Görlitz - Seit 2022 entsteht in Görlitz ein weltweit einzigartiges Großforschungszentrum: das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA), das dem Strukturwandel in der Region mit Wissenschaft und Transformation begegnen möchte – unter anderem, indem es dem Wackeln des Weltalls auf den Grund geht, Chirps aufspürt und vielleicht sogar am "Einstein-Teleskop" mitbaut.
DZA-Gründungsdirektor Prof. Günther Hasinger (71) erklärt: "Früher hat die Astronomie nur Stummfilme gemacht - und wir können jetzt quasi einen Tonfilm erzeugen."
Denn: Konnte man einst nur mit Teleskopen ins Universum schauen, kann man seit etwa zehn Jahren auch sogenannte Gravitationswellen aus dem Weltraum hörbar machen.
Dieses "Wackeln" des Weltalls wird durch kosmische Ereignisse ausgelöst, bei denen Masse beschleunigt und damit die Raumzeit verzerrt wird, zum Beispiel wenn sich zwei schwarze Löcher vereinigen.
"So lange sie schön brav umeinander herumlaufen, gibt es ein konstantes Brummen. Bei der Vereinigung gibt es ein 'Chirp', also Vogelzwitschern. Und diese 'Chirps' wollen wir messen", meint Hasinger.
Technologieentwicklung im Fokus
Die Weltraumforschung mit allen Sinnen nennt man Multimessenger-Astrophysik. "Wir wollen weltweit das größte Zentrum dafür werden", betont der Wissenschaftler.
Dafür beteiligt sich das DZA bereits am internationalen Projekt SKAO (Square Kilometre Array Observatory), bei dem eine große Anzahl an Radioteleskopen in Südafrika und Australien aufgebaut werden, um weiter entfernte Galaxien erkunden zu können.
Außerdem engagiert sich das DZA dafür, Teil des Einstein-Teleskops zu werden und plant zudem ein Untergrundlabor ("Low Seismic Lab") zur Gravitationswellenmessung in der Lausitz.
Eng mit der Astrophysik verbunden ist die Technologieentwicklung am DZA. "Wir wollen eine transformierende Wirkung auf die Gesellschaft und Wirtschaft vollziehen", erklärt Prof. Hasinger. "Viele technologische Entwicklungen, die wir heute haben - zum Beispiel das Cerankochfeld in der Küche, die Gleitsichtbrille oder die Chipindustriefertigung - basieren auf Entwicklungen der Astrophysik", beschreibt er.
Den Strukturwandel in der Region möchte das DZA deshalb "von der Kohle ins Silizium" vollziehen. Denn sowohl in der Chipindustrie als auch bei optischen Systemen werde immer mehr Silizium genutzt.
Enge Zusammenarbeit mit TU Dresden
Ein weiterer Schwerpunkt: die Datenwissenschaften. Hasinger: "Die Gesellschaft wird in Zukunft in Daten ersticken. Die großen astronomischen Teleskope sind die größten Datenschleudern der Welt."
Deshalb sollen neue Methoden und Algorithmen erforscht werden, die die Datennutzung effizienter machen. "Wir müssen schnell entscheiden, welche Daten sind wichtig und welche kann man sofort wieder wegschmeißen", erklärt der Astrophysiker.
Dafür arbeitet das DZA eng mit der TU Dresden zusammen, die auch eine der Trägerorganisationen des Zentrums ist. Schon im Wintersemester 2026/27 könnte zudem der neue Astrophysik-Studiengang hier starten.
Ebenfalls noch im Aufbau befindet sich das DZA selbst. Aktuell gründet sich eine gGmbH, die das Zentrum künftig leiten soll. Bis 2038 will das DZA etwa 1000 Mitarbeiter beschäftigen und Anfang der 2030er-Jahre dann den neuen Kahlbaum-Campus in Görlitz beziehen. Bis 2038 wird das Großforschungszentrum von Bund (90 Prozent) und Sachsen (10 Prozent) mit 1,2 Milliarden Euro finanziert.
Das "Low Seismic Lab": Ein riesiger Granitstock verhindert das Wackeln
"Wenn man das Wackeln des Weltraums hören möchte, muss man das Wackeln der Erde ausschließen", beschreibt Prof. Günther Hasinger.
Deshalb soll in der Lausitz zwischen Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen ein Untergrundlabor, das "Low Seismic Lab" (LSL), in 200 Metern Tiefe entstehen.
Dort befindet sich ein einzigartiger, annähernd monolithischer und glatter Granitstock aus Granodiorit, mit einer Ausdehnung von etwa 20 Kilometern und einer Tiefe von bis zu zehn Kilometern, erklärt Projektmanager Andreas Scholze (57).
"Vorgesehen ist eine Innovationsplattform mit einem Volumen von zirka 36.000 Kubikmetern", erzählt er. So sollen mehrere Kavernen, also Hohlräume, für verschiedene Forschungsbereiche im Granit entstehen.
Labor für verschiedene Experimente
Der wichtigste Zweck des Labors wird die Entwicklung neuer Messinstrumente für Gravitationswellen-Detektoren sein.
Außerdem soll es für weitere Spitzenforschungsbereiche genutzt werden - zum Beispiel hochauflösende Elektronenmikroskope oder die sogenannte Röntgen-Lithographie, ein Verfahren zur Herstellung extrem kleiner Bauteile für Mikrochips.
Zusätzlich ist das Labor für astrophysikalische Experimente vorgesehen, bei denen eine Abschirmung vor kosmischer Strahlung nötig ist. Ein großer Experimentierraum soll zur freien Nutzung entstehen, zum Beispiel für die Waverindustrie.
Hinzu kommen weitere Kavernen für die technische Infrastruktur sowie Versorgungstunnel. Der Zugang zum Labor soll über eine 2,5 Kilometer lange Rampe und einen Personenaufzug erfolgen.
Das Kahlbaum-Areal: Neuer Campus entsteht auf altem Klinikgelände
Das DZA hat derzeit Interimsstandorte in der Alten Post und auf dem ALSTOM-Gelände in Görlitz bezogen. Doch bis zum Jahr 2038 soll die Zahl der Mitarbeiter auf über 1000 anwachsen. Deshalb soll in Zukunft ein eigener Forschungscampus entstehen und zwar auf dem verlassenen Kahlbaum-Areal.
1885 als erste Epilepsieklinik Deutschlands gegründet, entwickelte sich das Gelände unter Dr. Karl Ludwig Kahlbaum (1828-1899) zur renommierten psychiatrischen Heilanstalt. Bis 2004 nutzte zuletzt die II. Medizinische Klinik des Bezirkskrankenhauses Görlitz - den Görlitzern als "Zweite Med" geläufig - das Gelände.
Auf dem 42.000 Quadratmeter großen Areal sollen künftig ein Besucherzentrum, Labore, Werkstätten, Büros, Konferenz- und Seminarräume sowie eine Mensa Platz finden.
So sollen das Gartendenkmal und die alten Gebäude erhalten und saniert werden. Aber auch Neubauten sind geplant. Dafür wird derzeit eine Bedarfsermittlung erstellt und im nächsten Jahr ein Architekturwettbewerb durchgeführt.
Das Einstein-Teleskop: Hier spielt die Superlative
Mit dem neuen Einstein-Teleskop wollen Forscher ins Weltall horchen und neue Erkenntnisse über die Ursprünge des Universums gewinnen.
Dabei handelt es sich um drei Detektoren, die durch je zehn Kilometer lange Tunnel miteinander verbunden sein werden und durch die Laserstrahlen geschickt werden, um Gravitationswellen messen zu können.
Das Teleskop soll in 200 bis 300 Metern Tiefe unter der Erde gebaut werden. Als mögliche Standorte gelten die Euregio Maas-Rhein, Sardinien und die Lausitz, für die Sachsen mit dem DZA maßgeblich wirbt.
Die Entscheidung soll 2026/2027 fallen.