Meine Meinung: Über den eigentlichen Tabubruch in Politik-Thüringen!

Erfurt - Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag dürfte in Sachen Mindestabstand von Windrädern und Wohnhäusern nicht nur Unterstützung von der FDP bekommen. Nein, auch die AfD wäre wohl mit im Boot. Aufseiten der Minderheitsregierung wittert man einen Eklat. Zu Unrecht!

Im Thüringer Landtag geht es dieser Tage mal wieder heiß her. Dabei dreht es in der Sache eigentlich nur um Windräder. (Archivbild)
Im Thüringer Landtag geht es dieser Tage mal wieder heiß her. Dabei dreht es in der Sache eigentlich nur um Windräder. (Archivbild)  © Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

Wenn es dieser Tage um Windräder in Thüringen geht, wird plötzlich am Rad gedreht. Weit über die Grenzen des Freistaats hinaus herrscht helle Aufregung. Doch das, was empört, hat mit Windrädern eigentlich gar nichts zu tun. Nein, es geht mal wieder um die AfD.

Doch der Reihe nach: Die CDU-Landtagsfraktion fordert, dass im Freistaat ein Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windrädern und Wohngebäuden per Gesetz festgeschrieben werden soll. Das ist eigentlich eine feine Sache! Je weiter weg mit den Dingern, desto besser. Immerhin warnen Mediziner nicht erst seit gestern vor möglichen Gesundheitsrisiken infolge des Schalldrucks. Also lieber nichts riskieren - mindestens 1000 Meter, gut so!

Die FDP im Landtag sieht's offenbar genauso. Und dann wäre da ja noch die AfD, die wohl auch dafür stimmen könnte. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung, die dagegen ist, wäre in dieser Sache geschlagen. Aber die AfD? 1000 Meter Abstand zwischen Windrädern und Wohngebäuden ist ja schön und gut, aber die AfD?

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Tabubruch! Eklat! Plötzlich machen diese Worte, insbesondere aufseiten von Rot-Rot-Grün, wieder die Runde. Und nicht nur in Thüringen, auch im politischen Berlin schrillen die Alarmglocken.

Der "Nazi"-Stempel

Thomas Kemmerich (57, FDP) wurde 2020 nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten mithilfe von AfD-Stimmen massiv angefeindet. Einen Tag später trat er zurück. (Archivbild)
Thomas Kemmerich (57, FDP) wurde 2020 nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten mithilfe von AfD-Stimmen massiv angefeindet. Einen Tag später trat er zurück. (Archivbild)  © Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Die Situation weckt Erinnerungen. 2020 wurde schon einmal fleißig am Rad gedreht. Auch damals ging es um die Thüringer AfD. Mittwoch, 5. Februar 2020: FDP-Mann Thomas Kemmerich (57) wird überraschenderweise zum Ministerpräsidenten gewählt - obwohl seine Partei nur knapp genug Stimmen erhalten hatte, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Gewonnen hatte er damals mithilfe von AfD-Stimmen! Was folgte, war ein regelrechter Shitstorm.

Insbesondere Kemmerich selbst stand im Fadenkreuz von Hass und Hetze. Auch gegenüber seiner Familie soll es zu massiven Anfeindungen gekommen sein. Die Familie Kemmerich bekam Polizeischutz. Auch aus dem politischen Berlin mit seiner damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU) regte sich Widerstand.

Nur einen Tag später trat der damals 55-Jährige, dem nunmehr der Stempel "Nazi" auf der Stirn klebt, zurück. Zu groß war offenbar der Widerstand, der Hass, die Anfeindungen!

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Über zwei Jahre später stehen die FDP und Kemmerich erneut in der Kritik. Ebenso CDU-Fraktionschef Mario Voigt (45).

Und das alles nur aufgrund von ein paar Windrädern. Dabei sollte man die Kirche wirklich mal im Dorf lassen beziehungsweise nicht zu viel Wind um Windräder machen.

Mit Sachlichkeit hat das nichts zu tun!

In die Ecke gedrängt: CDU-Fraktionschef Mario Voigt (45) sieht sich zum Rechtfertigen gezwungen. (Archivbild)
In die Ecke gedrängt: CDU-Fraktionschef Mario Voigt (45) sieht sich zum Rechtfertigen gezwungen. (Archivbild)  © Michael Reichel/dpa

Der eigentliche Tabubruch sind nämlich gar nicht die möglichen AfD-Stimmen, die zu einer Mehrheit verhelfen könnten, nein - es ist die Reaktion anderer politischer Akteure auf dieses mögliche, demokratisch völlig legitime Szenario. Es ist noch gar nichts passiert, da werden FDP und CDU in eine Ecke gedrängt und Stimmungen erzeugt, die über die Grenzen der Sachlichkeit hinausgehen.

CDU-Fraktionschef Voigt sieht sich zum Rechtfertigen gezwungen. Die AfD bezeichnete er dieser Tage als "rechtsextreme Partei". Auf Facebook und Instagram räumte er jedoch ein: "Grundsätzlich muss gelten: Das Abstimmungsverhalten in Sachfragen muss der Vernunft folgen."

Doch die politische Konkurrenz lässt das so natürlich nicht stehen. Die Vizepräsidentin des Thüringer Landtages Madeleine Henfling (39, Grüne) beispielsweise postete via Twitter ein Bild, auf dem Mario Voigt zu sehen ist - samt rein retuschierter rosaroter Brille.

Darunter steht Voigts Originalzitat: "Die AfD halte ich für eine rechtsextreme Partei." Ergänzt wurde: "Mit der wir gegen den Ausbau der Windkraft richtig gut zusammenarbeiten."

Nährboden für Hass und Hetze

Die Vizepräsidentin des Thüringer Landtages Madeleine Henfling (39, Grüne) gießt unnötig Öl ins Feuer. (Archivbild)
Die Vizepräsidentin des Thüringer Landtages Madeleine Henfling (39, Grüne) gießt unnötig Öl ins Feuer. (Archivbild)  © Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Mal abgesehen davon, dass es in dieser Debatte gar nicht um den Boykott von Windrädern geht, ist diese Art der Kommunikation für die Vizepräsidentin des Landtages unterirdisch. Von Sachlichkeit ist man hier meilenweit entfernt.

Aber dass sich Politiker neuerdings in den sozialen Netzwerken batteln und mitunter à la Ukraine-Botschafter Melnyk (46) in andere Rollen zu schlüpfen versuchen, ist ja leider nichts Neues.

Das Problem ist nur, dass mit diesem Agieren bereits Grenzen eingerissen werden. Politiker werfen Anstand und Respekt über Bord. Sie begeben sich auf billiges Teenager-Niveau, untergraben ihre eigene Autorität, übertreiben maßlos und legen damit selbst den idealen Nährboden für Hass und Hetze.

Dass man das politische Spektrum wegen extremistischer Strömungen sorgfältig im Auge behalten sollte, ist eine Selbstverständlichkeit! Allerdings sollte man hierbei tunlichst aufpassen, dass man vor lauter Sorgfaltspflicht nicht selbst in ein Schwarz-Weiß-Denken hineingerät, verallgemeinert, ausgrenzt und Hass sät.

Ja, es gibt im rechten politischen Spektrum extremistische Strömungen, genauso, wie es sie am anderen Rand des politischen Spektrums gibt. Am Ende geht es jedoch darum, abzuwägen, was moralisch vertretbar ist. Der Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohnhäusern ist es. Und wenn die AfD dafür ist, dann ist das eben so. Das ist kein Skandal, das ist Demokratie.

Titelfoto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

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