Mysteriöser "Stimmensprung": Verfassungsgericht nimmt Sachsens Landtagswahl ins Visier
Leipzig - Die sächsische Landtagswahl hat ein juristisches Nachspiel - und zwar vor Sachsens Verfassungsgerichtshof. Es geht um 45.068 Stimmen, die sich am Ende der Auszählung in der Wahlnacht auf bisher unerklärliche Weise urplötzlich in der Statistik "verschoben" und so die Mandate-Verteilung beeinflusst haben. Aufgedeckt hatte den Fall ein Dresdner Informatiker, dessen Wahleinspruch vom neuen Landtag abgewiesen wurde.

Bereits am 20. Juni war eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingereicht worden, wie das Online-Portal "Tichys Einblick" zuerst berichtete.
Nach TAG24-Recherchen suchen ein Informatik-Unternehmer und eine pensionierte Juristin bei Sachsens höchstem Gericht Rechtsschutz, da ihre beiden Einsprüche gegen die Landtagswahl vom 1. September 2024 vom Landtag recht flott abgewiesen wurden.
Inhaltlich ist die Sache hochbrisant: Dem Informatiker war aufgefallen, dass es in der Wahlnacht gegen 23.20 Uhr einen bis heute nicht geklärten "Stimmensprung" von 45.068 Wählerstimmen gab. Laut Beschwerde sollen der CDU plötzlich 7303 und der AfD 16.459 Stimmen abhandengekommen sein, während SPD (+ 7585), Grüne (+ 4750) und Linke (+ 8971) binnen Minuten zulegten.

"Stimmensprung" hatte Folgen für die Sitzverteilung im Landtag

Der Informatiker kann sich eine solche Abweichung bei gleichbleibender Zahl ausgezählter Gemeinden rechnerisch nicht vorstellen. Auch ein ins Verfahren eingeführtes Gutachten des Pforzheimer Informatik-Professors Raphael Volz hält den "Stimmensprung" für mathematisch nicht nachvollziehbar.
Für die Sitzverteilung im Landtag hatte die Stimmenverteilung Folgen: So bekamen Grüne (7), Linke (6) und SPD (10) jeweils ein Mandat mehr, während die CDU statt 43 nur noch 41 und die AfD statt 41 nur 40 Sitze erhielt, was letzterer die Sperrminorität (Möglichkeit einer Minderheit, bestimmte Beschlüsse zu verhindern) kostete.
Einen Manipulations-Vorwurf erheben die parteiunabhängigen Beschwerdeführer bislang nicht, sie wollen nur eine nachvollziehbare Erklärung für die Stimmen-Diskrepanz haben.
"Die pauschale Zurückweisung der Einsprüche verletzt die Grundsätze der Wahlöffentlichkeit, Nachprüfbarkeit und Gleichheit sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör", erklärte der Delitzscher Rechtsanwalt Marcus Pretzell, der die Beschwerdeführer vertritt.
Sachsens Verfassungsgerichtshof bestätigte TAG24 den Eingang der Wahlprüfungsbeschwerde. Die im Zusammenhang mit dem Verfahren stehenden Akten seien beim Landtag angefordert und diesem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, erklärte eine Sprecherin.
Titelfoto: Bildmontage: Ralf Seegers; Holm Helis