365 Meter hoch: So erbauen Sachsen das höchste Windrad der Welt

Schipkau (Brandenburg) - Die Effektivität der Windenergie steht kurz vor einer bahnbrechenden Revolution. Zwei sächsische Firmen errichten derzeit das mit 365 Metern weltweit höchste Windrad. Somit kann künftig der Höhenwind geerntet werden, welcher erheblich stärker und konstanter weht als in bisher angezapften Höhen. Die Frage, wie man eine 230 Tonnen schwere Turbine auf einen 300 Meter hohen Turm setzt, wird mit ingenieurtechnischer Genialität beantwortet.

Das XXL-Windrad reicht von der Höhe her fast an den Pariser Eiffelturm heran.
Das XXL-Windrad reicht von der Höhe her fast an den Pariser Eiffelturm heran.  © Montage: PR, Luciano Mortula

Im brandenburgischen Schipkau - zehn Kilometer hinter der sächsischen Grenze - wächst auf einem ehemaligen Tagebaugelände der größte Windturm der Welt. Inzwischen hat er 70 Meter erreicht, Monat für Monat werden 60 bis 100 Tonnen Stahl verschraubt. Geht alles gut, soll der Prototyp im kommenden Sommer erstmals Strom liefern.

Der vom Dresdner Ingenieurbüro Gicon entworfene Turm unterscheidet sich dabei erheblich von der Spargelkonstruktion konventioneller Windräder, bei welchen aus technischen Gründen bei einer Nabenhöhe von 180 Metern das Ende der Windturmstange erreicht ist.

Aus 2000 Tonnen Stahl, 22.000 Einzelteilen und 80.000 Schrauben wird ein sich nach oben verjüngender Gittermast errichtet, der eher an den Eiffelturm (330 Meter) erinnert. Der Standfuß am Boden ist dann 48 Meter lang.

Die Höhenwindräder können in bestehende Windparks gesetzt werden und "ernten" in der zweiten Etage. Dazwischen stehen Solarmodule.
Die Höhenwindräder können in bestehende Windparks gesetzt werden und "ernten" in der zweiten Etage. Dazwischen stehen Solarmodule.  © PR

Der höchste Windmesstrum der Welt steht in Schipkau

Der 300 Meter hohe Windmessturm ist inzwischen wieder abmontiert.
Der 300 Meter hohe Windmessturm ist inzwischen wieder abmontiert.  © PR

Um sicherzugehen, ob in dieser Höhe über dem Flachland wirklich so ein lohnender Wind weht, errichtete die Firma Gicon 2023 an derselben Stelle den mit 300 Metern höchsten Windmessturm der Welt.

Das Ergebnis der Analyse ist beeindruckend. Gicon-Gründer Jochen Großmann (67): "Wir werden mehr als den doppelten Ertrag haben im Vergleich zu normalen Windkraftanlagen." Mit der geplanten 3,8-Megawatt-Turbine könnten so jährlich mindestens 18 Millionen Kilowattstunden gewonnen werden, ausreichend für 6000 Haushalte.

Finanziert wurden der Messturm und der nun entstehende Prototyp aus Steuermitteln. Im Jahr 2019 gründete sich in Leipzig die Bundesagentur für Sprunginnovationen Deutschland (Sprind), welche innerhalb von zehn Jahren etwa eine Milliarde Euro in die Anschubfinanzierung und Umsetzung genialer Erfindungen investieren darf.

300 Meter hohe Windräder: Leipziger Ingenieur Horst Bendix bringt den Durchbruch

Der Leipziger Ingenieur Horst Bendix († 93) erlebte noch den Bau des Windmessturms.
Der Leipziger Ingenieur Horst Bendix († 93) erlebte noch den Bau des Windmessturms.  © privat

Kurz nach der Gründung stellte sich dort ein 90-jähriger Leipziger vor.

Der Ingenieur Horst Bendix war einst dafür zuständig, dass sich die Kugel des Berliner Fernsehturms auch dreht - dieser wird übrigens mit 368 Metern das höchste Bauwerk Deutschlands bleiben. Die letzten Jahre hatte Bendix damit verbracht, Windräder der Kategorie "300 Meter und höher" zu entwerfen.

Der Ansatz: Um die Biegekräfte in der Höhe zu reduzieren, steht bei seiner Dreibein-Konstruktion die schwere Turbine am Boden und wird über ein Riemensystem angetrieben. Das überzeugte die Experten von Sprind so sehr, dass sie mit der Leipziger Beventum GmbH ein Unternehmen gründeten. Diese darf bis zu 50 Millionen Euro in die Entwicklung eines funktionierenden Höhenwindrades investieren.

Doch schon bald meldete sich das Ingenieurbüro Gicon um den Erfinder Jochen Großmann und zog ein fertiges Konzept aus der Tasche. Auch die Dresdner forschten seit Jahren an der Höhenwindkraft und hatten gemeinsam mit der TU Freiberg bereits 2019 ein entsprechendes Kostendesign für den Bau eines Windturmes entwickelt.

Dieser Plan war bereits so ausgefeilt, dass er nun mit Mitteln von Beventum in Schipkau umgesetzt wird.

Dort schrauben derzeit 15 Spezialisten für Stahlgitterkonstruktionen am Boden und mit Hebebühnen die einzelnen Segmente des Turmes zusammen. Eine Schraube mit Mutter hat die Größe und das Gewicht einer Fitnesshantel. Für jede Schraube wird ein Protokoll erstellt, mit welchem Drehmoment und Drehwinkel sie

Bahnbrechende Revolution? Höhenwindrad

Inzwischen hat man 70 Meter erreicht. Für jede Schraube wird ein Protokoll angefertigt.
Inzwischen hat man 70 Meter erreicht. Für jede Schraube wird ein Protokoll angefertigt.  © PR

Jochen Großmann: "Dieses Montagekonzept kann später Vorbild für eine mögliche Serienproduktion sein. So wird auch jedes Einzelteil bei der Anlieferung vermessen und die Qualität kontrolliert. Wir können uns keine Fehler leisten." Genauigkeit und Sicherheit gehen vor Schnelligkeit. Daher scheut man sich nicht, bei diesem weltweit einmaligen Pilotprojekt auch den Terminplan bei Problemen zu schieben.

Nach und nach werden die Segmente aufeinandergesetzt und miteinander verbunden. So wird der Turm bis auf 180 Meter wachsen. Bis in diese Höhe können Kräne noch große Lasten heben, auch die Turbine und die Rotorblätter. Doch wie will man dann auf 300 Meter Nabenhöhe kommen?

Der Clou: Im Inneren des unteren Turmteils wird der obere Teil montiert. Dieser wird danach teleskopartig nach oben geschoben. Dabei kommt ein hydraulischer Litzenheber zum Einsatz - das Prinzip zum Heben schwerer Lasten kennt man etwa vom Wagenheber. Diesem Tag fiebern die Ingenieure wie einem ersten Raketenstart entgegen.

Wind und Sonne: Ingenieure tüfteln am Hybridkraftwerk

So sah die Großbaustelle kurz nach der Grundsteinlegung aus.
So sah die Großbaustelle kurz nach der Grundsteinlegung aus.  © picture alliance/dpa/Gicon

Wenn alles nach Plan läuft, sollte sich diese sächsische Erfindung auch zügig finanziell lohnen.

Beventum-Geschäftsführer Martin Chaumet: "Wir sind bei diesen Prototypen bei den Stromentstehungskosten etwas oberhalb der jetzigen Windräder. Da sind aber wohlgemerkt alle Entwicklungskosten und Probleme mit eingepreist. Ab einer Serienproduktion von zehn bis 15 Türmen könnte man bei vier Cent pro Kilowattstunde landen - das wäre natürlich spannend."

Großmann: "Die Anlagen sind so hoch, dass sie in bereits bestehenden Windparks neben den herkömmlichen Anlagen problemlos als zweite Etage gebaut werden können. Es bedeutet, ich habe von der gleichen Fläche den dreifachen Ertrag."

Darüberhinaus entwickelte Gicon bereits das Konzept für ein Hybridkraftwerk, bei dem der Rest dieser Fläche mit zusätzlichen Photovoltaikanlagen aufgefüllt wird.

Info: gicon.de, beventum.org

Titelfoto: Montage: PR

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