So brutal ist Sachsens Jugend: Was Polizei, Politik und Experten sagen
Dresden - Die gute Nachricht zuerst: Sachsen ist ein vergleichsweise sicheres Bundesland, die Kriminalitätszahlen verharren seit Jahren auf ähnlichem Niveau. Sicherheitsexperten sind dennoch besorgt, denn insbesondere Gewalt im öffentlichen Raum wird zunehmend zum Problem. Die Täter werden immer jünger, brutaler und radikalisieren sich extrem schnell.

Der "Zweite Periodische Sicherheitsbericht" (2019-2023) - Sachsens offizielles, längerfristiges Sicherheits-Lagebild - benennt "Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen" als eines der Hauptprobleme: "Die polizeilich aufgeklärten Straftaten bei Kindern und Jugendlichen waren von 2019 bis 2021 zunächst rückläufig.
Anschließend folgte ein starker Anstieg bis zum Jahr 2023, bei Kindern um 68 Prozent auf 5168 aufgeklärte Fälle und bei Jugendlichen um 32 Prozent auf 13.659 Fälle", heißt es in der Studie.
"Das Fallaufkommen übertraf damit auch das Niveau von 2019." Die alarmierende Entwicklung beschleunigt sich weiter: Von 2023 zu 2024 weist die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik einen weiteren Anstieg speziell der Gewaltdelikte bei Kindern um 34,6 Prozent sowie bei Jugendlichen um 16,5 Prozent aus.
Was die Zahlen auch zeigen: Jedes dritte tatverdächtige Kind war nichtdeutsch. Zum Vergleich: 2015 waren noch mehr als 92 Prozent der gewalttätigen Kinder laut Polizeistatistik Deutsche. Unter gewalttätigen Jugendlichen lag der Anteil nichtdeutscher Verdächtiger 2024 sogar bei knapp 42 Prozent.
Armin Schuster zeigt sich alamiert

Innenminister Armin Schuster (64, CDU) zeigte sich bei der Vorstellung der Zahlen alarmiert: "Der anhaltende Anstieg der Kriminalität von Jugendlichen und sogar Kindern bringt die Polizei mit ihren Instrumenten an die Grenzen", räumte er ein. "Was zu Hause ausbleibt, kann von Polizisten nicht korrigiert werden."
Sorgen bereiten ihm zudem ausländische Intensivtäter: "Eine sehr kleine Gruppe der Zuwanderer mit Asylhintergrund ist für nahezu die Hälfte aller Straftaten dieser Gruppe verantwortlich."
Fest steht: Sachsens Jugend wird immer brutaler. In dieser Woche erschien ein Sachbuch, das diesem Phänomen erstmals einen Namen gibt: "Neue Deutsche Gewalt" (C.H. Beck, 18 Euro). Was rollt da auf uns zu?
Die Autoren Philipp Woldin (39) und Alexander Dinger (41) erklären bei TAG24 die Ursachen dieser Entwicklung, ordnen besonders krasse Fälle aus Sachsen ein und beschreiben die größten Problemfelder.

Täter werden immer jünger

Am Morgen des 20. Februar 2024 wurde der Medizinische Direktor der Zeisigwaldkliniken Bethanien, Prof. Michael Fröhner, in der Nähe der Chemnitzer Markthalle überfallen.
Ein 13-jähriger Syrer (in Begleitung eines 16-jährigen Irakers) hatte den Mann zu Boden gestoßen, auf ihn eingetreten und ihn schwer verletzt. Das Kind raubte das Portemonnaie, wurde Stunden später in Tatortnähe gefasst. Fröhner musste in seiner eigenen Klinik notoperiert werden.
Kein Einzelfall, erklärt Alexander Dinger: "Die Fälle der tatverdächtigen Kinder sind im vergangenen Jahr bundesweit um 11,3 Prozent gestiegen. Das ist ein Höchststand seit 2001. Dieser Trend trifft auch für Sachsen zu.
Insgesamt wurden 7129 tatverdächtige Kinder ermittelt, 320 mehr als im Vorjahr (+4,7 Prozent)."
Extremismus als Selbstinszenierung

Kurz vor Weihnachten 2024 wurde Lokalpolitikerin Samara Schrenk (21, Linke) in ihrer Heimatstadt Görlitz angegriffen. Der Täter: Neonazi Finley P. (18). Er ist Chef der rechtsextremen "Elbland Revolte" - einem Zusammenschluss von gewaltbereiten Jugendlichen, die sich binnen kurzer Zeit radikalisiert haben.
Ob links- oder rechtsextrem, ebenso bei islamistischem Extremismus: Radikalisierung findet heute zumeist im Internet statt. Immer häufiger werden selbst schwere Straftaten offen zur Schau gestellt. "Experten haben uns berichtet, dass in der neuen Generation der Extremisten Dinge wie 'Street Credibility' und Selbstinszenierung eine große Rolle spielen", sagt Autor Dinger.
"Die jungen Täter filmen sich zum Teil selbst und gehen sehr offen mit ihren Taten um. Fachleute sprechen hier von einer Zunahme an 'aktionsorientierten' Taten und weniger Theorie."
Mehr Messer als Tatwaffen

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Meldungen von Angriffen, bei denen ein Messer im Spiel war. Auch deswegen hat sich das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum für viele Menschen verschlechtert. Nur Panikmache - oder lässt sich dieser Trend mit konkreten Zahlen belegen?
"Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2024 in Deutschland insgesamt 29.014 Straftaten registriert, in denen ein Messer involviert war. In Deutschland finden also im Durchschnitt jeden Tag 79 Messerangriffe statt", zählt Alexander Dinger auf.
"Wobei man dazu sagen muss: Die Dunkelziffer ist hoch. Die Statistik wirft nur ein Schlaglicht. Wir wissen aus den Bundesländern, dass etwa die Hälfte der Täter keinen deutschen Pass hat."
Migrantische Intensivtäter

Als mit dem Ende der Corona-Beschränkungen plötzlich die Zahl jugendlicher Gewalttäter in die Höhe schoss, gründete die Dresdner Polizei dafür eine eigene Sonderkommission.
Ein Erfolg der Soko "Iuventus": Im Februar 2025 nahm sie die Jugendgang "212" hoch, die seit Jahresbeginn für mehrere schwere Gewalttaten im Stadtgebiet verantwortlich war. Zwei der Haupttäter, ein 14-jähriger Deutsch-Jordanier und ein 18-jähriger Syrer, landeten in U-Haft.
"Gerade Tatverdächtige aus den Maghreb-Staaten bereiten den Sicherheitsbehörden immer wieder Probleme", sagt Autor Philipp Woldin.
"Die oft noch jugendlichen Täter sind vor allem bei Straßenrauben auffällig, sehr mobil und wechseln öfter ihr 'Einsatzgebiet'. Nicht selten sind ihre Identitäten ungeklärt. In vielen Städten - von Regensburg bis Bremen - haben Polizeibehörden mittlerweile Sondereinheiten eingerichtet, um das Phänomen der 'jungen Räuber' zu bekämpfen."
So auch in Plauen, wo die Ermittlergruppe "Aura" sich gezielt mit der ausufernden Jugendgewalt (13-18 Jahre) rings um den Postplatz beschäftigt. In Chemnitz wurde eine Operative Einsatzgruppe von Polizei und Ordnungsamt gegründet, um gezielt Gewaltdelikte in der Innenstadt zu bekämpfen. Auch hier sind die Täter überdurchschnittlich häufig Migranten, Jugendgewalt bildet aber bislang nicht den Ermittlungsschwerpunkt.
"Neue Deutsche Gewalt": Streitschrift mit Blick auf Sachsen

Die beiden "Welt"-Journalisten Philipp Woldin und Alexander Dinger legen mit ihrem Sachbuch "Neue Deutsche Gewalt" eine Streitschrift zum Thema Innere Sicherheit vor, die einen tiefen Einblick in die deutsche Jugendkriminalität bietet.
Insbesondere Alexander Dinger kennt die Entwicklungen im Osten und speziell in Sachsen genau: aufgewachsen in Riesa, Studium in Chemnitz, Volontariat bei der "Lausitzer Rundschau" in Cottbus. Danach mehrere Jahre Lokalredakteur in Magdeburg und Polizeireporter in Berlin.
Aktuell ist Dinger stellvertretender Leiter des Ressorts "Investigation und Recherche" der Premium-Gruppe ("Welt", "Politico", "Business Insider").
Titelfoto: Montage: IMAGO/Gerhard Leber, Steffen Füssel