Transfrau mit der Faust ins Gesicht geschlagen? Angeklagter schweigt

Hamburg – Ein 22-jähriger Hamburger muss sich seit dem heutigen Dienstag vor dem Jugendschöffengericht verantworten. Gleich in zwei Fällen soll der Angeklagte Personen "körperlich misshandelt und gesundheitlich geschädigt" haben. Eine der Geschädigten ist Transfrau Samia Stöcker (35), die lange Zeit als Dragqueen "Sina Valentina" bekannt war und in dem Prozess als Nebenklägerin auftritt.

Der Angeklagte sitzt vor Prozessbeginn in einem Gerichtssaal im Landgericht. Dem Mann (22) wird vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen.
Der Angeklagte sitzt vor Prozessbeginn in einem Gerichtssaal im Landgericht. Dem Mann (22) wird vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen.  © Daniel Reinhardt/dpa Pool/dpa

Direkt am Anfang der Verhandlung wurde verkündet, dass der Angeklagte sich schweigend verteidigen wird. Der gebürtige Hamburger soll in der Nacht des 17. Juli 2021 auf der Reeperbahn Samia Stöcker auf Höhe der "Kentucky Fried Chicken"-Filiale mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben, woraufhin die Geschädigte auf den Hinterkopf fiel, das Bewusstsein verlor und unter anderem eine Schädelfraktur erlitt.

In ihrer Zeugenaussage von Dienstag gab Stöcker an, bis zum heutigen Tag keinerlei Erinnerungen mehr an die Tat zu haben. Eine Polizistin habe sie später im Krankenhaus darüber aufgeklärt, was ihr passiert sei.

Jegliches Wissen über den Vorfall habe sie aus der Gerichtsakte und aus einem Überwachungsvideo, welches in der Tatnacht aufgezeichnet wurde. Nach dem Vorfall stand Stöcker nach eigenen Angaben unter Schock.

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Eine körperliche Attacke hätte sie in all den Jahren noch nicht erlebt. Ein halbes Jahr sei sie mangels Hilfsangebote "schwer traumatisiert herumgelaufen". Die dringend benötigte Hilfe habe sie sich dann selber organisiert.

Verteidigung pocht auf provozierendes Verhalten der Geschädigten

Die Vorsitzende Richterin Eda Bacak sitzt vor Prozessbeginn in einem Gerichtssaal im Landgericht.
Die Vorsitzende Richterin Eda Bacak sitzt vor Prozessbeginn in einem Gerichtssaal im Landgericht.  © Daniel Reinhardt/dpa Pool/dpa

Unter anderem ist sie aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung in psychologischer Behandlung und besuche regelmäßig einen Neuropsychologen. "50 Prozent meiner Kopfleistung funktionieren nicht mehr", so Stöcker vor Gericht.

Sie leide unter Vergesslichkeit, Erinnerungslücken, Sehstörungen und Koordinationsschwierigkeiten. Dadurch sei sie stark in ihrem Alltag eingeschränkt und meide die Gesellschaft zu anderen Menschen. Ein Widerspruch zu der "lockeren und offenen" Person, die sie vor der Tat gewesen sei.

Die Verteidigung pochte vor allem auf die mutmaßliche Tatsache, dass Frau Stöcker vor dem Schlag ins Gesicht provozierend aufgetreten sei. Laut einer befragten Zeugin habe sie den Angeklagten und seine Begleiter gefragt, warum diese so blöd gucken und ob sie keinen Respekt vor ihr hätten.

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Anschließend soll sie vor einem der Jungen aus der Gruppe wild gestikuliert haben. Woraus eine beidseitige Schubserei entstanden sein soll, die in dem verhängnisvollen Schlag endete.

"Wir können uns als Trans-Personen nicht sicher bewegen!"

Samia Stöcker (35) wurde im Sommer 2021 Opfer einer Gewalttat.
Samia Stöcker (35) wurde im Sommer 2021 Opfer einer Gewalttat.  © Screenshot/Twitter/sina_valentina

Nach den Angaben von Stöcker sei jegliches Verhalten zu ihrem Schutz gewesen, zumal sie überzeugt ist, zuvor von der Jungsgruppe transfeindlich beleidigt worden zu sein. In ihren fünf Jahren als Transfrau habe sie einen Anstieg von verbalen Attacken erlebt.

Ihr Schicksal will sie auch dafür nutzen, ihrer Community die Angst zu nehmen: "Ich weiß, dass viele sich aus Scham nicht trauen, Angriffe anzuzeigen. Auch weil sie denken, es wird eh nicht verfolgt", so Stöcker.

"Ich finde, das zeigt halt, dass wir uns als Trans-Personen nicht sicher bewegen können und uns auch nicht so zeigen können, wie wir das wollen", so J., die zu dem Prozess gekommen war, um die ehemalige Dragqueen zu unterstützen, gegenüber TAG24. Viele Trans-Personen aus Hamburg waren Aufrufen von unter anderem dem "Magnus-Hirschfeld-Centrum" gefolgt, bei Gericht Solidarität mit Stöcker zu zeigen.

Vorfälle wie diese würden sich in letzter Zeit häufen. Teilweise werden sogar Stadtteile gemieden: "Bei mir äußert sich das zum Beispiel dadurch, was ich anziehe. Ob ich das trage, worin ich mich wohlfühle oder trage ich die Kleidung, in der ich mich safe fühle, dafür aber nicht wohl", so J. weiter.

Es sind noch zwei weitere Folgetermine für das Verfahren angesetzt. Dem Angeklagten wird zudem noch vorgeworfen, zusammen mit anderen mutmaßlichen Tätern eine Person in Billstedt aufgrund von Bandenrivalitäten bewusstlos geschlagen zu haben.

Titelfoto: Daniel Reinhardt/dpa Pool/dpa

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