Lex Dildo: So kam er vom HSV-Shop zum Porno-Karaoke

Hamburg - Der Sauerländer René Rodrigues kam einst vom Dorf in die Großstadt, wurde Animateur, arbeitete bei seiner großen Liebe HSV im Fanshop und erfand dann die Kunstfigur "Lex Dildo" und die "Pornokaraoke"-Night auf dem Hamburger Kiez. Ja, richtig geraten - hier werden Pornofilme nachgestöhnt. TAG24 hat den Entertainer zum Gespräch getroffen.

Entertainer René Rodrigues (29) in der Rolle der Kunstfigur "Lex Dildo" auf dem Hamburger Kiez.
Entertainer René Rodrigues (29) in der Rolle der Kunstfigur "Lex Dildo" auf dem Hamburger Kiez.  © Florian Schüppel, TAG24 Montage

Donnerstag, früher Abend in Hamburg. Der Kiez schläft zwar nie, der große Ansturm steht um diese Zeit allerdings noch an.

Ein paar wenige Touristen schlendern durch die "Große Freiheit" unter den berühmten Leuchtreklamen vom "Dollhouse" und "Safari" hindurch - letzterer bis 2014 einer der letzten Live-Sex-Clubs in Deutschland, bei dem das Publikum Darstellern beim Akt auf der Bühne zugucken konnte.

Erotik-Theater nannte sich das damals, heute "Safari Bierdorf." Der Name ist Programm. Aus der Sexmeile ist längst eine Amüsiermeile geworden, auf der Mensch feiern kann. Nicht zuletzt Dank Olivia Jones (53), die hier vier Locations betreibt - für jeden Geschmack ist was dabei.

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"Die Olivia-Jones-Familie ist ein Nest für Paradiesvögel aller Art: Harte aber herzliche Jungs, manche mit Rotlicht-Vergangenheit, dazu unsere Bunny-Burlesque-Mädels, die Striptease emanzipiert zelebrieren plus unsere engagierten schrillen Drag Queens. Und ich halt mittendrin."

Lex Dildo: "Eigentlich wollte ich die Reeperbahn hinter mir lassen"

René und Olivia Jones (53) vor der Kulisse des Hamburger Hafens. Im Hintergrund ist die Elbphilharmonie zu sehen.
René und Olivia Jones (53) vor der Kulisse des Hamburger Hafens. Im Hintergrund ist die Elbphilharmonie zu sehen.  © privat

René Rodrigues empfängt mich im ersten Stock der ersten, 2008 eröffneten, Bar der Travestiekünstlerin Olivia Jones, die nach ihr benannt ist. Die Türen sind noch nicht geöffnet.

Rodrigues selbst sieht aus wie einer, der sich an diesem Ort verlaufen hat, der später eher vor, als hinter der Theke oder gar auf der Bühne zu finden sein wird. Schwarzer Pullover, schwarze Hose, schwarzes Brillengestell. Nur die rote Glitzer-Cap, die der 29-Jährige trägt, will nicht so wirklich passen.

"Das Schöne am Olivia-Jones-Universum ist, dass einem eine breite Bühne zur Verfügung gestellt wird und man selbst entscheiden kann, was man nimmt. Und ich habe für mich entschieden, dass ich mir viel nehme."

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Nicht als René, sondern als Lex Dildo, Renés Kunstfigur, mit der er die Kult-Kieztouren läuft, auf Hafenrundfahrten mitfährt und Pornokaraoke-Nächte veranstaltet, seine wohl bekannteste Rolle.

"Eigentlich wollte ich die Reeperbahn hinter mir lassen, aber dann kam doch das Angebot wieder zurück nach St. Pauli zu kommen. Einmal Kiez, immer Kiez."

"Ich hatte mit dieser ganzen Glitzer-, bunten, schrillen, Drag-Queen-Welt vorher überhaupt nichts am Hut. Ich war absolut ein 08/15-Typ, der gerne dunkle Klamotten trägt", blickt René für TAG24 auf die Zeit vor der Olivia-Jones-Familie und damit der Kunstfigur "Lex Dildo" zurück.

Auf dem Kiez jedoch bewegte sich René bereits davor. Man kannte sich. Kiez halt.

Lex Dildo: Ein Schicksalsschlag trieb ihn weg vom Kiez

Nicht nur auf Kieztouren unterwegs: Als Lex Dildo zeigt René Hamburg-Besuchern die Stadt auch vom Wasser aus.
Nicht nur auf Kieztouren unterwegs: Als Lex Dildo zeigt René Hamburg-Besuchern die Stadt auch vom Wasser aus.  © privat

Nach Hamburg gekommen, begann René Mitte der 2010er Jahre zuerst Schauspiel zu studieren. "Während der Schauspielausbildung habe ich dann aber gemerkt, dass ich lieber Entertainer sein wollte und auf dem Kiez angefangen", erzählt er im Gespräch mit TAG24.

Begonnen hat seine Karriere an der "sündigsten Meile der Welt" im Jahr 2016 in der "Kiez Alm", einem Laden ein paar Hausnummern entfernt in Richtung Beatles-Platz. Dort hat der spätere Lex Dildo noch als René Rodrigues das Publikum zumeist animiert.

"Die typischen Sätze 'Zickezackezickezacke', 'Prost ihr Säcke', Lieder ansingen, die Leute sich hinsetzen, springen lassen, dafür sorgen, dass sie eine gute Zeit haben", war damals Renés Aufgabe.

In der Zeit um 2017 veröffentlichte der Tausendsassa auch zwei Songs. Deren Namen bezeichnend: "Nie mehr nüchtern" und "Schon wieder voll" Die Schule warf ihn raus, wie René einräumt, dort wollte man mit seiner Animateurtätigkeit auf dem Kiez nichts zu tun haben. "Kiez und Schlager war denen zu unseriös."

Doch dann der Schicksalsschlag, über den er nicht reden will, und der Rückzug aus dem Geschäft.

Olivia Jones: "Ich glaube, du wirst dich hier ganz wohlfühlen"

Eine Schifffahrt die ist lustig: René bei einer Bootstour der Olivia-Jones-Familie.
Eine Schifffahrt die ist lustig: René bei einer Bootstour der Olivia-Jones-Familie.  © privat

"2018 musste einfach ein Cut her", René verlässt den Kiez, arbeitet als Kinderanimateur. "Leute zum Lachen zu bringen" ist eine Phrase wie "irgendwas mit Medien machen" und doch der rote Faden in Renés Leben. Nach einer Saison stellte sich die Frage, wie das Leben weitergehen soll, ob er weiter als Kinderanimateur arbeiten oder was anderes machen wolle.

Er ging zu einem Casting der Olivia-Jones-Familie und landete wieder auf dem Kiez. Einmal Kiez, immer Kiez. "Ich weiß noch, als wäre es heute, Olivia Jones hat mich angeguckt und gesagt 'Ich glaube, du wirst dich hier wohlfühlen. Ich dachte mir nur 'Das werden wir noch sehen', habe dann 'Ja' gesagt, weil ich 'Nein' ja immer noch hätte sagen können. Und auf einmal hatte ich Glitzerklamotten an."

Schnell musste René Olivia Jones recht geben: "Ich fühle mich hier wirklich sehr wohl. Ich trage immer noch gerne meine schwarzen Klamotten und habe mein ruhiges Privatleben, aber gehe hier in der Rolle total auf. In mir wurde etwas geweckt, was schon immer in mir geschlummert hat."

Lex Dildo: "Ich habe eine sehr lange und sehr gute HSV-Vergangenheit"

Die Peniskappe ist das Markenzeichen von Lex Dildo.
Die Peniskappe ist das Markenzeichen von Lex Dildo.  © Screenshot/Instagram/por.nokaraokebar

Lange vor der Kunstfigur Lex Dildo und deren Markenzeichen der Peniskappe begann René während seines Studiums beim Hamburger Sportverein als 450-Euro-Kraft zu jobben. "Angefangen habe ich als Stadionguide, habe Besucher durch das Volksparkstadion geführt und versucht die Leidenschaft, die in mir schlummert, auf das Publikum zu übertragen."

Nach dem Studium bleibt er beim HSV, animiert Kinder, fährt mit Maskottchen Dino Herrmann in Kitas. 2018 dann der Cut, René geht ins Ausland, kommt wieder, wird in die Olivia Jones-Familie aufgenommen, arbeitet nebenher aber weiterhin auch beim HSV. Zuletzt in Vollzeit im Fanshop während der Corona-Zeit.

"Mal mehr, mal weniger und habe dann letztes Jahr endgültig aufgehört. Das ging leider aus zeitlichen Gründen nicht mehr und wurde auch in den letzten Jahren immer weniger. Ich arbeitete zu dem Zeitpunkt schon sehr viel in der Olivia-Jones-Familie."

In der Pornokaraokebar stöhnt Lex Dildo Sexfilmchen nach

Dort kreieren René und Team nicht nur die Kunstfigur Lex Dildo, sondern auch die Veranstaltungsreihe "Pornokaraoke", samt eigener Bar. Wer erwartet, dass Hardcore-Streifen über die Bildschirme flimmern, wird enttäuscht werden.

Die Streifen sind aus den 80ern und geschnitten, es gibt viel Busch zu sehen, wie René es nennt. Im Vordergrund steht der Spaß, wenn René und Besucher auf der Bühne die Dialoge der Sexfilmchen nachstöhnen.

Geöffnet hat die Pornokaraokebar, die sich wie alle Läden von Olivia Jones in der Großen Freiheit befindet, freitags und samstags.

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Als politischen Künstler versteht sich René nicht, der Einsatz für Diversität, LGBTQAI-Themen oder Antirassismus sind ihm und den anderen Mitgliedern der Olivia-Jones-Familie dennoch ein großes Anliegen.

"Klare kannte zeigen", aufklären, sensibilisieren, gehören gerade auch in der Community und auf St. Pauli dazu. Jones selbst ist bekennende AfD-Gegnerin, positioniert sich seit Jahren gegen Rechts, führt gar Prozesse.

Während René selbst Hemmschwellen bei anderen abbaut, war seine Rolle "in meinem direkten Umfeld - egal ob in dem 300-Einwohner-Dorf im tiefsten Sauerland oder hier in Hamburg - glücklicherweise nie ein Problem."

Alle, die ihn in Hamburg besucht haben, hätten ihn gefeiert. "Aber es gab natürlich schon die ein oder andere Situation, wo sich meine Mutter beispielsweise fragen lassen musste, ob sie nicht Angst habe, dass ich schwul werde."

Mehr: Porno Karaoke Bar, Fr + Sa, Kult-Kieztouren

Titelfoto: Florian Schüppel, TAG24 Montage

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