Ben Becker: "Wenn man Ehrlichkeit und Gerechtigkeit schätzt, ist man ziemlich verloren in dieser Welt"

Berlin - Andreas ist ein Trinker. Der Clochard lebt in Paris, die Nächte verbringt er unter den Brücken der Seine. Eines Tages im Jahr 1934 drückt ihm ein Wildfremder 200 Francs in die Hand. Andreas versäuft das Geld. Obwohl er es zu Ehren der Heiligen Therese von Lisieux spenden wollte. Doch dann passiert am nächsten Tag wieder ein Wunder und Andreas schwankt zwischen seiner Alkoholsucht und guten Vorsätzen.

Ben Becker (58) steht ab Freitag mit seiner neuen Lesung "Im Exil" auf der Bühne.
Ben Becker (58) steht ab Freitag mit seiner neuen Lesung "Im Exil" auf der Bühne.  © Kerstin Groh

In seiner aktuellen Literatur-Performance widmet sich Ben Becker der "Legende vom heiligen Trinker" von Joseph Roth (1894 bis 1939), einer der größten Erzähler des 20. Jahrhunderts. Mit dem Stück steht der 58-Jährige ab Freitag auf der Bühne, Premiere ist im "Renaissance-Theater" in Berlin. Warum den Schauspieler gerade dieses Werk bewegt, erzählte er im Gespräch mit TAG24.

TAG24: Herr Becker, wann haben Sie zuletzt jemandem einen Schnaps ausgegeben?

Ben Becker: Mit der Frage bin ich überfallen. (überlegt) Vor drei Tagen war ich nach langer, langer Zeit zum ersten Mal wieder in Mitte und dort in meiner ehemaligen Stammbar, der "Griffin Bar", wo ich mich am Nachmittag mit dem Chef getroffen habe. Wir saßen in der Sonne und haben mit einem Berliner Schultheiss angestoßen. Das war wirklich schön, weil es ein bisschen wie nach Hause kommen und ein kleiner Sommeranfang für mich war. Ich habe das sehr genossen.

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TAG24: Zu Hause sind Sie in Charlottenburg. Haben Sie dort ein bevorzugtes Lokal?

Ben Becker: Aus Familientradition die "Paris Bar". Abends gehe ich auch gerne mal in den "Diener Tattersall".

"Das beeindruckt, da kommt etwas zurück"

Traut sich was: Ben Becker hat sich nach "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad nun den großen österreichischen Dichter Joseph Roth vorgenommen.
Traut sich was: Ben Becker hat sich nach "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad nun den großen österreichischen Dichter Joseph Roth vorgenommen.  © Kerstin Groh

TAG24: Kommen wir direkt zu Joseph Roth. Bietet sein literarisches Werk ein geistiges Umfeld, in dem Sie sich selbst wiederfinden?

Ben Becker: Roth ist ein ganz großer Schriftsteller und Dichter und ein genauer Beobachter. Zur Vorbereitung auf meine neue Lesung habe ich mich viel mit ihm beschäftigt, auch den "Radetzkymarsch" noch einmal gelesen. Er kann einfach schreiben.

Das ist so, als würde man vor einem großartigen Gemälde stehen. Das beeindruckt, da kommt etwas zurück. Roth ist da sehr prägnant. Natürlich betrifft das auch sein Leben und die Zeit, in der er lebte. Das ist eine faszinierende Welt und in die bin ich eingetaucht.

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TAG24: Die Lesung trägt den Titel "Im Exil" ...

Ben Becker: Wir haben momentan Krieg in Europa und damit gibt es gewisse Parallelen zu dieser Zeit damals, in der viele Künstler flüchten mussten und unser Land verlassen haben. So war das auch bei Roth, der im Exil lebte. Daher kommt der Titel.

Als das "Renaissance-Theater" vor etwa zwei Monaten auf mich zukam und fragte, ob ich Lust hätte, dort etwas auf die Bühne zu bringen, habe ich Roth vorgeschlagen. Seitdem bin ich mit einer sehr großen Freude am Tüfteln und Arbeiten. Es wird durchaus auch ein verletzlicher Abend, aber sehr schön. Weil Roth Humor hatte, wird es auch viel zum Schmunzeln geben.

Wenn man so will, ist das Werk ein Märchen. Inhaltlich muss man sich das vorstellen wie die letzten drei Wochen im Leben eines Harald Juhnke, und das um die Weihnachtszeit. Wegen der Wunder.

TAG24: Im ersten Teil des Abends lesen Sie aus Roths "Legende vom heiligen Trinker". Wie gestaltet sich der zweite Teil?

Ben Becker: Der zweite Teil beschäftigt sich mit seiner Biografie, die Roths Wegbegleiter Géza von Cziffra geschrieben hat: Ich lese dann über Roth, seine Flucht, über ihn als Schriftsteller und seinen Umgang mit den Menschen und der Welt um ihn herum. Das Buch ist wie ein kleiner Stadtführer: Man steht an der Gedächtniskirche, auch den "Diener Tattersall" gab es damals schon. Die "Mampe" hat zu, aber man weiß, wo sie war. Das macht Spaß.

Ben Becker und Wolfgang Ambros gemeinsam auf der Bühne?

Am 12. Mai findet die Premiere im Berliner Renaissance-Theater statt.
Am 12. Mai findet die Premiere im Berliner Renaissance-Theater statt.  © Simone Bischof/PR

TAG24: Für die Vorbereitungen sind Sie auch nach Wien gefahren.

Ben Becker: Ich habe überlegt, welche Musik am besten dazu passt - und bin auf das Naheliegendste gekommen: Ich habe Wolfgang Ambros gefragt. Er hat sofort "Ja" gesagt.

Vor zweieinhalb Wochen bin ich nach Wien geflogen und habe mich auf den Spuren von Joseph Roth im "Hotel Bristol" eingemietet. Als ich später ins Studio kam, hat Wolfgang Ambros schon auf mich gewartet. Da fühlte ich mich wie von Gott geküsst. Herr Roth und sein heiliger Trinker haben mir ein Wunder abgegeben.

So kam es, dass Ambros als großer Künstler Bestandteil der Lesung ist - neben Roth selber und Géza von Cziffra. Das finde ich ganz toll. Und wenn alles so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, wird das Publikum das Theater hoffentlich beglückt verlassen.

TAG24: Gab es Pläne, mit Wolfgang Ambros gemeinsam auf der Bühne zu stehen?

Ben Becker: Ambros hat ein hartes Leben hinter sich. Er ist jetzt 71 Jahre. Ich kann mir vorstellen, dass er vielleicht in Wien dabei ist. Der Gedanke, dass er extra nach Berlin kommt, verdient Vergötterung. Aber ich glaube, das wird nicht passieren.

Das, was er mir künstlerisch im Studio geschenkt hat, ist so wertvoll, als würde er mit mir auf der Bühne stehen. Auf diese Weise ist er präsent.

TAG24-Redakteurin Simone Bischof traf Ben Becker in Berlin.
TAG24-Redakteurin Simone Bischof traf Ben Becker in Berlin.  © Azizeh Nami

TAG24: Roth waren Wahrheit und Gerechtigkeit wichtig. Wie wichtig sind Ihnen diese Werte?

Ben Becker: Zu wichtig. Es ist ganz schwer, sich dazu zu verhalten. Da sind wir auch wieder bei Ambros. In seinem Lied "I glaub i geh jetzt" heißt es übersetzt: "Es gibt keinen Kompromiss zwischen ehrlich sein und link, auch wenn's noch so einfach aussieht."

Wenn man Ehrlichkeit und Gerechtigkeit schätzt, ist man schon ziemlich verloren in dieser Welt. Es ist so. Man muss ganz gut bescheißen können und über Leichen gehen, um zu bestehen. Wer das nicht macht, hat eventuell hier und da ein Problem. Das kann ich nachvollziehen. Trotzdem bin ich jemand, der Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit liebt.

Aber es ist schwer, so weit aufzumachen. Wenn man rausgeht, verkleidet man sich, lässt keinen an sich ran. Dann fangen die Leute an, zu mauscheln und zu bescheißen.

"Im Exil - Ben Becker liest Joseph Roth". Eine Literatur-Performance von und mit Ben Becker. Premiere ist am Freitag, 12. Mai, 19.30 Uhr im Renaissance-Theater Berlin (Knesebeckstraße 100). Weitere Spieltermine in Berlin: 13./14./16./17./18. Mai. Tickets unter renaissance-theater.de, Restkarten an der Abendkasse. Alle weiteren Lesungen: benbecker.de.

Titelfoto: Kerstin Groh (2)

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