Trotz Corona-Pandemie: Werden Intensivbetten gezielt abgebaut?

Leipzig - Angesichts steigender Infektionszahlen in der dritten Corona-Welle warnen Mediziner vor Engpässen bei der Versorgung von Patienten auf den Intensivstationen. Doch in sozialen Medien wird angezweifelt, dass es diese Engpässe überhaupt gibt.

Ein Grund für den Rückgang der Zahl freier Intensivbetten ist Personalmangel. (Symbolbild)
Ein Grund für den Rückgang der Zahl freier Intensivbetten ist Personalmangel. (Symbolbild)  © Stefan Laws/123RF

In einem Facebook-Beitrag heißt es: "Wo ist bloß die Pandemie!? Die letzten 12 Monate hat sich die Belegung der Intensivbetten nicht wirklich geändert!"

Probleme werden an anderer Stelle vermutet: "Dafür wurden aber kontinuierlich die Kapazitäten der Intensivbetten abgebaut mitten in der schlimmsten Pandemie‼" Dazu wird eine Grafik gezeigt, die belegte und freie Betten sowie die Notfallreserve auf Intensivstationen in Deutschland darstellen soll.

Was ist dran?

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Seit April 2020 zeigt ein Register des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) die Belegung der Intensivstationen in den deutschen Krankenhäusern.

Das verbreitete Foto mit der Grafik zu belegten und freien Betten sowie der Notfallreserve auf Intensivstationen in Deutschland entspricht den Daten, die auf der offiziellen Webseite des Divi-Intensivregisters zu finden sind. Der Wert der insgesamt belegten Betten bleibt in etwa stabil zwischen rund 19.000 und 21.000. Die Zahl der freien Betten und der Notfallreserve geht dagegen zurück.

Doch obwohl es auf den ersten Blick so aussieht, wurden keine Intensivbetten aktiv abgebaut. Entsprechende Behauptungen hat die Deutsche Presse-Agentur bereits im November 2020 in einem Faktencheck widerlegt. Ein freies Bett könne im Intensivregister nur als frei gemeldet werden, wenn eine Klinik die Ärztinnen und Pfleger hat, um die Patientin darin zu versorgen, teilte eine Divi-Sprecherin damals auf Anfrage mit.

Warum bleibt die Zahl der insgesamt belegten Betten vergleichsweise konstant?

Hintergrund für das konstante Niveau der Belegung auf Intensivstationen ist, dass jederzeit Platz für weitere Notfälle sein muss. (Symbolbild)
Hintergrund für das konstante Niveau der Belegung auf Intensivstationen ist, dass jederzeit Platz für weitere Notfälle sein muss. (Symbolbild)  © Koonsiri Boonnak/123RF

Die Vorschriften dazu, wie viel medizinisches Personal dafür nötig ist, haben sich im Laufe der Corona-Pandemie mehrmals geändert. Hinzu kommen Ausfälle von Ärzte und Pflegerinnen.

"Dadurch ist die Gesamtzahl zwar formal etwas runtergegangen. Aber es entspricht in keinem Fall einem Bettenabbau, sondern es entspricht der wirklichen realen Wiedergabe dessen, was wir in Deutschland an Intensivkapazität zur Verfügung haben", sagt Christian Karagiannidis, Leiter des Divi-Intensivregisters in einem Erklärvideo.

Und warum bleibt die Zahl der insgesamt belegten Betten vergleichsweise konstant? Aus zwei Gründen: Einerseits zeigt die kursierende Grafik den zeitlichen Verlauf der Belegung für ganz Deutschland zusammengenommen - in der Statistik gleichen sich also regionale Überlastungen der Intensivstationen mit weniger belasteten Regionen aus.

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Sichtbar ist die regional unterschiedliche Auslastung auf einer Karte im Divi-Intensivregister, die den Anteil der freien Betten auf Ebene der Landkreise zeigt.

Engpässe beobachten Intensivmediziner bereits jetzt rund um Großstädte und Ballungsräume. "In Köln und Düsseldorf sind jeweils nur 22 Betten auf den Intensivstationen frei - das sind unter zehn Prozent, also weniger als ein Bett pro Klinik", sagte Professor Steffen Weber-Carstens, Leiter des Intensivregisters und Leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operativer Intensivmedizin der Charité, Anfang April.

"Das gleiche Bild haben wir in allen Großstädten und Ballungsgebieten in Deutschland", unterstrich er.

Zahl der Intensivpatienten könnte weiter steigen

Eine Überlastung zeigt sich derzeit laut Intensivmedizinern in Großstädten und Ballungsgebieten. (Symbolbild)
Eine Überlastung zeigt sich derzeit laut Intensivmedizinern in Großstädten und Ballungsgebieten. (Symbolbild)  © Piyapong Thongcharoen/123RF

Der zweite Grund für die konstant bleibende Belegung von Intensivstationen: Kliniken müssen trotz der Corona-Pandemie für den Alltagsbetrieb freie Intensivplätze bereithalten, wie die Divi-Sprecherin der dpa im November 2020 mitteilte.

Dies passiert ihren Angaben zufolge durch Verlegungen von Patienten: "Sonst könnten z.B. die Opfer eines größeren Autounfalls oder zwei, drei Schlaganfallpatienten an einem Tag nicht mehr adäquat versorgt werden."

Auch können planbare Operationen abgesagt werden. Die Belegung auf Intensivstationen muss zwingend einigermaßen konstant bleiben, damit alle potenziellen Patienten bestmöglich behandelt werden können.

Die Behandlung der Vielzahl von Covid-19-Patienten Ende Dezember, Anfang Januar sei nur möglich geworden, weil andere Patienten früher als üblich auf andere Stationen verlegt worden seien, teilte eine Divi-Sprecherin im März mit.

Im Divi-Intensivregister demonstrieren weitere Grafiken die derzeit außergewöhnlich hohe Auslastung der Intensivstationen: Am 31. März, als der Facebook-Beitrag erschien, ist dort eine Zahl von 3668 Covid-Patienten auf Intensivstationen verzeichnet. Sie ist bis zum 12. April auf 4642 gestiegen. Der absolute Spitzenwert lag am 3. Januar bei 5745 Covid-Intensivpatienten. Mediziner des Divi-Intensivregisters fürchten, dass er in absehbarer Zeit auf 6000 steigen könnte.

424 Intensivbereiche meldeten am 31. März außerdem, dass ihr Betrieb einschränkt sei, 285 meldeten "teilweise eingeschränkt", 471 Intensivbereiche verzeichneten einen regulären Betrieb. Mittlerweile hat sich diese Einschätzung der Betriebssituation sogar verschlechtert: Mehr Intensivbereiche melden einen eingeschränkten Betrieb (475) als einen regulären Betrieb (421). Diese Informationen erwähnt der Facebook-Beitrag nicht und stellt die Auslastung der Intensivstationen somit irreführend dar.

Titelfoto: Stefan Laws/123RF

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