Anfeindungen gegen Juden: Laut Innenminister Strobl war der Antisemitismus "nie weg"

Stuttgart - Anfeindungen gegen Juden gehören in Baden-Württemberg weiter zum Alltag.

Innenminister Thomas Strobl (62, CDU) macht auf antisemitische Straftaten in Baden-Württemberg aufmerksam.
Innenminister Thomas Strobl (62, CDU) macht auf antisemitische Straftaten in Baden-Württemberg aufmerksam.  © Bernd Weissbrod/dpa

Mehr als eine antisemitische Straftat pro Tag listet das Innenministerium für einen Großteil des vergangenen Jahres auf. Und das sind nur die bekannt gewordenen Fälle. Volksverhetzung gehört dazu, Beleidigung und Sachbeschädigung ebenso wie das sogenannte Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, also zumeist das Tragen eines Hakenkreuzes.

Die Zahlen seien bis in den Herbst hinein auf dem hohen Niveau des Vorjahres verharrt, sagte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (62, CDU) der Deutschen Presse-Agentur.

2021 waren nach einem sprunghaften Anstieg 337 antisemitisch motivierte Vorfälle registriert worden - und die Dunkelziffer bleibt groß.

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In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Straftaten nach Angaben des Innenministeriums mehr als verdreifacht - von 99 Fällen im Jahr 2017 auf 136 ein Jahr später, 182 im Jahr 2019 und 228 im Jahr 2020, bevor sich die Zahl der Fälle im Jahr 2021 schlagartig auf 337 erhöhte.

Im ersten Dreivierteljahr 2022 wurden laut Innenministerium 175 Taten registriert (Vergleichszeitraum 2021: 165). Nicht immer sieht die Polizei ein politisches Motiv, nicht immer wird klar, was überhaupt dahintersteckt.

Thomas Strobl: "Ich habe mich getäuscht"

Für viele bekennende Juden gehören Angriffe, Beleidigungen und Bedrohungen zum Alltag.
Für viele bekennende Juden gehören Angriffe, Beleidigungen und Bedrohungen zum Alltag.  © picture alliance / dpa

Aber es wird angegriffen und beleidigt, gedroht und beschädigt, nicht nur im Internet. "Es gibt Antisemitismus vor allem in den sogenannten sozialen Medien, wir haben ihn freilich auch wieder auf den Straßen", sagte Strobl.

Bei Demonstrationen etwa von Extremisten und Verschwörungsideologen gebe es antisemitische Narrative. "Und ich muss zugeben: Ich habe mich getäuscht. Der Antisemitismus war nie weg, er ist da, im Netz und auch auf deutschen Straßen und Plätzen."

Angetrieben wird die Stimmung aus Sicht Strobls durch die gesellschaftlichen Herausforderungen: "Diese gesellschaftlichen Herausforderungen, diese Krisen sind leider ein Nährboden für Verschwörungstheorien und leider auch für Antisemitismus", sagte der Innenminister. "Es wird ein Schuldiger gesucht für das Elend in der Welt." Es gehe um die alten, klassischen Narrative. "Das begünstigt Hass und Hetze. Und es begünstigt leider auch Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden."

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In den vergangenen vier Jahren investierte Baden-Württemberg nach Angaben des Innenministeriums rund sieben Millionen Euro in den Schutz von Synagogen, in die Unterstützung von Sicherheitspersonal und in entsprechenden Vorkehrungen an Synagogen in Stuttgart und an anderen Orten.

"Es ist eine Schande, dass wir unsere jüdischen Einrichtungen, die israelischen Einrichtungen schützen müssen", sagte Strobl.

Antisemitische Straftaten größtenteils rechtsmotiviert

Für die jüdischen Gemeinden gebe es inzwischen auch flächendeckend feste Ansprechpartner in allen Polizeipräsidien. "Und wir haben das bundesweit einmalige Projekt der beiden Polizeirabbiner, die mit großer Leidenschaft, Enthusiasmus und viel Herz in Baden-Württemberg unterwegs sind", sagte der CDU-Politiker.

Nach Angaben des Innenministeriums sind antisemitische Straftaten nach wie vor größtenteils rechtsmotiviert. "In diesem Phänomenbereich zählt Antisemitismus zu den ideologischen Kernelementen und stellt einen verbindenden Faktor dar", hieß es dazu.

Von den 337 Gewaltdelikten im Jahr 2021 werden 242 diesem sogenannten Phänomenbereich zugerechnet, in den ersten drei Quartalen waren es weitere 109 (119) Fälle, meistens Volksverhetzung und Gewaltdarstellung. Gegen Synagogen richten sich vergleichsweise wenige antisemitische Straftaten.

Titelfoto: Bildmontage: Bernd Weißbrod/dpa, picture alliance / dpa

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