Dresden - Ordnung vs. Ekstase, Vernunft vs. Anarchie: Der jüngst für den Deutschen Buchpreis nominierte Schriftsteller Thomas Melle (50) hat das antike Drama "Die Bakchen" von Euripides für das Dresdner Staatsschauspiel neu überschrieben. Erzählt wird von einer verunsicherten Gesellschaft im entgrenzenden Rausch. Rätselhaft nur, warum die Inszenierung den Rausch so konsequent ausblendet. Die Uraufführung war am Donnerstag im Kleinen Haus.
In Theben gibt es nichts mehr zu essen. Und dann kehrt auch noch Dionysos zurück, mit seinem Gefolge, der Bakchen. (Die heißen auch Bacchanten, weil Dionysus lateinisch Bacchus heißt - das Stück klärt früh darüber auf.)
Dionysus will sich an den Thebanern rächen, weil sie ihn - den Gott des Weines und Rausches - nicht als Sohn des Zeus akzeptieren. Also verführt er die Frauen Thebens zu Orgien im Wald.
Thebens Herrscher Pentheus stemmt sich - als Bewahrer der Ordnung - erst dagegen, und wird doch als neugierig-heimlicher Beobachter von den orgiastisch Feiernden zerrissen. Pentheus' Mutter Agaue trägt den abgeschlagenen Kopf ihres Sohnes in die Stadt, ohne es zu erkennen.
Leonie Hämer spielt den Pentheus herrlich dominant mit teils überschlagend-hysterischer Stimme, Christine Hoppe ist als verblendete Agaue ebenfalls vorzüglich. Ganz stark auch Philipp Grimm, der als intensiver Dionysos nackt ins Publikum schreit. (Drei weitere Dionysos-Darsteller bleiben unter grauen Kapuzen unnötig blass - was sollten die?).
Den Rausch zeigt Regisseurin nie
Melles Text bietet Anknüpfungspunkte an die Gegenwart (Drogen, Rente); die Waldpartys erinnern an die Zeiten illegaler Raves der Corona-Pandemie, im anarchischen Aufruhr möglicherweise auch an den US-Kapitol-Sturm und gärende weltpolitische Prozesse.
Doch den Rausch zeigt Regisseurin Lilja Rupprecht nie. Den muss Jakob Fließ mehrfach im Botenbericht referieren - was er fantastisch macht! Warum aber ist nichts davon zu sehen?
Anfangs tanzen Torsten Ranft (als Theben-Gründer Kadmos) und Thomas Eisen (als blinder Seher Teirasias) albern mit Langhaarperücken - dann greift Eisen zur akustischen Gitarre und Ranft gibt eine rustikale Seebären-Parodie mit Hans Albers' "Beim ersten Mal, da tut's noch weh".
Die schräge Granitplatten-Bühne (Annelies Vanlaere) weicht erst einer Wald-Projektion (Video: Moritz Grewenig), dann silbrigen Falten-Vorhängen, schließlich schäumendem Meer.
Inszenatorisch wäre noch mehr möglich gewesen
Spät erst bäumt sich das Ensemble zur dräuenden Live-Musik von Philipp Rohmer zu einer stampfenden Performance auf ("Gleichschritt, Chaos..."), bevor Bühnenarbeiter Bruchstücke zerstörter Statuen heraustragen. Ein dramaturgischer Höhepunkt - der schmerzlich offenbart, was inszenatorisch eigentlich möglich gewesen wäre.
Es wird also viel aufgefahren, vor allem darstellerisch und bühnentechnisch. Und doch bleibt das ekstatische Potenzial des Stücks seltsam ungenutzt.