alle emotionalen Facetten bedient.

Anfangs ist sie noch sardonisch-witzig, saust zwischendurch per Sedgewick unter wallender Anwaltsrobe slapstickhaft über die Bühne, tanzt ausgelassen nach erfolgreichen Prozessen, spricht zwei- oder dreistimmige Dialoge. Nach erlittener Vergewaltigung kippt alles.

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Sie duscht erschüttert unter symbolischen Kügelchen, macht sich beim Verhör - fast unbekleidet - klein am Bühnenhintergrund, schaukelt - wenn sie den Boden unter den Füßen verliert - kopfüber an Seilen hängend über der Bühne, muss im Kreuzverhör traumatisiert-zaudernd die Antworten leisten, die sie anfangs von Zeuginnen einforderte. Ganz am Ende wechselt sie zur wütenden Anklage wider den gleichgültigen Umgang mit sexualisierter Gewalt.

Eine atemberaubende Tour-de-Force von Henriette Hölzel, die berechtigt von sofortigen Ovationen im Stehen gefeiert wurde. Da rang sie, emotional überwältigt und leergespielt, beim donnernden Schlussapplaus kurz mit den Tränen. Ein grandioses, ein überragendes Solo - Chapeau!

Titelfoto: Montage: Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

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