Experte erklärt: Deshalb funktioniert Extremismus in sozialen Netzwerken

Berlin - Es ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wie umgehen mit sozialen Medien wie TikTok, Facebook oder Instagram? Millionen Menschen nutzen diese Portale weltweit inzwischen zur Meinungsbildung – auf Richtigkeit überprüft werden die dort verbreiteten Inhalte aber kaum bis gar nicht. Im Gespräch mit TAG24 erklärt Experte und Bundestagsabgeordneter Konstantin von Notz (53, Grüne), wie sich das künftig ändern könnte.

Konstantin von Notz (53, Grüne) setzt sich für einen konsequenteren Umgang mit den sozialen Medien ein.
Konstantin von Notz (53, Grüne) setzt sich für einen konsequenteren Umgang mit den sozialen Medien ein.  © Christian Kielmann

Wer Konstantin von Notz kennt, weiß, dass der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste ein Mann der klaren Worte ist.

Doch auf die Frage, wie er das neue TikTok-Profil von Olaf Scholz (65, SPD) findet, wird er nachdenklich. Immer wieder wurde zuletzt vor dem Einfluss Chinas auf diesem Netzwerk gewarnt, US-Bundesbehörden verbannten die App sogar von den Diensthandys ihrer Mitarbeiter. Warum jetzt also ausgerechnet der Kanzler?

"Es bleibt ein Balanceakt: Grundsätzlich finde ich es nachvollziehbar, dass man TikTok nicht den Nazis und Staatsverächtern überlassen möchte", weist von Notz auf ein reales Problem hin.

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In der Tat haben politische Extreme Social Media schon lange für sich entdeckt und fühlen sich dort deutlich wohler als die demokratischen Parteien der Mitte. Von Notz vertritt deshalb die These, dass der Aufstieg rechtsextremer Parteien deutlich mehr mit dem Konsum sozialer Medien als der Politik von Angela Merkel (69, CDU) oder der Ampel zu tun habe.

Extremisten kommen mit "zugespitzter, falscher, aber durchaus klickbarer und auch eingängiger Propaganda" gut an

TikTok steht wohl wie kein anderes soziales Netzwerk in der Kritik.
TikTok steht wohl wie kein anderes soziales Netzwerk in der Kritik.  © DPA/Robert Michael

"Wir koppeln den Aufstieg der Rechtsextremen an die Flüchtlingskrise 2015 oder die Corona-Maßnahmen der Regierung. Tatsächlich ist es doch aber so, dass es kaum eine Demokratie auf diesem Planeten mehr gibt, die nicht unter massivem Druck von rechts steht", so von Notz.

"In diesen Ländern wird häufig eine komplett andere Politik gemacht. Die großen Fluchtbewegungen gab es 2015 in den USA beispielsweise so nicht, dennoch ist Trump mit einer sehr AfD-ähnlichen Agenda dort nach oben gekommen." Doch warum haben es Rechtsextreme, aber auch andere Extremisten oder Demokratiefeinde auf den sozialen Medien so leicht?

Von Notz nennt eine "zugespitzte, falsche, aber durchaus klickbare und auch eingängige Propaganda", mit der sie online punkten können und wofür "wir als Demokratie und Rechtsstaat noch keinen guten Umgang gefunden" haben. Doch könnte der Staat den Umgang mit TikTok und Co. nicht einfach von oben regulieren?

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"Ich stolpere aber etwas über dieses 'von oben'", so von Notz. Eine "einfache und pauschale Lösung" gebe es nicht - dafür aber einen interessanten Vergleich.

"Schauen wir doch beispielsweise auf den Medienbereich. Nachdem die Nazis dieses Land und die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt haben, hat man bemerkt, dass es für die Presse unbedingt gewisse Standards braucht. Und damit sind wir ehrlich gesagt ganz gut gefahren", führt der 53-Jährige aus.

Grünen-Politiker Konstantin von Notz: "Social Media ist ein Teil unserer Wirklichkeit"

Von Notz (M.) im Gespräch mit Politik-Chefreporter Paul Hoffmann (31) und TAG24-Berlin-Chefin Paulina Chaber (32).
Von Notz (M.) im Gespräch mit Politik-Chefreporter Paul Hoffmann (31) und TAG24-Berlin-Chefin Paulina Chaber (32).  © Christian Kielmann

"Deutschland ist ein Land, in dem Meinungsfreiheit und -pluralität sehr gut austariert waren – und das nicht trotz, sondern wegen dieser Regulierung. Man hat sich gesagt, dass es zum Funktionieren von Presse- und Meinungsfreiheit einen guten gesetzlichen Rahmen geben muss. Und es ist völlig verrückt, dass es den im digitalen Bereich bisher nur sehr unzureichend gibt."

Trotz all dieser Probleme und der offensichtlichen Hilflosigkeit, den global agierenden Social-Großkonzernen Herr zu werden, glaubt von Notz nicht, dass die Idee einer digital vernetzten Welt schon gescheitert ist.

"Social Media ist ein Teil unserer Wirklichkeit. Bislang haben wir es – auch aufgrund von wirtschaftlicher Macht und einem geschickten Agieren dieser weltweit agierenden, sehr mächtigen Konzerne – versäumt, entsprechende Standards zu schaffen und diese auch durchzusetzen. Das ändert sich erst jetzt – langsam."

Allerdings müssten sich demokratisch orientierte Verantwortungsträger überlegen, "ob es nicht höchste Zeit ist, regulatorisch die Zügel weiter anzuziehen. Am Ende sitzt der Staat am längeren Hebel".

Konstantin von Notz: "Die Schule sollte ein Ort sein, an dem Realität vermittelt wird"

Schon an Schulen sollte der richtige Umgang mit Social Media gelehrt werden.
Schon an Schulen sollte der richtige Umgang mit Social Media gelehrt werden.  © dpa/Soeren Stache

Und das übrigens nicht nur mit Blick auf Recht und Ordnung, sondern auch in unsere Klassenzimmer. Auch an Schulen ist eine ordentliche Social-Media-Bildung längst überfällig. Das bestätigt auch von Notz:

"Natürlich muss man schreiben/lesen/rechnen lernen, aber es ist doch völlig verrückt, dass die sehr lebenspraktischen und überlebenswichtigen Dinge unserer Zeit oftmals noch keinerlei Eingang in Lehrpläne gefunden haben."

Und weiter: "Die Schule sollte ein Ort sein, an dem Realität vermittelt wird und man sich kritisch mit ihr auseinandersetzt. Wir bringen Kindern doch auch bei, wie man sich richtig im Straßenverkehr verhält – und stempeln ihn nicht per se als lebensgefährlichen Raum ab."

Bleibt zu hoffen, dass Staat und Gesellschaft bald eine Lösung für den richtigen Umgang mit den sozialen Medien finden. Denn mit immer schärferen Troll-Angriffen von Russland oder dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz stehen die nächsten großen Herausforderungen schon längst vor der Tür.

Titelfoto: Fotomontage: Christian Kielmann, dpa/Robert Michael

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