Einmalig: Paar muss 885 Tage auf Jawort warten - wegen Behinderung

Von Simon Kremer

Oschersleben - Um kurz nach 11 Uhr am 9. August 2025 sind Kathrin Pollnow (61) und Klaus-Dieter Rose (44) aus Oschersleben (Sachsen-Anhalt) verheiratet. In nicht einmal zehn Minuten ist vorbei, worauf sie 885 Tage gewartet haben.

Klaus-Dieter Rose (44) und Kathrin Pollnow (61) mussten 885 Tage warten, ehe sie heiraten konnten.  © Simon Kremer/dpa

Als Pollnow und Rose im März 2023 zum ersten Mal auf dem Standesamt sind und das Aufgebot bestellen wollen, gehen sie davon aus, schon bald verheiratet zu sein. Sie kennen sich seit rund 15 Jahren.

Aber nur wenige Tage später kommt die Ablehnung der Amtshandlung, wie es bürokratisch heißt. Wegen fehlender Geschäftsfähigkeit könnten die beiden nicht heiraten.

Ein ziemlich einmaliger Vorgang. Es sei dabei um die Frage gegangen, ob sich die beiden als geistig behinderte Menschen der Tragweite einer Ehe bewusst seien, erzählt Annett Marziniak.

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Sie ist Teamleitung im Wohnbereich einer Einrichtung für behinderte Menschen, in der Pollnow und Rose leben. "Aber wer ist sich dessen schon bewusst?"

"Da hab ich gesagt: Wir bleiben da dran", erzählt Kathrin Pollnow. Mit jedem weiteren Brief, der gekommen sei. Die 61-Jährige lebt schon lange im Matthias-Claudius-Haus, einer Einrichtung der Diakonie für Menschen mit Behinderungen. Sie arbeitet in der Hauswirtschaft, als sie Klaus-Dieter Rose kennenlernt, der in der Küche hilft und das Essen ausfährt.

"Ich mag es, dass wir uns verstehen und dass wir uns so liebhaben", sagt Pollnow. "Genau", sagt Rose. "Was sie sagt." Beiden ist wenige Tage vor der Hochzeit die Aufregung anzumerken.

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Paar darf wegen fehlender Geschäftsfähigkeit nicht heiraten: "Hier geht es um das Eigentliche: um Liebe"

Nach viel Bürokratie konnten sie sich am 9. August endlich das Jawort geben.  © Simon Kremer/dpa

Es folgen Monate voller Schriftverkehr. Betreuungsakten werden angefordert, medizinische Unterlagen, Gutachten erstellt. Der Landesbehindertenbeauftragte von Sachsen-Anhalt schreibt einen Brief: "Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verbietet jede Form der Diskriminierung."

Es sei in Sachsen-Anhalt ein einmaliger Fall, sagt der Landesbeauftragte Christian Walbrach. Erst fast zwei Jahre nach dem ersten Termin beim Standesamt und einer persönlichen Anhörung durch die Präsidentin am Amtsgericht Magdeburg ergeht Anfang des Jahres der Beschluss, dass das Standesamt die Eheschließung durchführen muss.

"Es zeigt sich, dass manchmal auch Barrieren in den Köpfen bestehen", sagt Landesbehindertenbeauftragter Walbrach. "Dass Menschen mit Behinderungen auch Rechte haben."

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"Manche heiraten wegen der Absicherung, wegen der Pflege oder wegen Geld", sagt Betreuerin Marziniak, "Hier geht es ja wirklich um das Eigentliche: um Liebe."

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