"Schlüsselroman"-Bestseller "Noch Wach?" auf der Bühne: "Mir Reichelts! (...) Mir reicht es"

Hamburg - Die neue Spielzeit im Hamburger Thalia-Theater hat begonnen und eröffnet die Saison mit der Inszenierung des Benjamin von Stuckrad-Barre (48) Bestsellers "Noch wach?".

Benjamin von Stuckrad-Barre (48) liest aus seinem Buch "Noch wach?".
Benjamin von Stuckrad-Barre (48) liest aus seinem Buch "Noch wach?".  © Marcus Brandt/dpa

Der Roman galt als der Schlüsselroman über den Axel-Springer-Verlag beziehungsweise den Fall Julian Reichelt (43), der aufgrund von Machtmissbrauchsvorwürfen seine Stelle als Chefredakteur bei der "Bild"-Zeitung verlor.

Schon im Vorfeld, ehe das Buch überhaupt in den Läden stand, sorgte der Roman deshalb und natürlich auch wegen Stuckrad-Barres Promo-Offensive für große mediale Aufmerksamkeit.

Die Frage "Noch wach?" soll Reichelt damals einer jungen Bild-Redakteurin geschickt haben. Es folgte #metoo, Ermittlungen, Berichte. Springer-Chef Mathias Döpfner (60) und ehemaliger Freund des Autors hielt zunächst noch zu Reichelt, bis er ihn schlussendlich doch entließ.

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Stuckrad-Barre sieht "Noch wach?" nicht als eine Art Schlüsselroman über die vergangenen Ereignisse. Auch in seinem Buch heißt es zu Anfang: "Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte."

Und: "Daher erhebt der Roman keinen Anspruch, Geschehnisse und Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen authentisch wiederzugeben."

Boulevard-Journalismus bekommt sein Fett weg

Das Redaktionshaus ist einem Vampir-Schloss nachempfunden.
Das Redaktionshaus ist einem Vampir-Schloss nachempfunden.  © Krafft Angerer

Um Machtmissbrauch geht es aber trotzdem. Auch in dem dreistündigen Theaterstück unter der Regie von Christopher Rüping (37).

Das Bühnenbild: Ein Graus! Nicht etwa, weil es nicht gelungen wäre. Nein, es hat beeindruckende Gruselfilm-Friedhof-Vibes.

Die Redaktion ist einem Vampir-Schloss nachempfunden. Auch Särge dürfen nicht fehlen.

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Der CEO des Medienunternehmens, hinter dem viele Leser den ehemaligen Freund und Verlagschef Mathias Döpfner, gespielt von Hans Löw, vermuten, tritt teilweise selbst als Vampir auf.

Viel negative Aufmerksamkeit bekommt natürlich der Boulevard-Journalismus an sich. Stets wechselnde hetzerische oder reißerische Schlagzeilen zieren die Front des Schlosses. Und na klar, es regnet viel. Die meiste Zeit spielt das Stück nämlich in Berlin.

Worum es geht? In der Hauptstadt hat eine junge Frau einen neuen Job bei einem großen Fernsehsender angenommen. Der neue Chef ist super, die Zukunft ein leuchtendes Versprechen. Vor allem zu später Stunde, wenn eine SMS-Nachricht auf ihrem Handybildschirm aufblitzt: "Noch wach?", fasst das Thalia Theater den Inhalt zusammen.

Sophia, gespielt von Maike Knirsch, wurde über Instagram vom Chefredakteur entdeckt. Trifft ihn, schläft mit ihm. Merkt irgendwann, dass sie das Opfer in der Geschichte ist und versucht sich mit etlichen Leidensgenossinnen endlich gegen ihn zu wehren. Aber wie?

"Mir Reichelts! (...) Mir reicht es"

Nils Kahnwald, als Ich-Erzähler tanzt mit Hans Löw in der Rolle des CEOs.
Nils Kahnwald, als Ich-Erzähler tanzt mit Hans Löw in der Rolle des CEOs.  © Krafft Angerer

Dass es sich bei dem übergriffigen Chefredakteur um Reichelt handelt, war bislang nur eine Interpretation des Romans. Wäre da nicht die kleine Anspielung im Stück selbst, die wohl niemand überhören konnte: "Mir Reichelts! (...) Mir reicht es."

Nach einer eindrucksvollen Tanzeinlage vom CEO gemeinsam mit einem der insgesamt vier Ich-Erzähler, deren Männerfreundschaft an all dem zerbricht, setzen sich die Opfer des Chefredakteurs durch einen Angriff auf das Redaktionsgebäude, beziehungsweise dessen Zerstörung zur Wehr.

"Dann eben auf die harte Tour!" Dazu singt Inéz: "Für mich soll's rote Rosen regnen".

Ein gelungenes Finale.

Das empfand offenbar auch das Publikum am Sonntagabend nicht anders. Unter tosendem Applaus wurden Maike Knirsch, Nils Kahnwald, Hans Löw, Cathérine Seifert, Oda Thormeyer und Julia Riedler von der regennassen Bühne verabschiedet.

Von Buh-Rufen, die noch vereinzelt bei der Premiere zu hören waren, keine Spur.

Titelfoto: Krafft Angerer

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