Bockau - Ein Teddybär ist wie ein kleiner Bruder. Man hat ihn sein ganzes Leben lang, vergisst ihn nie. Wer kein so kuscheliges Geschwisterchen hat, kann sich jetzt ein brummendes Brüderchen im Wunschformat bestellen. Doch nicht beim Klapperstorch, sondern bei Dorothea Siegel (72) aus Bockau im Erzgebirge.
Ihre Teddywerkstatt ist der Kreißsaal für die Geburt von befellten Wunschkindern. Die Teddys erschafft sie selbst mit Zwirn und Nadel, Fell und Holzwolle sowie viel Geschick. TAG24 stellt die 500-fache Bärenmutti, ihre brummelige Großfamilie und die einzigartige Bärenmanufaktur vor.
"Kam ein kleiner Teddybär aus dem Spielzeuglande her ..." Könnt Ihr das beliebte Kinderlied aus DDR-Zeiten noch singen? Dorothea Siegel straft den Text Lügen. Denn Teddys kommen nicht aus dem Spielzeuglande her, sondern aus ihrer Teddywerkstatt - und das in hundertfacher Ausfertigung!
Ihren ersten Teddy nähte Dorothea 1996 - eine späte Vergangenheitsbewältigung. "Als Kind hatte nur eine meiner drei Schwestern einen Teddy, doch ich wollte auch einen haben."
Die Lücke aus Kindertagen wollte sie als Erwachsene auffüllen. Als Spätberufene. Denn bis dahin sollte es erst noch einen beruflichen Werdegang als Maschinenbauzeichnerin im Blechmaschinenwerk VEB Blema Aue dauern, "obwohl ich lieber Dekorateurin geworden wäre".
Rund 15 Stunden braucht die Bärenmutti für einen Teddy
Erst ein paar Jahre nach der Wende erwachte der heimische Näheifer für kuschelige Stofftiere. Erst waren es Hund, Katze, Maus für ihre drei Kinder, dann ein Teddybär, den sie in ihrer Kindheit so vermisste. Sie taufte ihn Brummel.
Inzwischen hat Brummel über 500 befellte Geschwisterchen. So vielen Teddys hat die Bärenmutti seither ein Leben geschenkt. Ihr kleinster Bär ist 3,5 Zentimeter hoch, der größte 95 Zentimeter. "Ich brauchte zwei große Säcke voller Holzwolle, um ihn auszustopfen."
Längst muss auch Ehemann Kurt (76) als Geburtshelfer ran. "Ich ziehe zum Beispiel die Gelenke fest, damit die Bären Arme und Beine bewegen können", erzählt er. "Kopf und Körper werden fünffach doppelt verschraubt - das hält ein ganzes Bärenleben."
Rund 15 Arbeitsstunden und um die 80 Euro Materialkosten stecken in einem fertigen Teddy. Er besteht immerhin aus insgesamt 23 Einzelteilen: Wollfilz, Holzwolle zum Ausstopfen, Fell, allein zehn Pappscheibengelenke, eine Brummstimme und natürlich die Glasaugen, die bei einer Thüringer Mundglasbläserei eingekauft werden.
Brummbärenkreationen wirken altertümlich - so liebt es Dorothea
Dorotheas Credo: Ihre Brummbärenkreationen sollen altertümlich aussehen, dürfen gern etwas mitgenommen wirken. Warum? "Ich finde, Altes hat einen ganz besonderen Charme", erklärt sie. Sie recycelte, als es das Wort Upcycling noch gar nicht gab.
So wurde einmal aus dem Futter eines abgelegten Parkas ein Teddybär zum Leben erweckt, andere Male diente der über 100 Jahre alte abgewetzte Plüschbezug einer durchgesessenen Chaiselongue als gemustertes Bärenfell. Neuerdings darf es auch seidig glattes und gelocktes Mohair sein, die Wolle der Angoraziege.
Wenn ein fertiger Kuschelbär doch mal zu fabrikneu wirkt, hat die Bärenmama ein paar Tricks zur künstlichen Alterung auf Lager: "Ich schaffe bewusst kleine Fehlstellen im Fell, präpariere Reparatur- und Stopfstellen im Stoff oder klebe einfach ein Pflaster als Symbol für ein Loch auf Teddys Torso, das es darunter gar nicht gibt." Alles ist erlaubt, damit aus neu alt wird.
Jeder fertige Teddy wird fotografiert, bekommt eine Geburtsurkunde mit Angaben zu Gewicht, Größe, Material und einen Namen - von A wie Agathe über I wie Inge Meysel (weil die Bärendame so aussieht wie die Schauspielerin) bis Z, der Zahnarztbär.
Er trägt eine Binde um den Kopf wegen eines faulen Zahnes und lädt zum Trösten und Knuddeln ein. So stimmt am Ende das alte Kinderlied doch wieder: "Alle Kinder nah und fern haben unser Bärchen gern ..."
Extrawünsche werden gern erfüllt
Alle 500 Bockauer Bären sind unverkäufliche Unikate. Man kann sie trotzdem erwerben - als Kopien. Dafür können die Teddys auf Wunsch vergrößert, geschrumpft oder beliebig mit Hose, Hemd oder einem Kleid angezogen werden. Schließlich hat sich Dorothea das Schneidern von ihrem Vater - einem Schneidermeister - abgeguckt.
"Ein Chemnitzer Arzt bestellte mal einen Teddy, der so aussehen sollte wie ein Exemplar, das seine Mutti während seines Medizinstudiums mutwillig im Kachelofen verbrannt hatte - ein seltenes Tierchen mit geöffnetem Maul, heraushängender Zunge und rotem Pfotenstoff", erzählt die Bärenkünstlerin. Der Mann ließ sich das Erinnerungsstück 150 Euro kosten.
Ein aus Sachsen ausgewanderter Kanadier verliebte sich im Heimaturlaub bei einem Besuch in Bockau in Ben - ein liegender Bär mit hellem Fell. Die Nachbildung von Ben ist der am weitesten gereiste Bockauer Bär.
Als Geschenk für seine Tante und mutmaßliches Erbstück bestellte ein ehemaliger Bockauer, der jetzt in Franken lebt, einen Bären mit blau gestreifter Hose und extra eingesticktem Namenszug "Gerdl".
Auch Kabarettist Uwe Steimle bestellte einen Teddy
Kabarettist Uwe Steimle (61) orderte einen Teddy mit grünen Augen. Dorothea erinnert sich noch genau: "Als er in einer MDR-Sendung von diesem Teddy schwärmte, klingelte noch während der Ausstrahlung das Telefon."
Es folgte eine lang anhaltende Bestell-Arie grünäugiger Brummbären, bis der Herstellerfirma diese Glasaugen ausgingen. Auch Landesmutter Ingrid Biedenkopf (†94) bekam nach einem Besuch im Ort einen Teddy - als Geschenk von der Gemeinde.
Nur einmal hat die Bärenmutti gegen ihr eigenes Unverkäuflichkeitsgesetz verstoßen. Ein Mann aus dem Nachbarort wollte einen ganz bestimmten Bären als Andenken für seine Frau, weil er bald sterben würde. Dorothea trennte sich schweren Herzens von dem Unikat - ausnahmsweise. Denn Ausnahmen bestätigen auch die bärenstärkste Regel. "Nur 14 Tage später stand die Todesanzeige in der Zeitung", weiß sie noch wie heute.
Wer auch Interesse an einem Fellfreund hat: Die Bärenbestellnummer für einen handgenähten Teddy lautet: 0176/34 68 08 10.