Lässt der Freistaat seine Kommunen am langen Arm verhungern?

Dresden - Das Jahr ist schon acht Monate alt, dennoch können knapp 12 Prozent der sächsischen Kommunen noch immer keinen bestätigten Haushalt vorweisen.

Da kann man den Gürtel noch so eng schnallen und das Sparschwein mehrmals umdrehen - wenn die Einnahmen nicht ausreichen, muss man bei den Ausgaben sparen. Vielen sächsischen Kommunen geht das so. Manche beklagen, dass die Unterstützung vom Freistaat größer sein müsste.
Da kann man den Gürtel noch so eng schnallen und das Sparschwein mehrmals umdrehen - wenn die Einnahmen nicht ausreichen, muss man bei den Ausgaben sparen. Vielen sächsischen Kommunen geht das so. Manche beklagen, dass die Unterstützung vom Freistaat größer sein müsste.  © 123RF

Vor allem steigende Sozialausgaben bei Jugendhilfe und Pflege, explodierende Personalausgaben durch Tarifergebnisse im öffentlichen Dienst und höhere Kosten für den Personennahverkehr haben die Gemeinden in die finanzielle Not getrieben. Auch zwei Hilfspakete des Freistaats waren bislang wenig hilfreich.

"Mit Stand 31. Juli haben 49 der 415 kreisangehörigen Städte und Gemeinden noch keine beschlossene Haushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2023 vorgelegt", bestätigt Medienreferent Richard Baldeweg vom Sächsischen Innenministerium.

Aus einer Antwort von Innenminister Armin Schuster (62, CDU) auf eine Anfrage der Linksfraktion im Landtag geht zudem hervor, dass es zwei der insgesamt zehn Landkreise im Freistaat nicht schafften, bis zum Stichtag 30. Juni einen von der Rechtsaufsicht bestätigten Haushaltsplan vorzuweisen.

Die Antwort des Innenministers Armin Schuster (62, CDU) machte klar, dass nicht alle Landkreise im Freistaat bis zum Stichtag schaffen, einen bestätigten Haushaltsplan vorzulegen.
Die Antwort des Innenministers Armin Schuster (62, CDU) machte klar, dass nicht alle Landkreise im Freistaat bis zum Stichtag schaffen, einen bestätigten Haushaltsplan vorzulegen.  © IMAGO/Jacob Schröter

Sechs weiteren Landkreisen wurde ihr Haushalt zudem nur unter Auflagen genehmigt. Das bedeutet: Sie sind zum eisernen Sparen verdonnert, müssen sich geplante Ausgaben genehmigen lassen.

Mehr Ausgaben für dieses Jahr

Olbersdorf in der Oberlausitz ist zwar ein schönes Fleckchen Sachsen, doch die kommunalen Einnahmen sind knapp. Das Haushalten gestaltet sich daher extrem schwierig.
Olbersdorf in der Oberlausitz ist zwar ein schönes Fleckchen Sachsen, doch die kommunalen Einnahmen sind knapp. Das Haushalten gestaltet sich daher extrem schwierig.  © IMAGO/Zoonar

Dabei ächzen die sächsischen Kommunen schon jetzt an allen Ecken unter der Finanzierungslast. "Die vor allem inflationsbedingten Kostensteigerungen betreffen alle Ausgabenbereiche, also Personal- und Sachkosten, soziale Leistungen und Investitionsmaßnahmen", erklärt Mischa Woitscheck, Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetages.

Während die bereinigten Gesamtausgaben der sächsischen Kommunen 2021 noch um moderate 2,2 Prozent (295 Mio. Euro) angestiegen waren, kletterten sie 2022 schon um 7,4 Prozent (1,006 Mrd. Euro). Woitscheck: "Für 2023 ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen."

Auch Olbersdorf im Zittauer Gebirge steht auf der Liste der Gemeinden, die bis dato noch keinen bestätigten Haushalt vorweisen können. Einnahmen und Ausgaben lassen sich nicht mehr in der Waage halten - seit Jahren schon. Der Gemeinderat steht jetzt vor der Entscheidung: Müssen wir die Bibliothek oder das Freibad schließen - oder die Straßenbeleuchtung ausschalten?

Laut Mischa Woitschek (56, SSG) betreffen die Kostensteigerungen alle Ausgabenbereiche.
Laut Mischa Woitschek (56, SSG) betreffen die Kostensteigerungen alle Ausgabenbereiche.  © Petra Hornig

Bürgermeister Andreas Förster (parteilos) machte sich in einer Wutrede Luft: "Der Freistaat lässt seine Städte und Gemeinden verhungern." Auf Nachfrage reagiert er resigniert: "Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mich in dieser Angelegenheit nicht mehr öffentlich äußern werde. Es interessiert niemanden."

Zunehmende Verschuldung der Kommunen

Klar wäre eine neue Bushaltestelle hier angebracht. Blöd nur, wenn das Geld nicht reicht.
Klar wäre eine neue Bushaltestelle hier angebracht. Blöd nur, wenn das Geld nicht reicht.  © IMAGO/serienlicht

Doch, die Einwohner der betroffenen Gemeinden! Über ihnen wird künftig ein Füllhorn von Sparmaßnahmen ausgeschüttet: Kürzung bei Jugendhilfe, Nahverkehr, Sport- und Freizeitangeboten. Gleichzeitig können sie sich auf steigende Gebühren und Beiträge gefasst machen.

"Um den Haushaltsausgleich zu erreichen, sparen die Kommunen bei allen Selbstverwaltungsaufgaben", sagt Woitscheck vom Städte- und Gemeindetag "Sie halten das Investitionsniveau hoch, obwohl die Investitionszuweisungen von Bund und Land 2022 mit einem Minus von über fünf Prozent (minus 54 Mio. Euro) deutlich gesunken sind.

Dies ging letztlich zulasten einer erstmals seit vielen Jahren wieder zunehmenden Verschuldung der sächsischen Kommunen."

Und was macht die Staatsregierung? "Zur Unterstützung der Haushaltskonsolidierung können vom Freistaat laut Sächsischem Finanzausgleichsgesetz Bedarfszuweisungen gewährt werden", sagt Baldeweg vom Innenministerium.

Dafür wurde ein Rettungsschirm mit einem Gesamtvolumen von 133 Millionen Euro aufgespannt.

"Wie schlecht müssen die Zeiten denn noch werden?"

Das örtliche Schwimmbad ist oft das Erste, was eingespart wird.
Das örtliche Schwimmbad ist oft das Erste, was eingespart wird.  © IMAGO/viennaslide

Doch das sei nicht ausreichend, kontert Mirko Schultze (49), Kommunalexperte der Linksfraktion im Landtag: "Für alle 13 sächsischen Landkreise und kreisfreien Städte stünden damit rein rechnerisch nur etwas mehr als 10 Millionen Euro zur Verfügung - nur ein Tropfen auf den heißen Stein."

Schultze fordert deshalb: "Damit sich die Gemeinden endlich freischwimmen können, müssen die 600 Millionen Euro aus Überschüssen im Fonds des Sächsischen Finanzausgleichsgesetzes noch in diesem Jahr ausgezahlt werden." Diese Rücklagen waren für schlechte Zeiten gedacht. "Wie schlecht müssen die Zeiten denn noch werden?", fragt Schultze.

Boxberg in der Oberlausitz kann sich jetzt über den lang ersehnten Bestätigungsbrief freuen. "Er lag am 29. August im Briefkasten", sagt Kämmerer Maximilian Schöbel (27). Ihm verhagelten die durch Tarifabschlüsse gestiegenen Personalkosten eine ausgeglichene Bilanz. Für die Bestätigung eines kommunalen Haushalts gibt es laut Sächsischer Gemeindeordnung übrigens keine gesetzlichen Fristen.

Der bestehende Rettungsschirm würde laut Mirko Schultze (49, Die Linke) nicht ausreichen.
Der bestehende Rettungsschirm würde laut Mirko Schultze (49, Die Linke) nicht ausreichen.  © Thomas Kläber/PR

"Demgemäß kann die Haushaltssatzung noch bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres beschlossen werden", sagt Baldeweg vom Innenministerium. Für viele Gemeinden heißt das: vier weitere Monate Zeit ohne Geld.

Hilferufe ertönen auch anderswo

Wäre ein Szenario wie in Rheinland-Pfalz auch in Sachsen denkbar? (Symbolbild)
Wäre ein Szenario wie in Rheinland-Pfalz auch in Sachsen denkbar? (Symbolbild)  © 123RF

Wie läuft's in anderen Bundesländern? Im südpfälzischen Freisbach (bei Speyer/Rhein) sind Ortsbürgermeister und 16 Ratsmitglieder Anfang August geschlossen zurückgetreten. Grund war der Streit um den noch nicht genehmigten Finanzhaushalt.

"Wir können unser Mandat nicht mehr zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger ausüben", begründete Peter Gauweiler (66), seit mehr als 20 Jahren Ortsbürgermeister der 1200-Einwohner-Gemeinde Freisbach. "Über 1000 Gemeinden im Land haben keinen ausgeglichenen Haushalt."

Die Kommunalaufsicht hatte noch nicht einmal den Haushalt für das vergangene Jahr genehmigt, weil die Ausgaben des Ortes die Einnahmen deutlich übersteigen. Freisbach solle Steuern anheben. Doch auch dann bliebe der Haushalt im Minus.

Gauweiler: "Unser Rücktritt soll ein politisches Zeichen sein und ein Hilferuf - stellvertretend für alle Kommunen in Rheinland-Pfalz."

Wäre so ein Szenario auch in Sachsen denkbar? "Die Sächsische Gemeindeordnung sieht für die kollektive Amtsniederlegung des Gemeinderats sowie des Bürgermeisters keine spezielle Sanktionsmöglichkeit vor", verlautbart das Innenministerium. Träte der Fall wie in Rheinland-Pfalz ein, würde die Rechtsaufsichtsbehörde mit der Gemeinde das Gespräch suchen, um Wege zur Lösung zu finden.

Gelingt das nicht, könne schlussendlich ein Beauftragter für die Gemeinde bestellt werden - bis zur Wahl eines neuen Gemeinderats.

Titelfoto: Bildmontage: 123RF//IMAGO/Zoonar//IMAGO/serienlicht//123RF

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