Staatskanzlei hütet Sachsens exklusivste Autogramme: Wenn die Macht zu Buche schlägt
Dresden - Sachsens exklusivste Autogrammsammlung liegt in keinem Museum. Vielmehr steckt sie in einem grünen, edlen Ledereinband und wird von gleich 12 früheren Ministerpräsidenten "bewacht".

Denn: Unterhalb der gerahmten Politiker-Konterfeis - das letzte zeigt Stanislaw Tillich (61) - liegt das Gästebuch des Freistaats in der Wappengalerie der Staatskanzlei.
Unter Glas und gut verschlossen wie ein Schatz. Präsidenten, Könige und ein paar schlimme Finger haben darin schon ihre Unterschrift hinterlassen - seit nunmehr fast 30 Jahren.
Der erste Eintrag überhaupt stammt vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (†94), mit ruhiger Hand gezeichnet am 13. Februar 1991.
Weizsäcker weilte zum Gedenken an die Bombardierung in Dresden. In den folgenden Jahren sollten sich drei seiner Nachfolger sowie Amtskollegen aus 28 Staaten der Erde im gleichen Gästebuch verewigen.
Aber nicht nur die: Auch Ministerpräsidenten, Nobelpreisträger und Monarchen gaben sich die Ehre und griffen zur Feder.
Noch viel Platz für Autogramme zukünftiger Gäste

Einige sind bereits verstorben, andere pensioniert, geschasst oder noch in Amt und Würden. Bislang zählt das Gästebuch 95 Eintragungen.
"Dabei kann ein Eintrag von mehreren Persönlichkeiten unterzeichnet sein", erklärt Maike Liebschner (45), die als Leiterin des Referats Protokoll in der Staatskanzlei auch für das Gästebuch zuständig ist.
Das ist aber eher die Ausnahme und war zum Beispiel bei den Feierlichkeiten "10 Jahre Deutsche Einheit" am 3. Oktober 2000 so. Mitunter unterschreiben auch die mitreisenden Ehepartner auf der gleichen Seite neben dem eigentlichen Gast.
Sollten die Einträge künftig in der gleichen Frequenz erfolgen wie bislang - etwa drei pro Jahr -, dann könnte das Gästebuch noch weitere 30 Jahre "halten".
Insgesamt 200 Blatt Papier finden sich nämlich zwischen den zwei Lederdeckeln. Viel Platz für die Autogramme von zukünftigen Gästen, deren Namen heute vielleicht noch kaum jemand kennt.
Protokoll-Chefin hütet das Buch

Seit etwa zwei Jahren ist Maike Liebschner (46) Protokoll-Chefin der Staatskanzlei. Takt, Charme und Diskretion gehören quasi zu ihrem Job-Profil.
"Unser oberstes Ziel ist es, dass unsere hochrangigen Gäste sich wohlfühlen", sagt sie. Dazu gehört zum Beispiel, dass man sich im Vorfeld nach Vorlieben, Wünschen oder auch danach erkundigt, was der Gast partout nicht isst.
Gegen ein "Autogramm" sträubt sich dagegen wohl kaum ein Besucher. Liebschner: "Das Gästebuch ist eine besondere Art der Erinnerung" - für beide Seiten.
Mitunter geht es auch auf Reisen, wenn zum Beispiel wie jüngst Prince Charles und Camilla zwar nach Leipzig, nicht aber nach Dresden reisen. Dann kommt ihnen das Buch eben entgegen, ehrfürchtig transportiert meist von der Protokoll-Chefin selbst.
Liebschner: "Man hat schon den Eindruck, dass es auch für viele Gäste eine Ehre ist, sich dort einzutragen."
Schwergewichte und ein paar Ausnahmen

Die Faustregel, wer sich im Gästebuch des Freistaats verewigen darf, wer sozusagen "würdig genug" ist, lautet: Inländische Gäste über dem Rang der deutschen Ministerpräsidenten und ausländische Staatsgäste dürfen rein.
Nun, was deutsche Besucher angeht, ist der Spielraum damit ziemlich eng, denn eigentlich bleiben nur Bundeskanzler und Bundespräsident übrig (vielleicht noch der Bundestagspräsident).
Bei ausländischen Gästen hält man es nicht ganz so streng. Der Gouverneur einer chinesischen Provinz durfte sich ebenso eintragen wie österreichische Landeshauptmänner (entspricht unseren Ministerpräsidenten) oder die Premierminister russischer Republiken.
Will man aus dem illustren Kreis aller Einträge ein paar "Schwergewichte" gesondert hervorheben, fiele die Wahl wohl auf Queen Elizabeth II. (Eintrag am 22. Oktober 1992), US-Präsident Barack Obama (5. Juni 2009), Chinas Staats-Chef Xi Jinping (1. Oktober 2009, damals "Vize"), Russlands Präsident Wladimir Putin (27. September 2001) und den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan (26. April 1999).





Mehr Prominenz geht wirklich nicht.
Schreiberlinge & Muttersprachler

Während sich die meisten Prominenten im Gästebuch mit dem Schriftzug ihres Namens begnügten, stellten einige noch einen Gruß voran.
Zum Beispiel der damalige EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso, der 2007 schrieb: "Sachsen zeichnet sich durch Tradition und Offenheit aus, die es in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht sehr attraktiv machen."
Sein Nachfolger Jean-Claude Juncker, damals noch luxemburgischer Premier, zeichnete 2013 gar ein Herzchen ins Buch.
Und Barack Obama schrieb auf Englisch "Greetings from the people of the United States".
Weitere Grußbotschaften gibt es auf Russisch, Arabisch, Polnisch, Slowenisch und Bulgarisch.

Kein Buch wie jedes andere
Gästebücher gibt es ja längst auch als elektronische Variante. Die sind dann allerdings kaum so aufwändig gestaltet, ziehen dafür oft unflätige Kommentare an. Im Gästebuch der Staatskanzlei musste dagegen bislang noch kein Eintrag gelöscht werden.
Der Macher

Hergestellt wurde das Gästebuch seinerzeit von der Buchbinderei Lindenkreuz in Pulsnitz. Den familiengeführten Betrieb gibt es seit 1870, mittlerweile wird er in der fünften Generation betrieben.
Und noch immer ist auch Senior-Chef Hermann Lindenkreuz (78, "vierte Generation") in der Werkstatt aktiv. Er war es, der 1990 von der Staatskanzlei den Auftrag zur Anfertigung eines Gästebuchs bekam.
Lindenkreuz: "Wir hatten zu DDR-Zeiten viel für Robotron produziert, mussten uns nach der Wende nach neuer Arbeit umsehen."
Eine Ausschreibung der Staatskanzlei kam da gerade recht. Lindenkreuz bewarb sich - und bekam fortan Aufträge, allerlei Protokolle und Gesetzesvorlagen einzubinden.
Noch heute ist die Pulsnitzer Buchbinderei für den Sächsischen Landtag aktiv.

Sprich: Das Gästebuch war damals "nur" so etwas wie die Kirsche auf der Sahne. Hermann Lindenkreuz: "Wie es auszusehen hatte, da gab es schon klare Vorstellungen."
Zum Beispiel sollte der Einband aus Leder und "sächsisch grün" sein. Für den goldenen Schriftzug, der hochkant und in Großbuchstaben ins Rindsleder eingeprägt ist, wurde eine Gravur angefertigt.
Das Innenleben des Buches besteht aus etwa 200 Blatt "Marmorumschlagpapier, 90 g/m² matt, hochfein, holzfrei, weiß-braun", wie Fachleute sagen würden.
Für einen Fachmann wie Hermann Lindenkreuz war das Anfertigen des opulenten und dekorativen Buches jedenfalls nicht allzu außergewöhnlich.
"Gästebücher hatten wir auch vorher schon produziert", erinnert er sich. Zum Beispiel das Goldene Buch der Stadt Kamenz.
Nicht auf jeden ist man stolz

Unter den 95 bisherigen Einträgen finden sich auch die Namen einiger Despoten oder einst Mächtiger, die mittlerweile in Ungnade gefallen sind.
- Indonesiens Präsident Suharto, der sich 1995 ins Gästebuch eintrug, regierte von 1965 (ab 1966 auch offiziell) bis 1998 den südostasiatischen Inselstaat. Und das mit eiserner Faust und ohne allzu viele Gedanken an die Menschenrechte zu verschwenden. Sein Putsch an die Macht war begleitet von Pogromen, die Hunderttausende das Leben kostete - Kritik daran musste sich der überzeugte Antikommunist dafür im Westen aber kaum anhören. 1998 wurde er aus dem Amt gefegt, ein Prozess gegen ihn aus gesundheitlichen Gründen aber ohne Urteil beendet. 2008 starb Suharto.
- Der Sultan von Brunei, Haji Hassanal Bolkiah (74), zückte am 1. April 1998 den Stift zur Unterschrift. Kein Aprilscherz: 2014 führte der superreiche Sultan in seinem Erdöl-Staat die Steinigung wieder ein, 2019 gar die Todesstrafe für Homosexuelle. Nach internationalen Protesten (u.a. von George Clooney!) wird das irre Gesetz zumindest nicht umgesetzt.

- (Ex-)König Juan Carlos von Spanien (82; Eintrag im Juli 1997) hat sein Heimatland mittlerweile verlassen, um unangenehmen Fragen zu einer Korruptionsaffäre aus dem Weg zu gehen.
- Wegen Korruption musste auch Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye (68) im Jahr 2017 aus dem Amt scheiden. 2014 hatte sie sich in Dresden noch im Gästebuch verewigt. Heute sitzt sie eine mehrjährige Haftstrafe ab.
Auf die Frage, ob man sich für einige Gäste rückblickend schämt, antwortet die Staatskanzlei übrigens mit der lapidaren Bemerkung "Der Freistaat Sachsen hält sich an diplomatische und protokollarische Standards und Gepflogenheiten".
Die Exoten

Unter all den Monarchen, Regierungs-Chefs und Präsidenten nehmen sich einige Namen im Buch fast exotisch aus.
Zum Beispiel die der Friedensnobelpreisträger Dr. Mohammed el-Baradei (Eintrag von März 2014; war Chef der Atomenergiebehörde) und Frederik Willem de Klerk (2017; bekam den Nobelpreis zusammen mit Nelson Mandela für die Abschaffung der Apartheid in Südafrika).
Aber auch der damalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann (trug sich 2012 ein) passt nicht ins übliche Raster.


Die "Wiederholungstäter"

Eine Handvoll Namen findet man im Gästebuch tatsächlich doppelt.
Nämlich die von Königin Beatrix der Niederlande (1991 und 2014), Sohn Willem-Alexander und Frau Maxima (2014 als Thronfolgerpaar, 2017 als König und Königin) sowie Königin Silvia von Schweden (2014 und 2016).
Auch die Chilenin Michelle Bachelet hat sich zweimal als Präsidentin ihres Landes eingetragen (2006 und 2014).


Gekrönte Häupter

Neben den Präsidenten machen Monarchen und Thronfolger einen Gutteil der Einträge im Gästebuch aus.
Neben den schon erwähnten Königinnen Elizabeth II., Beatrix, Silvia und Maxima hat sich 1994 auch Amtskollegin Margrethe aus Dänemark eingeschrieben.
Im gleichen Jahr der damalige norwegische König Harald und viele mehr. Noch ungekrönt ist dagegen Prince Charles, der seit 2019 "drinsteht" im Buch.
Die Verhinderten

Bei drei Einträgen fehlt unter dem sorgsam von einer Kalligraphin vorbereiteten Eintrag die Unterschrift.
2003 beim damaligen Prinz von Asturien und heutigem spanischen König Felipe (kurzfristig verhindert?).
2016 bei der stellvertretenden EU-Kommissionspräsidentin Kristalina Georgiewa, die wegen eines Terroranschlags absagen musste, den Eintrag aber bei späterer Gelegenheit nachholte.
Und schließlich 2017 bei Rumäniens Präsident Klaus Johannis, der wegen einer Staatskrise daheim nicht kommen konnte - und damit auch den SemperOpernball verpasste.
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Seit einigen Jahren kann das Gästebuch auch online durchstöbert werden. Wer's ausprobieren möchte, geht auf folgende Seite:
ministerpraesident.sachsen.de/gaestebuch-des-freistaates-sachsen-5503.html
Allerdings sind die letzten Einträge noch nicht aktualisiert.
Titelfoto: Arno Burgi/dpa/Jörn Haufe