Deutsche Bahn soll Züge bewusst ausfallen lassen, um Statistik zu frisieren
Berlin - Neue Vorwürfe gegen die Deutsche Bahn: Interne Dokumente und Interviews mit Mitarbeitern sollen belegen, dass Züge teilweise bewusst gestrichen werden - nicht aus technischen Gründen, sondern um die Verspätungsstatistik des Konzerns zu verbessern. Die Bahn wies die Vorwürfe zurück.

In einem am Freitag veröffentlichten Statement schrieb das Unternehmen: "Die DB schönt keine Statistiken."
In Einzelfällen komme es vor, dass Fernzüge bei hohen Verspätungen im Bahnhof gestoppt und Fahrgäste gebeten würden, auf andere Verbindungen auszuweichen. Das geschehe aber nicht, um die betroffenen Züge aus der Verspätungsstatistik zu tilgen.
Hintergrund sind Recherchen des "Spiegel", der sich auf Gespräche mit zahlreichen Bahnmitarbeitern und interne Vermerke aus den Systemen der Deutschen Bahn beruft.
Demnach sei es bei der Bahn gängige Praxis, besonders verspätete Züge an bestimmten Stationen offiziell enden zu lassen. Für die betroffenen Fahrgäste bedeutet das: Reiseabbruch, Umsteigen, Wartezeiten.
Für die Bahn hingegen bringe der Schritt einen Vorteil – die Verspätung verschlechtert die eigene Bilanz nicht. Denn: Fällt ein Zug aus, geht er bei der Bahn gar nicht erst mit in die Verspätungsstatistik ein. Als pünktlich gilt ein Zug, wenn er mit weniger als sechs Minuten Verspätung sein Ziel erreicht.
Besonders relevant sind diese Zahlen für das Management der Bahn. Laut "Spiegel"-Recherche können die Manager die Statistik täglich über ein sogenanntes "Dashboard" auf ihren Dienstgeräten abrufen.
Diese Fixierung auf die Kennzahlen hat einen einfachen Grund: Die Bahn ist mit 22 Milliarden hoch verschuldet, im ersten Halbjahr 2025 verbuchte der Konzern einen Verlust von 760 Millionen Euro.
Gute Zahlen sind für die Manager ein Mittel, um politischen Druck abzufedern oder zusätzliche Unterstützung vom Bund einzufordern, der Eigentümer des Unternehmens ist.
"Geisterzüge": Fahren die Züge anschließend leer weiter?

Kritiker sprechen von einer systematischen Verzerrung der Realität. Denn solche Tricks lassen die offizielle Pünktlichkeitsquote höher erscheinen, als viele Reisende sie tatsächlich empfinden. Bahn-Mitarbeiter erklärten im "Spiegel", dass sie diese Praktik zunehmend frustriere.
Doch damit nicht genug: Auch von sogenannten "Geisterzügen" ist die Rede – Zügen, die nach dem Absetzen der Passagiere teils hunderte Kilometer leer weiterfahren, um andernorts wieder eingesetzt zu werden.
Auf Anfrage des "Spiegel" hatte die Deutsche Bahn argumentiert, das vorzeitige Streichen einzelner Züge könne im Einzelfall sinnvoll sein, um den Gesamtablauf zu stabilisieren und Reisenden schnellere Anschlussmöglichkeiten zu bieten.
Diese Argumente finden sich im Wesentlichen auch im am Freitag veröffentlichten Statement zum "Spiegel"-Bericht wieder. Zudem erklärte die Bahn daneben auch die sogenannte "Reisendenpünktlichkeit" zu erheben.
Als pünktlich gilt in diesem Fall, wenn ein Reisender mit maximal 14 Minuten und 59 Sekunden Verzögerung am Zielort ankommt. In dieser Statistik werden Zugausfälle berücksichtigt.
Erstmeldung um 11.21 Uhr, zuletzt aktualisiert um 13.20 Uhr.
Titelfoto: Marijan Murat/dpa, Julian Stratenschulte/dpa (Bildmontage)