Zwickau -Exakt vor 121 Jahren, am 10. Mai 1904, ließ August Horch die "August Horch & Cie. Motorenwerke AG" ins Zwickauer Handelsregister eintragen. Das Datum steht heute für die Erweckung des Automobilbaus in Westsachsen. Markennamen wie Horch, Autounion, Audi, Sachsenring und Volkswagen sind heute untrennbar mit Zwickau und der gesamten Region verbunden.
Wie kann diese große Tradition in die Zukunft getragen werden? Der deutsche Automobilbau steckt tief in der Krise. TAG24 hat Euch Fakten, Analysen, Stimmen und ein Interview mit Sachsens Wirtschaftsminister zusammengefasst.
Jeder vierte Arbeitsplatz in der Region Zwickau/Südwestsachsen hängt an der Automobilwirtschaft. Der VW-Konzern produziert in Mosel (Zwickau) Fahrzeuge und in Chemnitz Motoren.
Der Standort Zwickau (rund 9500 Mitarbeiter) gilt im Konzern als Vorreiter, ist ein reiner E-Auto-Standort. Dort werden nur vollelektrische Fahrzeuge wie der ID.3, ID.4 & ID.5, der Audi Q4 e-tron sowie Sportback e-tron und der Seat Cupra Born produziert. Vor wenigen Tagen erst rollte das einmillionste E-Auto vom Band.
Da der Absatz von E-Autos schwächelt, drosselt der Wolfsburger Konzern seine Produktion und setzt Sparmaßnahmen um. Bei VW in Deutschland sollen bis 2030 insgesamt 35.000 Jobs wegfallen. Bis dahin gilt eine Beschäftigungssicherung.
Absatzflaute von E-Autos trifft auch Porsche und BMW
Konkret für Zwickau wurde beschlossen, dass die ID.-Modelle und der Cupra Born 2027 nach Wolfsburg und Emden wechseln. Ab 2027 soll der Audi Q4 e-tron das einzige Modell sein, das noch in Zwickau gebaut wird.
Ab 2028 ist geplant, das Modell Trinity (sollte ursprünglich in Wolfsburg gebaut werden) in Zwickau zu produzieren. Das Thema Kreislaufwirtschaft soll in Mosel neu in den Fokus rücken.
Die Absatzflaute von E-Autos trifft auch Porsche und BMW, die in Leipzig Werke besitzen. Beiden Edelmarken verzeichnen im 1. Quartal 2025 einen großen Einbruch an Einnahmen.
Sachsen ist "Autoland" und zählt zu den Top 5 der deutschen Automobil-Standorte. Volkswagen, BMW, Porsche und Mercedes-Benz lassen hier Fahrzeuge, Motoren und Batterien fertigen.
Jedes achte Automobil und 40 Prozent aller vollelektrischen Pkws, die in Deutschland gebaut werden, sind "Made in Saxony". Die Branche beschäftigt im Freistaat mehr als 93.000 Menschen. Etwa 80 Prozent davon arbeiten im Zuliefererbereich. Der Anteil der Automobilindustrie am sächsischen Industrieumsatz beträgt knapp ein Drittel.
Minister lehnt ideologische Kämpfe ab
TAG24: Bitte vollenden Sie den Satz: Ohne Automobilindustrie ist Sachsens Wirtschaft ...
Dirk Panter: ... nicht vorstellbar.
TAG24: Liegt die Zukunft wirklich in der Elektromobilität?
Dirk Panter: Grundsätzlich, ja. Die gesamte Welt entwickelt sich dahin. Das heißt aber nicht, dass es nicht noch andere Ideen geben mag.
Man kann auch noch Gewinne mit Verbrennern machen, ja. Da haben wir auch eine hohe Expertise und gute Fähigkeiten. Nur weltweit werden die Weichen gerade anders gestellt: Die Zukunft liegt klar beim Stromer. Leider wird die Debatte um Technologieoffenheit meiner Meinung nach in Deutschland viel zu ideologisch geführt.
TAG24: Benzin, Diesel, Strom, Wasserstoff, E-Fluids - was treibt unsere Fahrzeuge zukünftig an?
Dirk Panter: Ich habe da keinen Favoriten, erkenne aber die Realitäten an. E-Mobilität wird der Anker der Zukunft sein. Trotzdem sollten wir das eine tun, ohne das andere zu lassen, das heißt anpacken, was wir haben und trotzdem weiter forschen.
BMW zum Beispiel arbeitet weiter an Wasserstoff-Fahrzeugen - sehr gut. Schauen wir auf den Lkw-Bereich: Dort ist alles noch völlig offen. Im Moment ist es kaum vorstellbar, dass tonnenschwere Batterien mit Strom diese Fahrzeuge und Lasten bewegen. Deshalb: Es ist immer gut, Alternativen zu haben.
Skepsis und Zuversicht halten sich bei Dirk Panter die Waage
TAG24: Wie optimistisch sind Sie, dass alle drei VW-Standorte in Sachsen gehalten und der Personalabbau dort gestoppt werden können?
Dirk Panter: Ich meine, wir sollten realistisch sein. VW hat eine Beschäftigungssicherung ausgesprochen. Die erwarten wir jetzt auch. Viel lieber würde ich aber belastbare Zukunftsperspektiven hören. Auch eine Beschäftigungssicherung bedeutet Veränderungen - zum Beispiel für die Beschäftigten in der Gläserne Manufaktur in Dresden. Dafür braucht es jetzt wie gesagt konkrete Perspektiven.
TAG24: Die sächsische Automobilindustrie hat sich bereits mehrfach neu erfunden. Stimmt Sie das in dieser Krise zuversichtlich?
Dirk Panter: Skepsis und Zuversicht halten sich bei mir die Waage. Krisen geben auch immer Anlass zur Hoffnung. Ein Beispiel: Der Flugzeugbau war in Sachsen jahrzehntelang tot. In Leipzig startet nun wieder die Deutsche Aircraft mit dem Bau.
In Dresden wird im Bereich Mikroelektronik kräftig investiert. Sachsen spielt vorne mit bei den Themen KI und Robotik. Wir erleben gegenwärtig einen tiefgreifenden Wandel der gesamten Wirtschaft. Da wird es Wirtschaftsbereiche geben, denen wir helfen müssen, damit wir sie halten und hoffentlich weiterentwickeln können. Andere Bereiche dagegen entwickeln sich rasant ganz ohne Unterstützung.
So oder so: Schmerzhafte Veränderungen werden uns wohl nicht erspart bleiben.
Der Gewerkschafter, der IHK-Chef und der Branchenkenner
Thomas Knabel (52), 1. Bevollmächtigter IG Metall Zwickau: "Die Stimmung ist überall schlecht. Nicht nur bei VW. Der Wandel hin zur Elektromobilität wird als Bedrohung wahrgenommen, denn man verbindet mit ihm den Abbau von Arbeitsplätzen. Wir kommen nur aus der Krise, wenn es gelingt, die laufende Transformation nicht nur als technologisches oder betriebswirtschaftliches Projekt zu begreifen."
Max Jankowsky (31), Geschäftsführer der GL Gießerei Lößnitz und Präsident der IHK Chemnitz: "Wir können wettbewerbsfähige Autos bauen und sollten jetzt Zuversicht auf die Straße bekommen. Wir brauchen einen Masterplan zur Entwicklung der Region. Deutschlandtempo reicht da nicht aus. Wir müssen schneller werden in unserem Denken und Handeln."
Jens Katzek (62), Geschäftsführer Automotive Cluster Ostdeutschland: "Wir müssen uns auf Fakten einstellen. Offensichtlich werden wir die alten Produktionszahlen nicht zurückbekommen. Wäre es da nicht klug, das Thema Verteidigungsfähigkeit in den Blick zu rücken? Um im Wettbewerb zu bestehen, ist es zwingend notwendig, dass wir auch bereit sind, alte Zöpfe abzuschneiden."