Überraschendes Geständnis: Warum hat NSU-Terroristin Zschäpe plötzlich ausführlich ausgesagt?

Chemnitz - Es ist wohl der bislang größte Erfolg des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag: Die 2018 zu lebenslanger Haft verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe (48) stand den Abgeordneten am Montag in Chemnitz stundenlang Rede und Antwort. TAG24 beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum hat Beate Zschäpe nun so ausführlich ausgesagt?

NSU-Terroristin Beate Zschäpe (48) antwortete am Montag in Chemnitz erstmals direkt auf Fragen zum Nationalsozialistischen Untergrund. (Archivbild)
NSU-Terroristin Beate Zschäpe (48) antwortete am Montag in Chemnitz erstmals direkt auf Fragen zum Nationalsozialistischen Untergrund. (Archivbild)  © Peter Kneffel/dpa

Das ist schon die erste Neuigkeit gewesen: dass Zschäpe dem Ausschuss überhaupt Rede und Antwort stand. Und dann auch noch so viele Stunden lang. Niemand hätte sie zwingen können, eine Drohung mit Beugehaft wäre sinnlos gewesen.

Es war das erste Mal, dass sie sich seit Prozessende äußerte, und das erste Mal überhaupt, dass sie direkt auf Fragen antwortete. Zur Erinnerung: Im Prozess hatte sie sich - abgesehen von zwei kurzen Wortmeldungen - nur schriftlich geäußert.

Warum also jetzt? Darüber lässt sich nur mutmaßen. Weil sie nun ohnehin nichts mehr zu verlieren hat? Oder vor allem deshalb, weil sie irgendwann auf Lockerungen im Strafvollzug hofft, wenn sie rechtzeitig eine Portion Reue zeigt?

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Taktische Reue sozusagen.

Hinter den Gefängnismauern im Chemnitzer Frauenknast wurde die verurteilte Rechtsterroristin befragt.
Hinter den Gefängnismauern im Chemnitzer Frauenknast wurde die verurteilte Rechtsterroristin befragt.  © Kristin Schmidt

Was war das Neue an Beate Zschäpes Aussage?

Nach Angaben ihres Anwalts Mathias Grasel räumte sie eine Mitschuld an der NSU-Mordserie "deutlich intensiver" ein als im Prozess.

"Ich hätte verhindern können, dass aus dem ersten Mord eine Serie wird", sagte sie demnach. Nämlich wenn sie sich damals der Polizei gestellt hätte.

"Ich habe das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fälschlicherweise über das Leben der Opfer gestellt."

Hat sie etwas Neues zu ihrer Tatbeteiligung gesagt?

Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (40, Grüne) sagte über Zschäpe: "Sie wusste, dass auch für Morde ausgespäht wurde."
Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (40, Grüne) sagte über Zschäpe: "Sie wusste, dass auch für Morde ausgespäht wurde."  © Tobias Hase/dpa

Ja und nein. Grundsätzlich blieb sie dabei: An konkreten Mordplänen will sie nicht beteiligt gewesen sein, geschweige denn an den Taten.

"Eine aktive Mitwirkung gab es nicht, weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung", sagte Grasel. Aber: Erstmals hat Zschäpe zugegeben, dass sie von den Ausspähungen potenzieller Opfer gewusst habe. Dass es dabei eben nicht nur um Ziele von Raubüberfällen ging, um Supermärkte und Tankstellen, sondern um Menschen.

Die Kriterien seien gewesen: "ausländisch klingender Name, vorzugsweise türkisch, und gute Fluchtmöglichkeit", sagte Grasel. Der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (40, Grüne) sagte: "Sie wusste, dass auch für Morde ausgespäht wurde."

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Dass ein Mordopfer griechischstämmig war? Er sei wohl für einen Türken gehalten worden, sagte Zschäpe laut Schuberl. Alle Opfer seien nach Darstellung Zschäpes Zufallsopfer gewesen.

Wäre das Urteil gegen Zschäpe mit diesen Aussagen anders ausgefallen?

Im Chemnitzer Frauenknast sitzt Zschäpe ihre lebenslange Haft ab.
Im Chemnitzer Frauenknast sitzt Zschäpe ihre lebenslange Haft ab.  © Kristin Schmidt

Das Oberlandesgericht München verurteilte Zschäpe 2018 auch so wegen zehnfachen Mordes zur Höchststrafe: lebenslange Haft, mit besonderer Schwere der Schuld.

Nach fast fünf Jahren Prozessdauer folgte das Gericht der Argumentation der Anklage: Zschäpe habe sehr wohl "alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt".

Deshalb die Verurteilung als Mittäterin, die 2021 auch vor dem Bundesgerichtshof hielt. Mit Zschäpes neuen Aussagen hätte sich der Senat aber leichter getan, die Mittäterschaft zu begründen.

Zschäpe habe gesagt, berichtete Schuberl, dass sie die Schuld ganz klar auch bei sich sehe: "So, als hätte sie selbst abgedrückt." Das entspricht fast der klassischen Definition der Mittäterschaft.

Hat Zschäpe weitere neue Details preisgegeben?

Einige Details waren durchaus neu. Schuberl zitierte Zschäpe etwa damit, dass sich das Trio nach dem Auffliegen eines bekannten V-Mannes gewundert habe, warum man nicht geschnappt wurde.

Dass Mundlos sich über Ermittlungsfehler der Behörden, die man über die Medien mitbekommen habe, sehr amüsiert habe. Dass es Böhnhardt dagegen lieber gewesen wäre, wenn die Morde als rechtsextreme Taten eingeordnet worden wären.

Dass sich alle drei gewundert hätten, warum der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie nicht erkannt worden sei.

Andererseits sagte Zschäpe nach Angaben von Abgeordneten auch, dass Tatorte weit weg vom eigenen Wohnort ausgewählt worden seien, damit sie, drei Rechtsextremisten im Untergrund, nicht in Verdacht geraten.

Welche Fragen bleiben offen?

In Zwickau erinnern Steintafeln an die NSU-Opfer.
In Zwickau erinnern Steintafeln an die NSU-Opfer.  © Kristin Schmidt

Eine zentrale Frage ist und bleibt auch nach Zschäpes Befragung: Hatte der NSU Unterstützer und Helfer an den Tatorten?

Zschäpe sagte dazu laut Schuberl, Mundlos und Böhnhardt hätten potenzielle Tatorte ausgespäht, immer "städteweise" und in zeitlichem Abstand zur dann folgenden Tat. Aber niemand sonst. Es habe keine Helfer etwa in Bayern gegeben, so fassten mehrere Abgeordnete ihre Aussage zusammen. Und Zschäpe habe auch sonst keine Kontakte nach Bayern dargelegt - und zudem bestritten, selbst mehrfach in Nürnberg gewesen zu sein.

Ob all das so stimmt? Darin gibt es große Zweifel. Auch der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (79, CSU) hatte zuletzt ausgesagt, er gehe weiterhin fest von Helfern an den Tatorten aus.

Und die Angehörigen der Opfer werden sich weiter vor allem eine Frage stellen: warum ausgerechnet ihr Ehemann, Vater, Sohn sterben musste.

Titelfoto: Kristin Schmidt, Peter Kneffel/dpa

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