Dresden - Die Europäische Kommission will am 16. Juli ihre Entwürfe für die langfristigen EU-Haushaltspläne vorstellen.
Die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) hat angekündigt, den ab 2027 gültigen Etat neu zu strukturieren.
So sollen beispielsweise künftig wohl die Fördermittel für die Regionen zentral durch die Regierungen der jeweiligen Nationalstaaten vergeben werden.
Nicht nur im Europäischen Parlament in Brüssel ist man deswegen bereits aufgeregt.
Es formiert sich Widerstand von Andalusien bis zum Zillertal. Auch in Sachsen sieht man die Pläne äußerst kritisch.
Sachsen schon lange keine schwache Wirtschaftsregion mehr
Projekte für Langzeitarbeitslose in Weißwasser. Praxisberater für Chemnitzer Oberschulen. Parkanlagen für Görlitz. Wasseranalyse-Roboter für Badeseen. Bausysteme für Carbonbeton. Radwege für das Erzgebirge. Straßenbahnen für Leipzig...
Diese Aufzählung von Dingen und Projekten, die mit EU-Mitteln finanziert wurden, könnte man noch um Hunderte Punkte verlängern. Denn Sachsen gehört seit über zwei Jahrzehnten zu den ganz großen Gewinnern in der EU in puncto regionale Förderung.
Der Staatenbund hat sich die harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes auf die Fahnen geschrieben (Stichwort Kohäsionspolitik). Da der Freistaat einst zu den schwächsten Wirtschaftsregionen der EU zählte, bekam er anfangs besonders viel Unterstützung aus Brüssel.
Heute liegt Sachsen im europäischen Mittelfeld, was die Wirtschaftskraft betrifft. "Diese Erfolgsgeschichte hätten wir ohne die EU-Hilfen nicht schreiben können", ist der sächsische Europa-Abgeordnete Oliver Schenk (56, CDU) sicher.
EU-Abgeordneter Matthias Ecke sendet Warnung in Richtung Berlin
Der Ex-Chef der Dresdner Staatskanzlei ist gleichzeitig überzeugt: "Wir brauchen weiterhin besondere Zuwendungen von der EU. Beispielsweise um demografische Herausforderungen zu meistern und unsere Wirtschaft weiter zu unterstützen, vor allem angesichts der zunehmend unfairen Wettbewerbspraktiken aus China."
Schenk sieht es kritisch, wenn EU-Mittel für die Regionen künftig von Berlin aus verteilt würden. "Den Regionen würde man so die Möglichkeit nehmen, in eigener Verantwortung zu handeln", sagt er.
Der sächsische EU-Abgeordnete Matthias Ecke (42, SPD) teilt diese Meinung. Er sagt: "Die Kommission spielt ein gefährliches Spiel. Das EU-Parlament lehnt die Pläne zur Zentralisierung der Vergabe der Fördermittel mehrheitlich ab."
Ecke sendet eine Warnung in Richtung Berlin: "Wenn die Bundesregierung diesen Plänen zustimmt, macht sie sich die Bundesländer zum Feind."
Starkes Sachsen nur in starkem Europa?
Doch was kann und wird die EU künftig überhaupt in den Regionen noch nach vorn bringen können? Fakt ist: Der Staatenbund muss sparen. Seine 27 Mitgliedsstaaten fordern das. Gleichzeitig ist es nötig, dass die EU Corona-Kredite zurückzahlt und Prioritäten neu setzt.
In ihrem Fokus stehen derzeit angesichts der weltweiten Krisen die Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit der EU - weniger die Agrar- und Kohäsionspolitik.
In Brüssel hat man zudem verstanden, dass die EU inzwischen vielerorts ein enormes Akzeptanzproblem hat wegen der überbordenden Bürokratie, die sie produziert. Zukünftig wird vieles einfacher, verspricht deshalb die Kommission. Sie hofft, Kritikern damit Wind aus den Segeln nehmen zu können.
In der belgischen Hauptstadt hört man jetzt oft: Der Druck von außen wird die EU innen zusammenschweißen.
Schenk: "Ein starkes Sachsen kann es nur in einem starken Europa geben." Ecke: "Wir erleben Schicksalsjahre der EU. Sie muss jetzt beweisen, dass sie Menschen schützen, Wohlstand sichern sowie Frieden und Demokratie verteidigen kann."
Ein Rahmen gibt das Maximum vor
Die EU gibt sich seit Ende der 1980er-Jahre langfristige Haushaltspläne. Der aktuelle sogenannte "Mehrjährige Finanzrahmen" (MFR) startete am 1. Januar 2021. Am 31. Dezember läuft er 2027 aus.
Dieser MFR hat ein Gesamtvolumen von rund 1211 Milliarden Euro. Hinzu kommen Mittel aus dem Wiederaufbauprogramm "Next Generation EU": rund 807 Mrd. Euro.
Im MFR sind die Höchstbeträge festgelegt, die die Union den einzelnen Politikbereichen aus dem Haushalt zuweisen kann. Die Vorlage des Haushaltsentwurfes durch die Kommission markiert den Beginn scharfer Debatten, denn das Haushaltsrecht liegt beim Europäischen Parlament.
Es muss den Etat per Mehrheitsbeschluss annehmen. Zudem braucht es das einstimmige Votum aller 27 EU-Mitgliedstaaten im Europäischen Rat, damit der MFR in Kraft treten kann.
Chip-Industrie soll es reißen
Beim Poker mit der EU um regionale Fördermittel hat Sachsen ein Ass im Ärmel: die Halbleiterindustrie. "Das Cluster der Mikroelektronik in Sachsen besitzt europäische Bedeutung", sagt der Leiter der sächsischen Vertretung in Brüssel Kai Mindel (48).
2023 verabschiedete die EU ein Europäisches Chip-Gesetz mit dem Ziel, Europas Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz bei den Halbleitertechnologien und -anwendungen zu stärken.
Die EU möchte sich unabhängiger machen von Chiplieferungen aus Asien und Amerika. Parallel dazu soll Europas technologische Führungsrolle ausgebaut werden. Politisch und finanziell geförderte Investitionen im Umfang von über 43 Mrd. Euro flankieren das Chip-Gesetz bis 2030.
Kai Mindel: "Ein Schwerpunkt unserer Arbeit hier liegt darin, die EU-Entscheidungsträger mit Fakten zu versorgen. Unsere Kommunikation ist darauf ausgerichtet, das Halbleiter-Ökosystem zu stärken und damit auch sächsische Interessen durchzusetzen. Dresden ist heute die größte Mikroelektronik-Region Europas. Jeder dritte in Europa gefertigte Chip kommt von dort."