Neue Amazon-Prime-Serie über Säurefassmörder: "Ein extrem ungewöhnlicher Fall"

Hamburg - Regisseur und Grimme-Preisträger Florian Schwarz (48, "Das weiße Kaninchen") und Produzent Dietmar Güntsche (55, Neue Bioskop Film) sprachen mit TAG24 über ihre neue Prime-Video-Serie "German Crime - Gefesselt", in der in Anlehnung an den berüchtigten Hamburger Säurefassmörders die Geschichte eines tötenden Sadisten und einer Ermittlerin erzählt wird, die in den 80er-/90er-Jahren auf Hinweise zu seinen Taten stößt und ihm trotz aller Widerstände schließlich auf die Spur kommt.

Hauptdarsteller Oliver Masucci (54) als Raik Doormann neben Regisseur Florian Schwarz (48)
Hauptdarsteller Oliver Masucci (54) als Raik Doormann neben Regisseur Florian Schwarz (48)  © Neue Bioskop Television/Joachim Gern

TAG24: Was war die größte Herausforderung daran, so eine grausame Geschichte zu erzählen, die auch noch auf wahren Begebenheiten beruht?

Schwarz: Die größte Herausforderung war, überhaupt erst mal die richtige Erzählform für diese Serie zu finden. Wir wollten keinen Dokumentarfilm über das Ganze machen, sondern Fiktion. Es gibt in dem Fall sowieso viele Leerstellen und Lücken, wo wir spekulieren mussten. Aber uns ging es natürlich darum, den Geist oder die Essenz des historischen Falles, der/die unheimlich komplex ist, zu erfassen.

TAG24: Macht es einen nennenswerten Unterschied, ob man einen fiktiven Plot oder eine echte Crime-Geschichte verfilmt?

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Schwarz: Es ist ein fließender Prozess. Von den Fakten, die wir gefunden haben, die uns zugänglich waren (Gerichtsakten, Polizeiberichte, etc.) in die Fiktion zu gleiten. Am Ende verwebt sich die Fiktion mit der Wirklichkeit. Dichtung und Wahrheit vermischen sich und verstricken sich miteinander. Man kann es eigentlich nicht mehr auflösen.

Güntsche: Hinzu kommt der Aspekt, dass wir es mit wirklichen Opfern bzw. Angehörigen von Opfern zu tun haben. Wir wollten ein Zeichen setzen, indem wir Namen und Geschehnisse fiktionalisieren und so auch eine filmische Distanzierung schaffen. Es hilft den Zuschauern bei der Verarbeitung und bei der Rezeption einer solchen Serie. Und es hilft auch den Angehörigen - das haben sie uns auch bestätigt - dass sie wissen, da ist jetzt eine gewisse Distanz entstanden.

"Zunächst ein Fall, der eigentlich gar kein Mordfall ist"

Produzent Dietmar Güntsche (55): "Wir wollten ein Zeichen setzen, indem wir Namen und Geschehnisse fiktionalisieren und so auch eine filmische Distanzierung schaffen. Es hilft den Zuschauern bei der Verarbeitung und bei der Rezeption einer solchen Serie."
Produzent Dietmar Güntsche (55): "Wir wollten ein Zeichen setzen, indem wir Namen und Geschehnisse fiktionalisieren und so auch eine filmische Distanzierung schaffen. Es hilft den Zuschauern bei der Verarbeitung und bei der Rezeption einer solchen Serie."  © Neue Bioskop Television

TAG24: Konntet Ihr mit dem realen Säurefassmörder Lutz Reinstrom sprechen, der zurzeit seine Haftstrafe im Hamburger Gefängnis Santa Fu absitzt? Weiß er von dem Projekt?

Güntsche: Die Autoren haben im Vorfeld der Recherche Kontakt mit ihm gehabt. Insofern ist er schon informiert.

TAG24: Warum war ausgerechnet dieser Crimefall für Euch eine Verfilmung wert?

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Güntsche: Unsere Producerinnen, die begeisterte Podcast-Hörerinnen sind, sind mit diesem Fall auf mich zugekommen. Für den Auftakt einer Anthologie-Serie hat sich dieser als ein ganz besonderer Fall erwiesen. In erster Linie auch, weil die Ermittlerin hier eine so besondere Rolle spielt. Durch ihren Kampf in ihrem eigenen dienstlichen Umfeld, kann auch dieses, was Florian so wichtig ist, Sittengemälde der damaligen Zeit entstehen.

Schwarz: Es ist in jeder Hinsicht ein extrem ungewöhnlicher Fall. Und es ist auch ein Kriminalfall ohne Tatort, ohne Spurensicherung. Es ist zunächst ein Fall, der eigentlich gar kein Mordfall ist. Wir folgen in der Serie auch grob dem tatsächlichen Ablauf: Dass es zunächst den Entführungsprozess gab. Über einen ganz großen Zufall kam es zu der Begegnung von der Ermittlerin und der Mutter des zweiten Opfers. Erst dann kam der Stein ins Rollen.

"Nach 70 Drehtagen waren wir schon alle strapaziert"

Angelina Häntsch (38) als Mordkommissarin Nela Langenbeck.
Angelina Häntsch (38) als Mordkommissarin Nela Langenbeck.  © Neue Bioskop Television

TAG24: Von den schrecklichen Ausmaßen wusste zum Zeitpunkt des Prozesses noch niemand. Die reale Ermittlerin, Kriminalbeamtin Atzeroth-Freier, ist relativ früh verstorben. Wie schwer war es, die Frau für die Serie zu charakterisieren? Gab es Zeitzeugen?

Schwarz: Wir haben einen intensiven Kontakt zu ihrem Stiefsohn Matthias Freier, der auch noch einen Dokumentarfilm über seine Mutter gedreht hat. Dadurch hatten wir einen ganz starken Zugang zu der realen Figur.

TAG24: Wurden Details des Falls in der fiktionalen Aufarbeitung weggelassen?

Schwarz: Die verbrecherische Persönlichkeit von Lutz Reinstrom ist so unbändig gewesen. Da gibt's noch unheimlich viel mehr, was der auf dem Kerbholz hat, was auch wichtig in den Ermittlungen war. Die Schwierigkeit war unter anderem auch die Auswahl, auf welche Dinge wir uns da konzentrieren und welche wir weglassen.

TAG24: Ein sehr bedrückendes Thema und eine düstere Geschichte. Wie war die Stimmung am Set?

Schwarz: Die Bunkerszenen haben wir ganz zum Schluss gedreht. Nach 70 Drehtagen waren wir schon alle strapaziert. Aber ich glaube letztendlich kompensiert man das dunkle Thema ein bisschen. Manchmal ist man vielleicht auch alberner, um sowas auszugleichen. Es war nicht so, dass die Stimmung bei diesem Projekt der Atmosphäre der Serie entsprochen hat. Im Gegenteil.

TAG24: Der Cast besteht aus vielen unbekannten Gesichtern. Warum?

Güntsche: In unserer Produktion kann man viele tolle Schauspieler entdecken. Florian war es wichtig, über die beiden Hauptrollen hinaus, nicht die üblichen Verdächtigen zu besetzen. Dieser Versuchung obliegt man ja schnell. Wir haben zusammen mit unser Casterin Franziska Aigner viele herausragende Theaterschauspieler gefunden, die nicht dauernd auf dem Fernsehschirm präsent sind. Dadurch entfaltet der gesamte Cast insgesamt eine unheimliche Wirkung. Man hat nicht sofort diese Rollenvorbilder im Kopf, die man bei vielen Fernsehproduktionen sonst sofort abruft.

"Es geht aber überhaupt nicht darum, irgendwelche Praktiken aus der Welt des SMs zu verunglimpfen"

Der Säurefassmörder Raik Doormann bei der "Arbeit".
Der Säurefassmörder Raik Doormann bei der "Arbeit".  © Neue Bioskop Television

TAG24: Der Säurefassmörder war ein Sadist, hat seine Opfer gefesselt. So heißt auch die Serie. Gibt es noch einen Grund für die Titelauswahl?

Schwarz: "Gefesselt" hat mehrere Bedeutungen. Natürlich geht es auch um Macht und Unterwerfung, und um die Perversion dieses Spiels, oder wie aus diesem Spiel auch bitterer ernst werden kann. Es geht aber überhaupt nicht darum, irgendwelche Praktiken aus der Welt des SMs - in dem Fall Bondage - zu verunglimpfen. Das ist ganz wichtig. Deshalb wird unter anderem auch in der Serie beides gezeigt. Wie der Protagonist seine Opfer quält, aber auch wie er einvernehmlichen SM-Sex hat.

Güntsche: Und nicht zuletzt wollen wir natürlich auch die Zuschauer fesseln.

TAG24: Das wird hoffentlich gelingen! Wird "German Crime Story" als Reihe mit weiteren deutschen Verbrechen fortgesetzt?

Güntsche: Es wäre eine tolle Herausforderung, die "German Crime Story"-Reihe mit einem neuen Fall fortzusetzen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten und es muss ja auch nicht immer ein Mordfall sein. Es gibt auch vollkommen andere Arten von Verbrechen, interessante Gerichtsprozesse und ungelöste Kriminalfälle.

"German Crimes Story - Gefesselt" startete am 13. Januar exklusiv bei Prime Video.

Titelfoto: Neue Bioskop Television/Joachim Gern

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