Tafeln helfen immer mehr Menschen in Not - und brauchen selbst Hilfe

Schönebeck - Das zurückliegende Jahr war für die Tafeln eines der herausforderndsten. Immer mehr Menschen sind auf die gespendeten Lebensmittel angewiesen. Wie sieht es vor Ort aus?

Immer mehr Menschen sind in Sachsen-Anhalt auf die Hilfe der Tafel angewiesen.
Immer mehr Menschen sind in Sachsen-Anhalt auf die Hilfe der Tafel angewiesen.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Toastbrot, Brötchen, Möhren, Mandarinen und Donuts kann Cornelia Stange heute in die grünen und schwarzen Kisten legen. Joghurt aus dem Kühlschrank wird später dazukommen. Wenig später tragen die Kollegen der 55-Jährigen die gepackten Kisten zum Lieferwagen. Der fährt heute zur mobilen Ausgabe der Schönebecker Tafel ins Umland.

Cornelia Stange sortiert unterdessen das nächste Obst und Gemüse. Äpfel, Zitronen, Kohlrabi, Blumenkohl für die Ausgabe direkt in Schönebeck. Sie weiß, wie wichtig die Lebensmittelspenden für die Bedürftigen sind. Stange hilft bei der Tafel und ist selbst eine von 1980 Nutzerinnen und Nutzern in der Stadt im Salzlandkreis.

In diesem Jahr ist die Zahl der Menschen, die sich bei den Tafeln mit Lebensmitteln versorgen, um über die Runden zu kommen, stark gestiegen.

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Bei den 35 Tafeln in Sachsen-Anhalt mit ihren rund 100 stationären und mobilen Ausgabestellen sind es laut dem Vorsitzenden des Landesverbands, Andreas Stepphuhn, 60.000 und damit bis zu 25 Prozent mehr binnen eines Jahres. Das Konzept kommt an seine Grenzen.

Bedürftige müssen weggeschickt werden

AWO-Geschäftsführerin Ines Grimm-Hübner ist über die Situation besorgt.
AWO-Geschäftsführerin Ines Grimm-Hübner ist über die Situation besorgt.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

In Schönebeck waren Ende vergangenen Jahres noch 645 Nutzerinnen und Nutzer registriert, nun sind es fast 2000. Nach der herausfordernden Corona-Zeit hatte Geschäftsführerin Ines Grimm-Hübner auf mehr Normalität gehofft.

Stattdessen musste sie im April das erste Mal Menschen wegschicken, weil es schlicht nichts zum Verteilen gab außer gefrorenen Brötchen und Knoblauchsoße. Auch wenn das schon ein paar Monate her ist, sagt Grimm-Hübner: "Wir sind Optimisten, aber wir erleben hier sehr große Spannungen. Ich weiß nicht, wie wir das noch wuppen."

Die gestiegenen Energie- und Spritkosten seien ein Problem. Die Kühlkette für Joghurt, Wurst und andere Waren müsse eingehalten werden. Die Kühlschränke allerdings seien oft gespendet und alt und "immense Stromfresser", wie Grimm-Hübner sagt.

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Nächstes Thema Fahrzeuge: Kürzlich sollte eine große Spende aus Merseburg abgeholt werden. Am Kühllaster fiel eine ungeplante Reparatur an. "Das ist etwas, wo man sehr tief atmet". Dabei habe die Tafel viel Unterstützung von regionalen Unternehmen, Lotto-Toto Sachsen-Anhalt, privaten Initiativen bis hin zu Schulklassen, betont die Geschäftsführerin. Besonders jetzt in der Weihnachtszeit sei die Spendenbereitschaft groß.

Ohne diese Hilfe wäre die Arbeit der Tafel nicht möglich. Und wie wichtig die ist, zeigt das Spektrum der Nutzerinnen und Nutzer, das sich erweitert hat. Im März habe es teilweise zehn Neuanmeldungen pro Woche gegeben, viel sei das für die Schönebecker Tafel, sagt Grimm-Hübner.

Sommer war besonders hart - "hat uns aus der Bahn geworfen"

Transporter bringen verteilen die vorsortierte Ware an die Tafeln in Sachsen-Anhalt.
Transporter bringen verteilen die vorsortierte Ware an die Tafeln in Sachsen-Anhalt.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Sie stellt fest, dass es nicht nur Rentner, Sozialhilfeempfänger und viele Geflüchtete sind, die neu hinzukommen, sondern auch Menschen mit mehreren Minijobs. Der April, Mai, Juni, Juli - so etwas habe sie noch nicht erlebt, sagt die Awo-Geschäftsführerin. "Das hat uns ordentlich aus der Bahn geworfen."

Bis hin zu den Behörden hätten sich einfach sehr viele auf die Tafeln verlassen. "Die Lebensmittelausgabe, das war so ein Automatismus". Dabei seien sie für die Grundversorgung da, um Lebensmittel zu retten.

Begrenzt für drei Monate habe die Tafel dann sogar Lebensmittel in Supermärkten zugekauft, um sie dann zu verteilen. Das gespendete Geld in den Supermark zu tragen - so ganz kommt Grimm-Hübner mit dem Widerspruch auch heute noch nicht klar.

Der Tafel Landesverband versucht zu helfen und die Politik stärker mit ins Boot zu holen. Seit dem Frühjahr gibt ein neues zentrales Tafellager in Hohenerxleben. Von dort aus können Spenden an die Tafeln im Land ausgefahren werden. Grimm-Hübner hält das für eine Riesen-Erleichterung. Das Land hat 30.000 Euro für das neue Zentrallager gegeben.

Tafeln sind auf mehr Gelder angewiesen

Cornelia Stange ist eine von zahlreichen Helfern bei der Tafel in Schönebeck.
Cornelia Stange ist eine von zahlreichen Helfern bei der Tafel in Schönebeck.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

In Schönebeck bei der Tafel, wo Cornelia Stange die Lebensmittel sortiert, landen immer weniger haltbare Waren wie Nudeln oder Reis, sondern eher Obst und Gemüse.

Als Nutzerin sagt sie, auch das helfe angesichts der hohen Preise in den Supermärkten. Ab der Mitte des Monats wird für viele schon das Geld knapp. Und dann der Satz, mit dem sie sich auch selbst ermuntert: "Wir machen das Beste aus der Situation." Die Dankbarkeit der Menschen spüre sie schon.

Wie kann es für die Tafeln weitergehen? Der Tafel-Landesvorsitzende Andreas Steppuhn macht deutlich: "Die Tafeln wünschen sich eine finanzielle Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen."

Sie wollten keine staatliche Organisation sein, sich auch nicht zur Lebensmittelrettung verpflichten lassen. Sie sähen sich als Freiwilligenorganisation. Cornelia Stange ist eine von 800 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in Sachsen-Anhalt.

Titelfoto: Bildmontage: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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