Erna (96) erlebte Zerstörung: "Ich sah die leuchtenden Christbäume über Dresden"
Dresden - Am heutigen Jahrestag seiner Zerstörung gedenkt Dresden den Opfern der Bombennächte und des Krieges, der für Leid und Entbehrungen auch noch Jahrzehnte später sorgte. Was das bedeutet, erfuhr Erna Hädrich (96) am eigenen Leib.
Die Seniorin, die heute in Dresden-Plauen lebt, wurde 1927 im damaligen Buchwald in Schlesien (heißt heute Bukowiec in Polen) geboren. Ihre Eltern hatten dort etwas Land und Vieh. Schon vor Kriegsbeginn schwor ein alter Lehrer der Dorfschule die Kinder auf Hitler ein, auf den Straßen sangen die Kids kriegsverherrlichende Lieder - ohne deren Inhalt zu begreifen. "Da wirkte die Propaganda", sagt Oma Erna heute.
Als der Krieg ausbrach, war sie elf Jahre. "Wir hatten einen jungen Lehrer. Er wurde eingezogen, ist gefallen. Dann kam ein neuer junger Lehrer. Wurde eingezogen, ist gefallen." Richtigen Unterricht gab es nicht mehr.
Erna Hädrich arbeitete verschiedenen Ortes auf dem Land, auch nahe Ortrand. "Es gab jede Nacht Fliegeralarm, wir haben nur im Keller gehockt". Sie erinnert sich, über Dresden "leuchtende Christbäume" gesehen zu haben, es waren wohl die abgeworfenen Leuchtkörper der Alliierten vor 79 Jahren.
Im Riesengebirge wollte die Wehrmacht sie und Hunderte Teenager zu Heckenschützen ausbilden. "Wir lernten, ein Gewehr auseinanderzunehmen. Es war furchtbar." Bevor sie schießen musste, endete der Krieg.
Damit begann aber erst ihre leidvolle Odyssee.
So kämpfte sich Erna Hädrich zurück nach Sachsen
Sie schlug sich zurück in ihre Heimat durch, wanderte ohne Absätze am Schuh, sah in einem Konzentrationslager "magere Menschen in gestreiften Anzügen". Sie schaffte es bis nach Hause. Doch die Eltern waren weg, das Wohnzimmer war zum Lazarett umgebaut, die Sowjets im Dorf eingerückt.
Sie kam bei einer Bekannten unter, schälte Kartoffeln. "Nachts kamen die Russen klingeln, tranken Schnaps, suchten Frauen. Wir machten nicht auf."
Sie floh, watete durch die Neiße, schaffte es nach Görlitz zu einer Tante. "Sie wusste, wo meine Eltern waren." Nahe Löbau traf sie ihre Familie mit Bruder Herbert (95) wieder. "Dann fing unser neues Leben an. Aber es war geprägt von Verzicht. Vertrieben aus der Heimat, ohne Beruf."
Landwirte, wo sie gegen Arbeit unterkam, behandelten sie schlecht. Einer gab sogar den Schweinen mehr zu essen. Sie musste eine Tüte Roggen klauen, tauschte sie auf dem Schwarzmarkt gegen Lederschuhe ein.
Eine Angst plagt Erna Hädrich heute wieder
Später kümmerte sie sich um sechs Kinder, lebte mit ihnen in einem Zimmer. "Ich hätte öfter Nein sagen müssen. Aber das Leben war hart."
Sie lernte ihren Mann Hermann (starb 2014) kennen, heiratete, bekam 1955 erst Ute (heute 69), dann Elke (heute 66), zog nach Dresden.
Erst 1967 - mit 40 Jahren - machte sie den Schulabschluss der zehnten Klasse nach - den ihr der Krieg verwehrt hatte. "Das Lernen im Alter, alles nachzuholen, kostete mich viel Kraft."
Doch es lohnte sich: Nach anschließendem Fernstudium (Horterziehung mit Lehrbefähigung) arbeitete sie viele Jahre im Hort und Schulgarten (Würzburger Straße).
Heute erfreut sich die hochbetagte Seniorin an ihren vier Enkeln und sieben Urenkeln. Doch seit der Russland-Invasion in der Ukraine plagt sie wieder Angst.
"Krieg verstehen junge Leute erst, wenn sie es selbst erleben. Doch dann ist es zu spät ..."
Titelfoto: Montage: wikipedia, dpa, Thomas Türpe