Berlin - Der steinige Weg von Jérôme Agyenim Boateng von den Berliner Bolzplätzen bis an die Spitze der Fußballelite war weit. Mittlerweile gehört er zu den besten Innenverteidigern auf der Welt.

Der heute 29-Jährige wuchs mit seiner kleinen Schwester Avelina (heute 25 Jahre alt) bei seiner Mutter Nina (55) im gutbürgerlichen Berlin-Charlottenburg auf, während seine Halbbrüder George (36) und Kevin-Prince Boateng (31) bei ihrer Mutter Tine im raueren Berlin-Wedding groß wurden.

Die Brüder lernten sich erst im Kindesalter kennen, sind seitdem aber eine verschworene Gemeinschaft.

George galt als größtes Fußballtalent der drei Brüder. Doch falsche Freunde und acht Monate Gefängnis wegen Körperverletzung verhinderten eine große Karriere. So kam er über die Oberliga nicht hinaus.

Ihn und Kevin-Prince verbindet mit Jérôme eine Person: Der gemeinsame Vater Prince Boateng (65), der Anfang der 1980er Jahre aus Ghana nach Deutschland kam, um zu studieren, sich aber vor allem als DJ in den Berliner Clubs einen Namen machte.

Auch Vater Prince hatte fußballerisches Talent und schaffte es bei den Reinickendorfer Füchsen bis in die Regionalliga.

Das Talent von Jérôme ist daher nicht erstaunlich. Was er daraus gemacht hat, schon. Denn er musste schon mit vier Jahren ein einschneidendes Erlebnis verkraften: Seine Eltern trennten sich.

Obwohl sie Wert darauf legten, dass die Kinder genug Zeit mit beiden Elternteilen verbrachten, bezeichnete Boateng das später als extrem einschneidendes Erlebnis. Um es zu verarbeiten brauchte er Zeit - und entdeckte im Fußball auch eine Art Ventil zur Ablenkung.

Auch deshalb soll er laut einem Interview seiner Mutter mit 11Freunde schon als Kind nur Fußball im Kopf gehabt haben. Um sich voll auf die anstehende Profikarriere konzentrieren zu können, beendete er seine schulische Ausbildung auf der bekannten Poelchau-Oberschule bereits nach der 10. Klasse mit dem Hauptschulabschluss.

Dabei hätte ihm seine Lehrerin laut einem Artikel der Welt das Abitur zugetraut. Doch je besser er im Fußball wurde, desto mehr ließ er die Schule schleifen. Er habe sich für kein Fach begeistern können. Jérôme wollte unbedingt so gut sein, wie der eineinhalb Jahre ältere Kevin-Prince, in dessen Schatten er damals stand.

Jérôme spielte vier Jahre in der Jugend von Tennis Borussia Berlin und wechselte mit 13 Jahren zu Hertha BSC, wo er fortan alle Nachwuchsteams durchlief und schon früh lernen musste, mit rassistischen Sprüchen klarzukommen.

Am 31. Januar 2007 bestritt er sein Bundesliga-Debüt bei Hannover 96 - Hertha ging dort mit 0:5 unter. In dieser ereignisreichen Zeit, mit 17 Jahren, lernte Boateng auch seine Freundin Sherin Senler kennen. Die Beziehung der beiden soll durch Eifersucht und Untreue-Vorwürfen immer wieder unterbrochen gewesen sein.

Einige Zeit nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter Lamia und Soley im Jahr 2011 rauften sie sich wieder zusammen und heirateten 2014.

Noch im Jahr seines Bundesliga-Debüts verließ Boateng die "Alte Dame" und wechselte für die heutzutage beinahe lächerliche Ablösesumme von knapp über 1 Million Euro zum Hamburger SV. Dort blieb der 1,92 Meter große Innenverteidiger fast drei Jahre, ehe er für 12,5 Millionen Euro auf die Insel ging und eine Saison bei Manchester City in der Premier League spielte. Dort absolvierte er allerdings - auch wegen einer Knieverletzung - nur 24 Partien und entschied sich anschließend, wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Nach und nach trat er aus dem Schatten von Kevin-Prince heraus und überholte seinen Bruder, dem die ganz große Karriere verwehrt blieb, sogar.

Seit dem 14. Juli 2011 spielt er für den FC Bayern München. 13,5 Millionen Euro kostete er den Rekordmeister. Mittlerweile hat Boateng 241 Bundesliga-Begegnungen, 64 Champions-League-Partien und 71 Länderspiele auf dem Buckel und gehört zur Abwehrelite der Fußballwelt.

Um eine globale Marke zu werden und weil Boateng bekennender Hip-Hop-Fan ist, wird er seit Ende Juli 2015 vom weltbekannten Rapper Jay-Z, der mit Beyoncé Knowles verheiratet ist, gemanagt. Zumal er mit Boateng ein weiteres Hobby gemeinsam hat: Beide sind große Basketball-Fans.

Unter den Fußballexperten gibt es einige Menschen, die ihn für den oder einen der besten Innenverteidiger der Welt halten.

Denn Boateng ist über die Jahre sichtlich gereift. War er anfangs noch schludrig und verschuldete wegen mitunter leichtsinnigem Abwehrverhalten Gegentore, spielt er nun abgeklärt, routiniert und wirkt auf viele Gegenspieler wie eine unüberwindbare Mauer.

Über seine enorme Zweikampf- und Kopfballstärke ist sowieso jeder Zweifel erhaben. Zusätzlich ist Boateng auch noch extrem schnell. Er könne es auf den ersten 30 Metern mit der jamaikanischen Sprintlegende Usain Bolt aufnehmen, hielt mal ein Lehrer fest.

Durch den ihm eigenen schlurfenden Laufstil, fällt Boateng auf. Was den 29-Jährigen in die Weltklasse hat aufsteigen lassen, ist sein Spielaufbau mit den öffnenden, perfekt getimten Pässen. Eine so hohe spielerische Qualität hat fast kein zentraler Abwehrspieler. Kein Wunder: In seiner Jugend war Boateng wie sein Halbbruder Kevin-Prince offensiver Mittelfeldspieler.

Wenn Boateng jetzt noch torgefährlicher und weniger verletzungsanfällig wäre, wäre er ein nahezu perfekter Innenverteidiger.

Im Vollbesitz seiner Kräfte wird Boateng neben seinem Vereinskollegen Mats Hummels im Abwehrzentrum gesetzt sein. Ob er seinen steilen Weg in die Weltspitze mit der Titelverteidigung bei der Weltmeisterschaft krönen kann?