Finanzexperte und Mitglied im "Club of Rome": So will dieser Sachse die Inflation ausbremsen

Colditz - Wie ein böser Spuk geistert das Wort "Inflation" seit Monaten durch Gazetten und Köpfe. Im Schlepptau die düstere Ahnung, wonach die "fetten Jahre" – falls es sie in dieser Region je gab – endgültig vorbei sein könnten. Bloß: Kann man etwas dagegen tun angesichts horrend gestiegener Preise, gerade bei Energie und Lebensmitteln? Kaum, scheinen sich die meisten Politiker einig zu sein. Eben doch, sagt stattdessen ein umtriebiger Vordenker namens Professor Dr. Stefan Brunnhuber (60).

Prof. Dr. Stefan Brunnhuber (60) beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Zukunfts- und Finanzthemen. Im "Hauptberuf" ist er Ärztlicher Direktor einer Psychiatrie.
Prof. Dr. Stefan Brunnhuber (60) beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Zukunfts- und Finanzthemen. Im "Hauptberuf" ist er Ärztlicher Direktor einer Psychiatrie.  © Diakoniewerk Zschadraß

Der ist nicht nur Ärztlicher Direktor der Psychiatrie im sächsischen Zschadraß, sondern auch ein ausgewiesener Finanzexperte und Mitglied der FDP. Außerdem das einzige sächsische Mitglied im renommierten "Club of Rome", der vielleicht wichtigsten Denkfabrik in Sachen Zukunft.

Vor Monaten erst hat Brunnhuber ein Buch herausgebracht, in dem er sich zusammen mit einem internationalen Team mit der Finanzierung der Nachhaltigkeit beschäftigt.

Jetzt macht er mit einer weiteren Idee auf sich aufmerksam – der "monetären Inflationsbremse". Die soll das Gespenst der Inflation quasi verschrecken, noch ehe es richtig Unheil stiften kann. Ein komplett neuer Ansatz.

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Dass Volkswirtschaften wie die bundesdeutsche oder die europäische ohnehin eine gewisse Neigung zur Inflation haben, dafür sorgen nach Ansicht Brunnhubers wie anderer Experten schon die "3 D"-Faktoren: Demografie, Dekarbonisierung und Deglobalisierung. "In einer alternden Gesellschaft wird weniger investiert, mehr konsumiert", erklärt Brunnhuber den demografischen Aspekt.

Außerdem verursache auch die Transformation hin zu erneuerbaren Energien zunächst mal Kosten (Dekarbonisierung), ebenso das Bemühen, in Zeiten gestörter Lieferketten wieder heimatnah zu produzieren (Deglobalisierung).

Für diese Art Inflationstreiber gebe es aber bekannte Rezepte aus dem politischen Instrumentenkasten.

Geldpolitischer Mechanismus statt Subventionen notwendig

Die EZB in Frankfurt: Sie könnte laut Brunnhuber den entscheidenden Impuls setzen.
Die EZB in Frankfurt: Sie könnte laut Brunnhuber den entscheidenden Impuls setzen.  © 123rf/dudlajzov

Was Brunnhuber viel mehr umtreibt, sind die sprunghaft angestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise, die das sorgsam ausbalancierte Lohn- und Preis-Gefüge unserer Volkswirtschaften wie ein akutes Schockereignis von außen bedrohen. Hierfür seien völlig andere Instrumente vonnöten.

Ehe er dazu kommt, beschreibt Stefan Brunnhuber noch einmal das Problem, das mit den so plötzlich davongaloppierenden Preisen einhergeht: "Inflationen führen nicht nur zu sozial unfairen Wohlstandsverlusten, sondern auch zu Kosten in Bezug auf die Stabilität eines politischen Systems, egal, ob man nun in Autokratien lebt oder in offenen Gesellschaften."

Heißt: Wenn die Menschen ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können, gehen sie auf die Straße, es kommt zu Entlassungen, der Wohlstand ist nicht mehr zu halten. "Milliarden von komplexen Gleichgewichten innerhalb der Volkswirtschaften werden auf einmal durcheinandergebracht. Das kann am Ende dazu führen, dass das System politisch und ökonomisch instabil wird."

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Statt nun mit Subventionen (Tankrabatt: "4 bis 20 Euro Ersparnis pro Monat") und Steuererleichterungen (Senkung der Mehrwertsteuer: "Preise steigen trotzdem") dagegenzuhalten, die alle erst am Ende der Wertschöpfungskette wirken, wenn der Energieschock – gewissermaßen flussabwärts – bereits die gesamte Wirtschaft angesteckt hat, benötige man einen geldpolitischen Mechanismus, der flussaufwärts wirkt. "Schnell und zielgenau. Und das geht am besten über die Zentralbanken."

Interbanken-Geschäft wurde früher schon vollzogen

Verbraucher müssen derzeit genau überlegen, wofür das Geld noch reicht.
Verbraucher müssen derzeit genau überlegen, wofür das Geld noch reicht.  © 123RF/gregorylee

Die Europäische Zentralbank (EZB) soll demnach etwa zwei Dutzend großen Anbietern, von denen die EU fossile Brennstoffe importiert (Russland, Saudi-Arabien etc.) die dafür benötigten zusätzlichen 300 Milliarden Euro indirekt bereitstellen, indem sie dieses Geld zusätzlich erzeugt, also frisch in den Markt pumpt.

Ein technischer Vorgang, der so ähnlich im Interbanken-Geschäft ab und an ohnehin schon praktiziert werde, um die Gefahr eines System-Zusammenbruchs abzuwenden – im großen Stil zuletzt 2019. Abgewickelt werden soll das Ganze dann über die Europäische Investitionsbank (EIB).

Die Verbindlichkeiten, die dadurch den EU-Mitgliedsstaaten entstünden, könnten in Schulden mit extrem langfristigen Laufzeiten umgewandelt werden, wären somit keine echte Belastung für die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit. Brunnhuber: "Ein Vorgang, welcher ebenfalls bereits international praktiziert wird."

Der Vorteil, so Brunnhuber, bestünde darin, dass man mit einer solchen Einmal- oder Zweimalzahlung ("Allzu oft kann man dies natürlich nicht machen...") die Kostensteigerung, wenn schon nicht im Keim ersticken, dann doch deutlich bremsen könnte. Die Inflation würde entschärft.

Ziel: Robustere, modernere und weniger anfällige Wirtschaft

Hat der Westen zu sehr auf Importe gesetzt? Die Störung von Lieferketten macht nachdenklich.
Hat der Westen zu sehr auf Importe gesetzt? Die Störung von Lieferketten macht nachdenklich.  © 123RF/enanuchit

Gleichzeitig müssten unsere Wirtschaften – "unterhalb dieser monetären Inflationsbremse, die wie ein Rettungsschirm wirkt" – radikal die Produktion hin zu nachhaltigen Produkten und Energieformen vorantreiben. Bestenfalls würden dann jene Länder, die unsere Energie-Milliarden quasi als Abschlag bekommen haben, mit diesem plötzlichen Euro-Segen bei uns "einkaufen gehen" – und damit unsere Exportwirtschaft stützen.

Das Tüpfelchen auf dem "i": Unsere umgebaute Wirtschaft wäre künftig robuster, da moderner und weniger anfällig für die "3 D", was sich auch auf den Euro-Dollar-Kurs günstig auswirken dürfte.

Stefan Brunnhuber räumt ein, dass die Berechnungen der volkswirtschaftlichen Kosten eine große Spannbreite haben. In einer ersten Schätzung würde es aber mittelfristig bereits rund das Achtfache kosten, die Inflation nur mit den althergebrachten Methoden zu bekämpfen (Subventionen, Steuerpolitik).

Das Modell der monetären Inflationsbremse sei "in der Abwägung am billigsten, am schnellsten, am zielgenauesten und darüber hinaus für die Stabilität politischer Systeme am besten". Das Mandat für so eine massive Intervention hätte die EZB schon jetzt, auch ohne Zustimmung der Parlamente. Durchführbar wäre es binnen Tagen.

In den nächsten Wochen will Brunnhuber bei "Mandatsträgern, aber auch Think Tanks" und in Wissenschaftskreisen für diese revolutionäre Idee werben.

Ein unermüdlicher Denker

Brunnhuber ist Mitglied im "Club of Rome", der vielleicht wichtigsten Denkfabrik in Sachen Zukunft.
Brunnhuber ist Mitglied im "Club of Rome", der vielleicht wichtigsten Denkfabrik in Sachen Zukunft.  © PR

Stefan Brunnhuber wählte selten den leichtesten Weg. Obwohl sein Abiturzeugnis herausragend war, arbeitete er vor dem Studium zunächst als Rettungssanitäter, erlernte den Beruf des Kfz-Mechanikers und ging auf Weltreise. Erst dann wurde studiert - zeitgleich Medizin und Wirtschaftssoziologie. In beiden Feldern erwarb er einen Doktortitel.

Neben seiner Tätigkeit als Ärztlicher Direktor einer Klinik für Psychiatrie hatte Brunnhuber schon diverse Gastprofessuren an deutschen und ausländischen Universitäten inne.

Neben dem "Club of Rome" gab und gibt es noch zahlreiche renommierte Gremien und Kommissionen, denen Brunnhuber angehörte oder noch angehört, darunter die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste oder die "Covid-19 Lancet-Kommission".

Sogar bei den Vereinten Nationen durfte Brunnhuber schon zu den Themen Finanzen und Nachhaltigkeit sprechen.

Titelfoto: Bildmontage: Diakoniewerk Zschadraß, 123rf/dudlajzov

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